Arte-Doku:Wie die Angst Europa nach rechts driften lässt

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Nationalfeiertag in Kroatien: Menschen tanzen auf den Straßen von Knin zu faschistischen Liedern. Die eigentlich im Land verboten sind. (Foto: © Christopher Bobyn, GHfilms)

Eine Arte-Doku beleuchtet den Erfolg rechtsextremer Bewegungen in Europa. Sie machen sich die Angst der Bevölkerung zunutze - und einen Sündenbock.

TV-Kritik von Carolin Gasteiger

Die AfD ist nur der Anfang. Oder vielmehr nur ein kleiner Teil einer länderübergreifenden europäischen Rechtsbewegung. "Ultrarechte formieren eine Gegenallianz zur EU", heißt es in einer Dokumentation, die an diesem Dienstagabend auf Arte läuft. "Rechts, zwo, drei - driftet Europa ab?", lautet der Name des Films, der beleuchtet, wie sich rechte Parteien und Organisationen die Angst der Bevölkerung zunutze machen. "Überall dort, wo Sie keine Fremden haben, ist die Angst vor Fremden am größten", sagt ein Soziologe. Und, das ist das Interessante, sie ist in ganz Europa zu spüren.

Ob in Deutschland die Angst vor den Einwanderern, in Ungarn die Angst vor den Roma, in Frankreich vor den Muslimen, in Kroatien vor den Serben: Überall da, wo Menschen verunsichert sind, liefern ihnen rechte Gruppierungen einen Schuldigen - die EU. Sie greife die Souveränität der einzelnen Staaten an, verhindere Traditionsbewusstsein und Aufschwung und suggeriere, dass die Regierung vor lauter Hilfsbereitschaft ihre eigene Leute vergesse, lautet die Botschaft. An einer Stelle sagt ein junger Mann: "Wenn ich mich nicht für unser Volk einsetze, tut es keiner. Es ist meine Pflicht."

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Auch wenn einzelne Aspekte, etwa der Erfolg der AfD, bekannt sind, macht das internationale Zusammenspiel, machen die vielen unterschiedlichen Perspektiven, Stimmen und Orte die Dokumentation sehenswert. Es ist erstaunlich und beängstigend zugleich, wie die rechten Parteien die Verunsicherung der Menschen für ihre Zwecke nutzen, Geschichte zu ihren Gunsten umdeuten und nationale Souveränität über jegliche Solidarität stellen. Ihre Anhänger übernehmen diese Sicht der Dinge anscheinend dankbar und ohne sie zu hinterfragen.

Der Film zeigt auch, wie die rechten Tendenzen alle Bevölkerungs- und Altersschichten durchdringen. Wenn etwa Rentner in Dresden fürchten, dass bald vier Milliarden (sic!) Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Oder wenn eine junge Polin die regierende nationalkonservative Pis-Partei unterstützt und es als Affront Merkels und Eingriff in die Souveränität ihres Landes empfindet, ankommende Flüchtlinge innerhalb Europas zu verteilen. Vor allem die radikalen Tendenzen in Kroatien, wo auf einem Volksfest völlig offen faschistische Lieder gesungen und Nazi-Devotionalien verkauft werden, lassen einen verstört zurück. "Als würde man in Berlin den Nationalfeiertag mit Hakenkreuzen begehen", kommentiert die kroatische Schriftstellerin Slavenca Drakulić die Aufnahmen.

Auch wenn kritische Stimmen wie ihre in der Dokumentation zu Wort kommen, verklingen sie fast gegenüber den überzeugt auftretenden rechten Protagonisten. Und so muss nach 87 Minuten die traurige Antwort auf die titelgebende Frage des Films leider Ja lauten. Europa driftet ab.

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"Rechts, zwo drei - driftet Europa ab?", Arte, 20.15 Uhr

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