Martin Schulz bei "Maischberger":Die mühsame Suche von Martin Schulz nach alter Kraft

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SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz zu Gast in der Talkshow von Sandra Maischberger.

(Foto: imago/Horst Galuschka)

Bei Sandra Maischberger kämpft der SPD-Kanzlerkandidat um eine neue Chance für die Bundestagswahl. Erst wie ein einziger großer Seufzer. Dann zeigt er Muskeln. Immerhin.

Von Stefan Braun

Die Ausgangslage vor diesem Auftritt war schlecht. Auf Wochen des großen Aufschwungs folgten für Martin Schulz Wochen der schmerzhaften Niederlagen. Das steckt keiner so leicht weg; auch Schulz ist das in der Sendung von Sandra Maischberger anzumerken. Er begründet und erklärt und verteidigt sich ziemlich lange. Wie einer, der im Boxring noch stehen kann, aber schon in der nächsten Runde den KO-Schlag fürchtet. Erst als damit fast schon nicht mehr zu rechnen ist, wird er kämpferisch, ausgelöst durch scharfe Provokationen. Ab da ist zu erahnen, was ihn wirklich antreibt - und warum er so vehement für mehr Gerechtigkeit und mehr Europa eintritt. Die Wende zeigt die Chance, die er noch hat - trotz des aktuell deutlichen Rückstands.

Wie ist der erste Eindruck?

Ein Eindruck der Vorsicht, der Sorge, der Defensive. In den ersten Minuten wirkt Martin Schulz wie ein Politiker, der die Niederlage vor Augen hat und selbst nicht mehr weiß, ob das noch was werden kann mit der Wahl im September. Menschlich ist das verständlich, aber es wirkt eben nicht stark und erst recht nicht optimistisch. Schulz knabbert offensichtlich an den Wahlniederlagen der vergangenen Wochen. Er muss sich schütteln - und der Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen.

Wie erklärt er die Niederlagen bei den Landtagswahlen?

Im Grunde genommen gar nicht. Er weiß, dass er nach den ersten Ankündigungen, für mehr soziale Gerechtigkeit zu kämpfen, "mehr liefern muss", wie er sagt. Gleichzeitig wehrt er sich gegen den Vorwurf, er sei bislang zu unkonkret geblieben. Das fange an mit dem Ziel, das Schonvermögen für Arbeitslose zu erhöhen, um Lebensleistungen von Menschen besser zu würdigen - und ende noch lange nicht mit der Forderung, mehr in Schulen und Universitäten zu investieren. Schulz schiebt den unterlegenen Ministerpräsidenten nichts in die Schuhe, aber er zieht sich auch selbst nicht den Schuh an. Er sagt, dass diese Tage für ihn schwer seien. Und betont, dass die Phase auch für die SPD kompliziert ist. Mehr kommt nicht, wohl zum Schutze aller Sozialdemokraten.

Brennt Schulz für ein Thema?

Auch wenn es zuletzt nicht zu spüren war und an diesem Abend zunächst auch gesucht werden muss: ja. Schulz brennt leidenschaftlich dafür, die Schattenseiten des deutschen Wirtschaftserfolges zu thematisieren und zu bekämpfen. Marode Schulen, Pflegenotstand, explodierende Mieten, mangelnde Investitionen in Bildung, Anstieg des Niedriglohnsektors. Und dazu immer mehr Arbeitnehmer, die ohne Tarifvertrag arbeiten müssen. - All das sind Entwicklungen, die er für ein großes Problem hält.

Aus sich heraus geht er allerdings erst, als der Politologe Albrecht von Lucke ihm vorwirft, er, Schulz, habe viel angekündigt und dann nichts geliefert. Die Provokation ist es, die Schulz die Bremsen lösen. Jetzt geißelt er mit Verve die hohen Mieten, die miserable Pflege, die fehlenden Investitionen. Und widerspricht auch all jenen, die sagen, es sei doch eh alles sehr gut, was wolle er da kritisieren.

"Weil Deutschland wirtschaftlich stark ist, ist es automatisch auch gerecht? Das sehe ich anders", sagt Schulz mehr als ein Mal. Im Übrigen sei der Erfolg des Landes kein Verdienst der Kanzlerin, sondern der Menschen. "Wir sind eine Volkswirtschaft, die blüht und an Wert verliert, weil nicht in die Zukunft investiert wird."

Wie erklärt er, dass sich im SPD-Wahlprogramm noch nichts über Steuern und Rente findet?

Mit der Begründung, er wolle und werde nichts vorlegen, was nicht durchgerechnet und gegengecheckt sei. Er habe lernen müssen, dass andere Parteien wie die CSU in den Genuss einer "vermuteten Kompetenz" kämen, also alles Mögliche versprechen könnten, ohne es belegen zu müssen. Mit der SPD sei das leider anders. Deshalb nehme er sich Zeit. "Ich lege nichts vor, was nicht stimmig ist."

