Frühstücksfernsehen:Merkel zum Müsli

ZDF Moderatorin Dunja HAYALI macht ein Selfie von der Gruppe Moderatoren der ARD und ZDF 25 Jahre M

Am 13. Juli 1992 startete das Moma der ARD, am 20. folgte die ZDF-Ausgabe, seither senden die beiden Anstalten abwechselnd. Beim Zweiten gehört Dunja Hayali zu den aktuellen Moderatoren.

(Foto: Annegret Hilse/imago/Sven Simon)

Vor vielen Jahren saß unser Autor in der Maske vom "Morgenmagazin" neben der zukünftigen Bundeskanzlerin. Eine Liebeserklärung an die Sendung von ARD und ZDF, die heute ihren 25. Geburtstag feiert.

Von Nico Fried

Am Rande des ZDF-Morgenmagazins begegnete einst ein Berliner SZ-Korrespondent zum ersten Mal Angela Merkel. Das war im Sommer 2003. Die damalige Oppositionsführerin saß kurz vor ihrem Auftritt gegen 7.20 Uhr in der Maske, hatte Spangen im Haar, Puder im Gesicht und eine mit Gerhard Schröder in der Nacht verhandelte Gesundheitsreform in der Tasche. Der SZ-Korrespondent hatte eben im Studio seine Meinung zu diesem Kompromiss kundgetan und kam nun zum Abschminken. Die Entfernung des Make-Ups ist nach keiner Sendung wichtiger als nach dem Moma , weil man sonst riskiert, den ganzen Tag mit einem bräunlich verschmierten Hemdkragen durch die Gegend zu laufen, aber das nur nebenbei. Vom Nachbarstuhl aus verwickelte Merkel den Journalisten in ein Fachgespräch über den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich und die Ärzteversorgung im ländlichen Raum. Sie war höflich genug, ihren Gesprächspartner nur dosiert merken zu lassen, dass er schlicht keine Ahnung hatte. Was stimmte.

Angela Merkel und das Morgenmagazin haben eine große Gemeinsamkeit: die völlige Unerwartbarkeit ihres Erfolges. Eine protestantische Frau aus dem Osten passte damals so wenig zur traditionellen CDU wie das Moma in seinem Gründungsjahr 1992 zum herkömmlichen TV-Programm und den Sehgewohnheiten der Deutschen. Die kannten zwar schon das Frühstücksfernsehen von Sat 1 und RTL, aber Nachrichten zum Nutella-Brot? Kohl zum Kaffee?

Mittlerweile schauen um die vier Millionen Menschen morgens mal ins Moma, wenn auch verteilt auf dreieinhalb Stunden. Jetzt feiert das Programm seinen 25. Geburtstag, und zwar doppelt: diesen Donnerstag das vom WDR produzierte Morgenmagazin der ARD, nächste Woche die Partnersendung im ZDF. Öffentlich-rechtliches Frühstücksfernsehen gibt es somit schon heute deutlich länger als Angela Merkel je Kanzlerin sein wird. Hoffentlich.

Man kann ja viel gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorbringen. Doch in kaum einer anderen Sendung erwehren sich ARD und ZDF so hartnäckig der Verflachung des Fernsehprogramms wie zwischen 5.30 und 9 Uhr. Um deren erschütterndes Ausmaß zu erleben, muss man nur einmal zur selben Zeit in die Konkurrenzprogramme zappen. Das Morgenmagazin von ARD und ZDF ist von Montag bis Freitag der Programm gewordene Widerstand gegen die unaufhaltsame Banalisierung von Information.

Natürlich braucht man ein Morgenmagazin nicht unbedingt, um morgens Bescheid zu wissen. Dafür gibt es schließlich die Zeitung. Aber in Zeiten einer überbordenden Nachrichtenflut wird aus dem potenziellen Konkurrenten Fernsehen eher ein Verbündeter: Eine halbe Stunde Moma, von den Nachrichten bis zum Sport, ist ähnlich wie in einer Zeitung der Versuch des Fernsehens, Ordnung zu schaffen. Es ist das Bemühen, das Wichtigste vom Wichtigen, das Wichtige vom Unwichtigen und Unterhaltung von Unerträglichkeit zu trennen.

Der Zuschauer beginnt den Tag mit der Gewissheit, geologisch in sicheren Verhältnissen zu leben

Nach einer halben Stunde Moma kennt man mindestens das bedeutendste politische Thema. Man weiß vom Gesundheitsratgeber, dass der Schmerz, der vom Blinddarm kam, wohl nur eine Blähung war. Man weiß auch, wann in den nächsten drei Tagen das beste Wetter zum Rasenmähen ist. Nach den Bildern vom Waldbrand in Kanada, der Flut in China oder dem Erdbeben in Italien beginnt der Moma-Zuschauer den Tag ohnehin in der Gewissheit, zumindest klimatisch und geologisch in vergleichsweise sicheren Verhältnissen zu leben. Die Tore vom Fußballspiel am Vorabend hat man endlich auch gesehen, dessen Live-Übertragung man wegen eines ausufernden Elternabends verpasst hatte.

Der politische Journalismus am Morgen ist mitnichten schlechter als der in den Vorzeigesendungen am Abend. Wer als Politiker am Stehtisch im Berliner ARD-Studio von Werner Sonne ausgefragt wurde, dürfte sich eher in einem Verhör gewähnt haben, denn in einem Interview. Und Sonnes Nachfolgerin Christiane Meier fragt nicht nur kritisch, sie guckt auch oft erschreckend skeptisch.

Ein einziger Satz eines Politikers im Moma kann die politische Agenda des ganzen Tages bestimmen

Moma-Moderatoren müssen sich nicht nur schnell, sondern auch zu einer Uhrzeit in Themen wie den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich einarbeiten, in der ein Organismus für gewöhnlich anderes vorhat. Das ist eine harte Schule. Es ist kein Zufall, dass vor allem im ZDF viele erfolgreiche Moderatoren oder Korrespondenten - Maybrit Illner, Dunja Hayali, Christian Sievers - im Moma in die Lehre gingen. Peter Frey, sein Erfinder auf ZDF-Seite, ist heute Chefredakteur.

Das Morgenmagazin hat sich über die Jahrzehnte modernisiert und zugleich etwas altmodisch Verlässliches bewahrt, in der ARD personifiziert durch Peter Großmann vom Sport, der das seit 1996 so kundig wie unterhaltsam macht. Peter Großmann ist schwer wegzudenken, ein Norbert Lammert des Morgenmagazins.

Weil am Morgen in der Regel weniger Bilder verfügbar sind als am Ende eines Tages, muss das Frühstücksfernsehen mehr Mut zum Wort aufbringen als Heute-Journal oder Tagesthemen - zum Korrespondentengespräch, zum Politikerinterview, zur Expertenbefragung. Vielleicht ist ein Grund für den Erfolg, dass man wie früher beim Radio auch über lange Strecken einfach nur zuhören kann. Ein einziger Satz eines Politikers um 7.12 Uhr im Moma kann die politische Agenda des ganzen Tages bestimmen. Selbst wer als politischer Journalist das Moma nicht schaut, begegnet ihm in der Regel spätestens am Schreibtisch bei Lektüre der Agenturmeldungen.

Für den Zeitungsjournalisten hat im übrigen die Einladung zur Presseschau einen besonderen Reiz. Man erhält ein Honorar für das, was man sowieso tun muss: die Zeitung lesen. Und man trifft womöglich in der Maske einen künftigen Bundeskanzler - auch wenn man es im ungeschminkten Zustand den wenigsten sofort zutraut.

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