Bundestagswahl:Sind die Medien Schuld am Erfolg der AfD?

Bundestagswahl: Wir müssen reden: Die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel am Wahlabend im Interview mit einem ZDF-Reporter.

Wir müssen reden: Die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel am Wahlabend im Interview mit einem ZDF-Reporter.

(Foto: ZDF/Screenshot)

Nach der Bundestagswahl wird der Vorwurf laut, die Berichterstattung von Sendeanstalten und Verlagen hätte den Erfolg der AfD überhaupt erst ermöglicht. Aber stimmt das wirklich?

Von Karoline Meta Beisel, David Denk und Alexandra Föderl-Schmid

Am frühen Sonntagabend, die erste Hochrechnung war noch keine Stunde alt, konnte man das Schauspiel erneut beobachten. Auf der Wahlparty der AfD betrat deren Spitzenkandidat Alexander Gauland die Bühne und kündigte an, "Frau Merkel oder wen auch immer jagen" zu wollen. "Jagen"? Die Wortwahl war gewohnt schrill. Gaulands Äußerung wurde in vielen Medien sofort zitiert, häufig kritisiert und im Gespräch mit anderen Politikern dutzendfach wiederholt.

Fast genauso schnell war auch ein Schuldiger dafür gefunden, dass Gauland in der kommenden Legislaturperiode überhaupt jemanden jagen kann. "Darüber wird in den nächsten Wochen noch zu diskutieren sein, in welchem Ausmaß die beiden öffentlich-rechtlichen Sender massiv dazu beigetragen haben, die AfD nicht klein zu machen, sondern sie groß zu machen", beschwerte sich der CSU-Politiker Joachim Herrmann in der TV-Elefantenrunde.

In der Sache ähnlich, aber weniger empört, formulierte es der scheidende grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele im ZDF: "Ich empfehle allen, auch Ihnen hier beim ZDF oder auch bei der ARD, nicht jeden Furz oder jeden Spruch, den ein AfDler loslässt, selbst wenn der schlimm ist, tagelang, wochenlang immer wieder zu drehen und zu kommentieren. Sie haben die hochgebracht dadurch."

Medienerfolg gleich Wahlerfolg - kein neuer Effekt

Der Vorwurf, über die AfD und ihre Entgleisungen werde vor allem in ARD und ZDF zu viel berichtet, stand schon vor dem Wahlsonntag im Raum. Nachdem die Partei nun aber 12,6 Prozent der Wähler zur Stimmabgabe bewegen konnte, stellt sich die Frage drängender denn je: Sind die Medien, in der Logik dieses Vorwurfs also die großen Sendeanstalten und Verlage, Schuld am Erfolg der AfD?

Den kausalen Zusammenhang müsse man bejahen, sagt Carsten Reinemann, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, der über Populismus und Medien forscht: "Je häufiger eine Partei in den Medien vorkommt, je positiver über sie berichtet wird oder je stärker ihre Themen in Mittelpunktstehen, umso eher kann eine populistische Partei profitieren", sagt er. Medienerfolg gleich Wahlerfolg - kein neuer Effekt, vor ein paar Jahren half er der Piratenpartei ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Doch da die Piraten politisch längst nicht so stark polarisierten wie die AfD und auch weniger Stimmen erreichten, empörte sich darüber niemand. Mittlerweile sind die Piraten in der politischen Bedeutungslosigkeit versunken.

Ganz anders jetzt die AfD. Das Flüchtlingsthema war im Wahlkampf tatsächlich eines der wichtigsten, im TV-Duell von ARD, ZDF, Sat 1 und Pro Sieben sogar das wichtigste - schon diese Gewichtung war mit Verweis auf zu viel Aufmerksamkeit für AfD-Standpunkte kritisiert worden.

Doch über die Partei wurde keineswegs nur positiv berichtet - im Gegenteil: Ihr wurde vor allem auch für allerlei Entgleisungen Sendezeit und Platz eingeräumt. Für Gauland und seine Parteikollegen könnte das von Vorteil gewesen sein, sagt Reinemann. Zum einen, weil eine Partei auch mit negativen Beiträgen im Gespräch bleibe. Zum anderen aber auch, weil Kritik durch den der AfD so verhassten öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Partei in ihrer Opferrolle noch bestärkt habe.