Zwei Botschaften gibt er trotzdem: Er will keine Steuergeschenke machen, sondern in das Land investieren. Das sei für ihn gelebte Generationengerechtigkeit. Für die Rente macht er sogar Versprechen: eine Rente mit 70, wie die Union sie anpeile, sei mit ihm nicht zu machen. Außerdem werde er ein Konzept vorlegen, das das heutige Rentenniveau stabil halte, ohne die Beiträge für künftige Beitragszahler zu erhöhen. Das klingt fast zu schön um wahr zu sein. Auf alle Fälle ist es verwegen.

Ist Schulz ehrlich?

Das ist mit letzter Gewissheit natürlich nicht zu sagen. Aber er gibt sich an zwei Stellen Mühe, diesen Eindruck zu hinterlassen. Im Umgang mit der Agenda 2010 betont er, es stehe gerade auch einer großen Volkspartei gut an, sich zu korrigieren, wenn sie wie im Schonvermögen eigene Fehler erkannt habe. "Die SPD ist nicht die Partei der besseren Menschen", sagt Schulz - und erinnert daran, dass sich die SPD auch in der Bildungspolitik in der Vergangenheit geirrt habe.

Klar antwortet auch auf die Frage, ob er den Menschen versprechen könne, dass ihre Jobs trotz epochaler Umbrüche durch die Digitalisierung erhalten blieben. Schulz sagt: "Nein, das kann ich nicht." Der Versuch sei wichtig, sie so zu qualifizieren, dass aus neuen Ideen auch wieder neue Jobs erwachsen könnten. Mehr aber sei nicht drin. Schulz will kein Donald Trump sein. Der hatte im US-Wahlkampf vielen Arbeitern die Rückkehr in ihre alten Jobs versprochen.

Wie spricht er über seine Gegnerin, Kanzlerin Angela Merkel?

Sehr wenig. Er betont, dass Deutschland seine große Wirtschaftskraft den Menschen und nicht Angela Merkel verdanke. Und er erinnert daran, dass auch die CDU-Vorsitzende dem europäischen Stabilitätsmechanismus zugestimmt habe. Also einer zumindest teilweisen Vergemeinschaftung der Schulden in Europa. Ansonsten aber ist Merkel im Grunde kein Thema, für Sandra Maischberger nicht und für Schulz auch nicht wirklich.

Was sagt er zum Umfragehoch seines Vorgängers Sigmar Gabriel?

In diesem Moment wirkt er tatsächlich authentisch. Gabriel habe so gute Umfragewerte wie die Kanzlerin? "Das ist super", sagt Schulz und schmunzelt. Ob das umfassend ehrlich ist oder ein Moment größerer Schauspielkunst, bleibt sein Geheimnis. Neid oder Ärger sind jedenfalls nicht offen zu erkennen.

Was ist sein stärkster Moment?

Als die Moderatorin ihn mit der Behauptung herausfordert, das Kooperationsverbot aufzuheben (also dem Bund eine umfassende Mitfinanzierung der Schulen und Universitäten zu erlauben) sei erstens nicht zu machen und deshalb zweitens populistisch. Wieder fühlt sich Schulz nicht mehr befragt, sondern provoziert - und lässt viel von seiner Selbstkontrolle fahren. Natürlich werde er dafür kämpfen. Die Menschen würden sich in dieser Frage schon lange nicht mehr drum scheren, wer formal kompetent sei. "Das Kooperationsverbot müssen wir aufheben!"

Mit welchem Eindruck enden die 75 Minuten?

Mit dem Gefühl, dass Schulz noch immer sehr ringt mit den Rückschlägen der letzten Wochen. Aber auch mit dem Eindruck, dass er weiß, warum er Kanzlerkandidat werden wollte. Ob er sich mental wirklich lösen kann aus der bleiernen Zeit der letzten Wochen, lässt sich nach diesem Abend nicht sagen. Aber in der zweiten Hälfte ist deutlich geworden, dass er sehr leidenschaftlich kämpfen kann.

Freigelegt wird das freilich auch am Ende noch einmal durch eine Attacke. Dieses Mal von der Journalistin Ursula Weidenfeld, die ihm eine verfehlte, weil viel zu weit gehende Europapolitik vorhält. Davon angestachelt stürzt er sich ins Gefecht. Ein gemeinsamer Finanzminister? Ja, das halte er nicht für falsch, sondern absolut für richtig. Zumal es da nicht um eine totale Vereinheitlichung gehe, sondern um dringend gebotene Annäherungen. Eine dafür notwendige Vertragsänderung? Auch das halte er für unverzichtbar.

In Zeiten, in denen sich die USA abschotten würden und China mit geballter Macht auf den Weltmarkt dränge, "ist die EU sehr gut beraten, sich stärker zu vertiefen". Nein, die EU dürfe sich nicht länger mühsam von einem Gipfel zum nächsten schleppen. "Ich glaube, wir brauchen in Europa den großen Wurf." Und der sei mit Emmanuel Macron und ihm besser zu erreichen als mit Angela Merkel.

Am Anfang wirkt Schulz' Auftritt wie ein einziger großer Seufzer; am Ende bemüht er sich, Muskeln zu zeigen. Immerhin.

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