Flüchtlings-Doku "Land in Sicht":Gefangene der Provinz

Arte-Doku "Land in Sicht"

Brian Ngopan beim Altstadt-Sommerfest in Bad Belzig (Brandenburg)

(Foto: Indi Film)

Eine fremde Frau heiraten - für eine Aufenthaltserlaubnis? Ist das Freiheit? Die Arte-Doku "Land in Sicht" begleitet Flüchtlinge in Deutschland. Der Film verzichtet auf Opferklischees und besticht durch tragischen Humor.

Von Daniel Lehmann

Brian Ngopan sitzt in einer Kneipe im brandenburgischen Bad Belzig und nippt an einem Bier. Der Kameruner beobachtet, wie andere Schwarze mit weißen Frauen zwischen 40 und 50 tanzen. Manche von ihnen sind wie er Asylsuchende. Sie tanzen, weil sie verzweifelt deutsche Papiere brauchen. Eine Heirat oder ein Kind mit einer Deutschen würde die drohende Abschiebung verhindern. Auch Brian spielt mit dem Gedanken, bekommt Avancen. Doch sein Unbehagen ist deutlich erkennbar. "Wie lebst du mit der Frau, für die du nichts empfindest? Das ist es mir nicht wert", wird er später sagen. "Ich will meine Freiheit."

In der Dokumentation "Land in Sicht" zeigen die Regisseurinnen Antje Kruska und Judith Keil Momente, in denen Flüchtlinge in Deutschland vor schwierigen Entscheidungen stehen. Schwierig vor allem deshalb, weil von ihnen oft die Hoffnungen auf ein neues Leben abhängen. Ein Jahr lang wurden die Protagonisten bei jedem Schritt im noch fremden Land mit der Kamera begleitet, ihre Ängste, Sehnsüchte und Träume festgehalten. Angefangen hat es für sie alle in einem kleinen Asylbewerberheim in Bad Belzig.

Dort lebt auch Farid Sahimi. Er nahm mit seinem Bruder vor zwei Jahren an Protesten gegen das iranische Regime teil und flüchtete anschließend aus Angst. Frau und Kind musste er zurücklassen und hat sie seither nicht mehr gesehen. Eigentlich wollten die Brüder in die Schweiz, doch das Flugzeug landete in Berlin. "Deutschland ist voller Nazis und Hitler lebt noch - kein schönes Land für Ausländer", war Farids erster Gedanke.

Sprachbarrieren und Schocknachrichten

Im ostdeutschen Provinzstädtchen fällt den beiden die Eingewöhnung dann auch schwer, trotz des couragierten Einsatzes von Heimleiterin Rose Dittfurth. Farid beherrscht die japanische Kampfsportart Aikidō und darf in einem Sportstudio einen eigenen Kurs leiten. Sein Deutsch ist allerdings ebenso schlecht wie das Englisch seiner Kursteilnehmer. Dennoch freut man sich als Zuschauer über die ersten vorsichtigen Annäherungsversuche. Farid belastet das Leben ohne seine Familie letztlich aber so sehr, dass er therapeutische Hilfe sucht .

Brian sucht Arbeit bei einem zweifelhaften Finanzdienstleister, muss aber erkennen, dass das nichts für ihn ist. Dann folgt der Schock: Die Ausländerbehörde lehnt seinen Antrag ab, weil Kamerun kein Krisengebiet ist. Er wird nun vorerst geduldet. In der Praxis heißt das: Er darf Brandenburg nicht verlassen und auch keine Arbeit annehmen.

"Land in Sicht" vermeidet es, die sympathischen Protagonisten als Opfer darzustellen. Viele Szenen bestechen eher durch tragischen Humor. So zum Beispiel, wenn Farid die lange Bearbeitungszeit seines Antrags damit erklärt wird, dass es im Amt auch Krankheitstage und Urlaube gebe. Oder wenn Brian über ein afrikanisches Lied schmunzeln muss, das eine Frau bei einem Dorffest vorträgt, nachdem er seine Einsamkeit beklagt hatte.

Der Film erklärt die deutsche Asyl- und Flüchtlingspolitik nicht. Es werden keine Statistiken zitiert oder Experten interviewt. Die Regisseurinnen zeigen vielmehr sensibel, was ein Asylverfahren für echte Personen in der Realität bedeuten kann. Und gibt damit einer Gruppe, die regelmäßig als Zielscheibe für blinden Hass und Verunglimpfungen herhalten muss, ein menschliches Gesicht.

Land in Sicht - gestrandet in Deutschland, Arte, 30. Januar um 22:40

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