Trotzdem bleibt die Frage, ob etablierte Medien in Zeiten, in denen eine Partei wie die AfD ihre Parolen bei Facebook platzieren kann, tatsächlich Themen kleinhalten kann, indem sie nicht darüber berichten. Oder ob man den Einfluss der Journalisten nicht überschätzt. Reinemann sagt: "Die AfD-Anhänger, die ein kulturell und religiös homogenes Deutschland wollen, die auf eine vermeintlich einheitliche, traditionelle deutsche Identität pochen, die wird man nicht erreichen." Anders formuliert könnte man sagen: Diese Menschen brauchen nicht das ZDF, um die AfD gut zu finden.

ARD und ZDF weisen die Kritik zurück

Überhaupt, sagt Reinemann, mache man es sich "zu leicht, wenn man Medien vorwirft, sie hätten zu viel über die AfD berichtet." Die Frage sei ja, was die Alternative gewesen sei, die Alternative für Deutschlands Medien sozusagen. Völlige Nichtbeachtung komme bei einer Partei mit so einer breiten Anhängerschaft ja auch nicht infrage, und es sei eben auch Aufgabe der Medien, "auf Grenzüberschreitungen hinzuweisen, die über den demokratischen Konsens hinausgehen", sagt Reinemann.

Tanjev Schultz, Professor am Journalistischen Seminar der Mainzer Gutenberg-Universität glaubt, dass der Umgang mit der AfD für ARD und ZDF besonders heikel sei: "Diese Sender haben ja den Anspruch, für alle Zuschauer da zu sein. Sie müssen sich also einerseits abgrenzen und distanzieren - andererseits aber auch Zuschauer bedienen, für die die AfD eine echte Wahloption ist." Da hätten es die öffentlich-rechtlichen Sender schwerer als zum Beispiel eine Zeitungsredaktion.

ARD und ZDF weisen die Kritik aus der Elefantenrunde am Montag zurück: "Wir machen keine Partei groß oder klein", sagt ARD-Chefredakteur Rainald Becker auf Anfrage. Aufgabe der Öffentlich-Rechtlichen sei es, "möglichst objektiv und unabhängig" über "die von den Partien selbst in den Vordergrund gerückten Themen und Argumente" zu berichten, "und das haben wir getan". Ein Sprecher des ZDF führt aus, alle Parteien seien dabei "nach dem Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit berücksichtigt" worden. Bei Bild, deren plakative Schlagzeilen der AfD im Wahlkampf oft Steilvorlagen lieferten, heißt es, nicht die Berichterstattung über die AfD habe die Partei groß gemacht, "höchstens der Mangel an Berichterstattung über manche von der AfD besetzten Themen". Und ARD-Mann Becker sagt: "Die Kritik an dem Ergebnis für die AfD müssen sich die Parteien selbst gefallen lassen und nicht im Nachhinein an die Journalisten von ARD und ZDF weiterreichen." Die Frage, wie Medien mit populistischen Parteien umgehen sollen, stellt sich nach der Wahl wieder neu. Aber sie ist nicht neu. In Österreich wird sie seit 1986 debattiert, als Jörg Haider die FPÖ übernahm und mit seinen strammen Anti-Ausländer-Positionen in TV-Runden ausführlich zu Wort kam. Bei der letzten Wahl holte die FPÖ unter ihrem jetzigen Vorsitzenden Heinz-Christian Strache 20,5 Prozent der Stimmen, da erübrigt sich die Frage, ob die Partei nun ins Fernsehen eingeladen wird oder nicht. Österreich zeigt aber auch, wie weit sich Parteien heute von den etablierten Medien unabhängig machen können: Die FPÖ und Strache nutzen vor allem Facebook, es gibt ein eigenes FPÖ-TV - Moderatorin ist Straches Ehefrau.

Mit der AfD zieht nun übrigens erstmals eine Partei in den Bundestag ein, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt infrage stellt. Und das, obwohl er der Partei angeblich so eine große Hilfe war.

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