EU-Programm gegen Fake News:Alles gar nicht so schlimm

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Kann denn das die Wahrheit sein? Installation der New Yorker Aktivistengruppe Avaaz mit Mark-Zuckerberg-Pappkameraden vor dem Kapitol in Washington D.C. Die Gruppe will Facebook zur Entfernung von Fake News bringen.

(Foto: Imago/UPI Photo)

Die EU-Kommission will gegen Fake News keine harten Maßnahmen ergreifen. Stattdessen setzt sie auf Bildung, ein Netz von Factcheckern - und die Antwort auf die Frage: Ist eine Lüge illegal?

Von Thomas Kirchner

Man könnte es Věra Jourová nachsehen, wenn sie die Orientierung verloren hätte. Die EU-Kommissarin für Justiz und Verbraucherschutz ist vielseitig gefordert in diesen Monaten. Vom Facebook-Skandal bis zu Fake News - sie wirkt, als wollte sie alle Probleme der digitalen Welt gleichzeitig beheben.

Immerhin scheint die Tschechin einen Kompass zu haben. Jedenfalls hinsichtlich der Frage, ob und was die Politik regulieren sollte. Stets betont sie die Gefahr, die der Meinungs- und Informationsfreiheit drohe, wenn die Politik zu weit gehe. Deshalb hat die Brüsseler Behörde, anders als die Bundesregierung, bis jetzt gezögert, gesetzliche Regelungen vorzuschlagen und auf freiwillige Mitarbeit der Plattformen gebaut. Was Terrorismus oder Kinderpornografie im Netz betreffe, werde man wohl nicht um Regulierung herumkommen, sagt Jourová. Hassrede aber sei heikles Terrain. "Und Desinformation und Fake News sind am problematischsten. Ist eine Lüge illegal? Damit würden wir zu weit gehen." Es könne aber, sagt die Kommissarin, "weiche Maßnahmen" geben, um das Problem anzugehen. Ideen dazu hat ihr Haus in Form einer 15-seitigen "Kommunikation" aufgeschrieben, die an diesem Donnerstag veröffentlicht wird und der Süddeutschen Zeitung als Entwurf vorliegt. Vom belasteten Begriff "Fake News" ist darin bewusst nicht die Rede, nur von Desinformation: "falscher und irreführender Information, die erzeugt und verbreitet wird, um wirtschaftlichen Vorteil daraus zu ziehen oder die Öffentlichkeit bewusst zu täuschen und ihr damit zu schaden". Gefährlich für die Demokratie sei sie, weil sie das Vertrauen in die gesellschaftlichen Institutionen aushöhle und die Bürger daran hindere, informierte Entscheidungen zu treffen, nicht zuletzt bei Wahlen.

Eine "einfache Lösung" gebe es nicht, so die Kommission. Zunächst müssten die Plattformen eingebunden werden: Sie sollen offener informieren über Verdienst, Anzeigenplatzierungen, Sponsoren, sie bräuchten Hilfe beim Schließen falscher Accounts. Mittels "Indikatoren" sollen Nutzer künftig die Vertrauenswürdigkeit von Netz-Quellen besser beurteilen können. Organisationen, die Fakten prüfen, etwa aus der Wissenschaft, müssten leichter Zugang zu Daten der Plattformbetreiber erhalten, um Desinformation besser analysieren und beobachten zu können. Gar ein europaweites Netz von "Factcheckern" soll entstehen, um einen Standard zu entwickeln und Erfahrungen zu teilen. Alle Betroffenen - also Vertreter von Plattformen, Werbung, Politik und Wissenschaft - will die Kommission bald an einen Tisch setzen, um bis zum Juli einen "Praxiskodex" zu entwickeln. Vorbild ist der Verhaltenskodex zu Online-Hassrede, den die Großen der Branche wie Facebook, Yahoo und Microsoft freiwillig unterzeichnet haben. Daneben wünscht sich die Behörde mehr Forschung und Aufklärung über das Wesen von Desinformation.

Parallel dazu soll der Nachwuchs widerstandsfähiger werden; hier sei das Bildungssystem gefragt, die Jungen kritikfähig zu machen, ihnen digitale Fertigkeiten zu vermitteln. Die Kommission selbst verspricht immerhin, eine "europäische Woche der Medienkompetenz" zu organisieren. Und sie vergisst nicht, einen Grundpfeiler jeder demokratischen Gesellschaft zu erwähnen: Journalismus und Qualitätsmedien. Sie sollten in der "digitalen Umwelt" noch mehr unterstützt werden. Gleichzeitig müsse "das Verhältnis zwischen Medien und Online-Plattformen neu austariert" werden. Hier geht es um die gerechte Verteilung der Verdienste zwischen Rechteinhabern und Plattformen, ein Ziel der laufenden EU-Urheberrechtsreform. Die Kommission "erwägt" sogar, sich irgendwann zum Ausmaß zu äußern, mit dem die Mitgliedstaaten ihren Medien finanziell unter die Arme greifen dürfen.

Mit ihrem "weichen" Ansatz hat die Kommission mehr oder weniger die im März vorgelegten Empfehlungen einer Expertengruppe übernommen, der auch Rasmus Nielsen angehörte, Journalismus-Professor an der Universität Oxford. Sicher würden nun all jene Kritik üben, die meinen, dass schnell etwas Entscheidendes, Weitreichendes getan werden müsse, sagt Nielsen. "Das mag emotional beruhigend wirken. Aber nach allem, was wir wissen, ist eine harte Regulierung kein effizientes Mittel gegen Online-Desinformation - ja vielleicht sogar kontraproduktiv." Sinnvoller sei es, alle Beteiligten gut einzubinden. Politik und Behörden sollten diesen Prozess erleichtern, aber nicht federführend tätig sein. Bei Medienkompetenz, Forschung und der Hilfe für Qualitätsmedien bleibe die Kommission leider vage. Die Experten hatten Ausgaben in Höhe von mindestens 120 Millionen Euro angeregt.

Oder wird das Problem etwa überbewertet? "Falschnachrichten haben eine geringere Verbreitung als allgemein angenommen", heißt es in einer Studie der Uni Oxford, die auf Analysen französischer und italienischer Online-Inhalte basiert. Zum selben Schluss kommt ein Forschungsbericht der London School of Economics. Demnach werden Nutzer sozialer Medien in erstaunlich hohem Maße mit abweichenden politischen Meinungen konfrontiert - die empirische Forschung scheint also die These von der schädlichen Filterbubble nicht zu stützen. Im Übrigen wirke sich Desinformation nur begrenzt auf das politische Wissen der Bürger aus.

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