Osteuropa:Rasanter Demokratieabbau

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Jaroslaw Kaczynski: Gegenwind aus der Zivilgesellschaft (Foto: REUTERS)

Autoritäre Führung, Abschottung, Verweigerung: Warschaus neue Regierung eifert dem "Modell Ungarn" nach. Nur: die Polen werden da nicht mitmachen.

Kommentar von Cathrin Kahlweit

Der Demokratieabbau in Polen schreitet so rasant voran, dass sich selbst jene Pessimisten die Augen reiben, die zumindest auf eine schamhaftere, vorsichtigere Gangart der neuen, mit überwältigender Mehrheit ausgestatteten konservativen Regierung gesetzt hatten. Entmachtung des Verfassungsgerichts, Kontrolle staatlicher Medien, Nationalisierung der Kultur, die Besetzung wichtiger Gremien mit eigenen Leuten, Angriffe auf Europa, all das gleich in den ersten Wochen nach dem Amtsantritt - das ist, wenn man zynisch sein will, schon eine starke Leistung.

Nicht mal Viktor Orbán war 2010, als er zum zweiten Mal zum Premier Ungarns gewählt wurde, so effektiv - und der hatte es mit dem Umbau des Staates in eine von der Regierungspartei und ihrer Ideologie gesteuerte Verwaltungseinheit auch schon sehr eilig. Die Mechanik war die gleiche: Verfassung, Medien und Kultur wurden so gut wie möglich auf Fidesz-Kurs gebracht, später folgte eine Renationalisierung wichtiger Wirtschaftsbereiche, zugleich wurden wichtige Gremien und Posten im Land mit regierungstreuen Politikern und Managern besetzt.

Eifert Polen dem "Modell Ungarn" nach?

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Und so macht sich in Brüssel und den westlichen Hauptstädten, die auf das Überleben eines solidarischen Europa und die engere Kooperation aller EU-Staaten in der Flüchtlingsfrage zu hoffen wagen, die Sorge breit, Polen eifere dem "Modell Ungarn" nach. Und andere Länder, in denen die Wähler derzeit den Rechtspopulisten nachlaufen, könnten folgen.

Man muss allerdings kein Prophet sein, um die Voraussage zu treffen, dass es dazu so nicht kommen wird. Denn das "Modell Ungarn" ist in seiner Art einzigartig. Die "Orbánisierung der Gesellschaft", die in Ungarn mittlerweile verwurzelt ist, dürfte - langfristig und in ihrer Gänze - nur mit hohen sozialen Kosten und massiven gesellschaftlichen Verwerfungen auf andere EU-Länder zu übertragen sein. Auch wenn diese, so wie Polen, das Modell mit Macht zu kopieren suchen.

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Das zeigt sich schon daran, dass es in Ungarn drei Jahre dauerte, bis empörte Bürger in großer Zahl auf die Straße gingen und sich, vor allem via Internet, eine Reihe kleiner und großer Protestgruppen organisierte, aus denen letztlich eine (erfolglose) Partei entstand. In Polen dauerte es keine drei Wochen, und schon standen 50 000 wütende Menschen vor dem Parlament, um Jarosław Kaczyński und seinen Handlangern/-innen in der Regierung zu signalisieren, dass man so nicht gewettet hatte.

Und so, wie sich einst Intellektuelle im Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) und später dann Arbeiter in der Gewerkschaft Solidarność gegen eine verhasste Regierung zusammenfanden, so kündigte der müde Recke Lech Wałęsa schon jetzt an, erneut in den Krieg für den Rechtsstaat ziehen zu wollen. Und Intellektuelle gründeten in Anlehnung an das KOR umgehend ein KOD - ein Komitee zur Verteidigung der Demokratie.

Man soll Vergleiche zwischen Staaten und Völkern nie überstrapazieren, aber Polen und Ungarn haben wenig gemeinsam. Ungeachtet der aktuellen Sehnsucht nach einer starken Führung, der Abschottung gegen die Unbill einer feindseligen Welt und der Weigerung, sich zu mischen und zu teilen mit den Flüchtlingen, die gerade in Massen gen Europa ziehen. Und ungeachtet der Tatsache natürlich, dass sie sich als ehemalige Satelliten der UdSSR in einen schmerzhaften Prozess der wirtschaftlichen Abnabelung, des politischen Umbaus und der historischen Aufarbeitung begeben mussten.

Aber die hochpolitisierte, gern als tendenziell "anarchisch" beschriebene Gesellschaft in einem Staat, der lange gar nicht als Staat existieren durfte, wird sich in Polen auf Dauer nicht von einer Regierungspartei Pis das wegnehmen lassen, wofür sie letztlich Hunderte Jahre gekämpft hat.

In Ungarn hingegen richtete sich der politische Widerstand traditionell nach außen; die Revolution von 1848 gegen die Habsburger einte die nationale Elite. Ein Jahrhundert später, nach dem Aufstand 1956, verließen die meisten Oppositionellen das Land; wer blieb, lief mit. Der sanften Wende 1989 folgte keine innere Umwälzung, keine Geschichtsaufarbeitung.

Orbán übernahm ein gespaltenes, zerstrittenes, herabgewirtschaftetes Land. Die nationale Revolution, die er ausrief, wurde zu einer Rettungsaktion verklärt: Plötzlich wurde Ungarn wieder zu einer auserwählten Nation mit tausendjähriger Geschichte und quasi einzigartiger DNA, geeint im Kampf gegen eine kosmopolitische, linksintellektuelle, offene, internationale Gemeinschaft. David gegen Goliath, Orbán gegen die ganze Welt.

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Es gab und gibt praktisch keine organisierte, effektive Opposition in Ungarn, und durch eine intensive Klientelpolitik sind nach knapp sechs Jahren alle wichtigen Netzwerke und Entscheider versorgt und ideologisch auf Linie gebracht. Der Widerstand an der Basis: marginal. Am vergangenen Wochenende wurde der Premier auf einem Parteikongress von 2000 Delegierten fast einstimmt wiedergewählt und kündigte an, er werde weiterregieren, weit über 2018 hinaus.

Das Prestigeprojekt für den Premier wird zu drei Vierteln mit EU-Geld bezahlt

In Brüssel wurde auf dem jüngsten Flüchtlingsgipfel die Idee des österreichischen Kanzlers diskutiert, jene Staaten finanziell abzustrafen, die sich einer solidarischen Lösung verweigern. Polen gehört dazu, Tschechien und die Slowakei auch, Ungarn sowieso. Vertragsrechtlich ist das mehr als schwierig.

Orbán würde eine solche Maßnahme ins Mark treffen. Die ungarische Regierung schmückt sich mit Investitionsvorhaben, die aus EU-Töpfen finanziert sind, während sie laut auf die EU schimpft. Schönstes Beispiel: In Orbáns Heimatdorf soll neben einem überdimensionierten Fußballstadion eine kleine Eisenbahn entstehen, wie man sie in Freizeitparks findet. Halten soll das Bähnchen am Stadion und einem Arboretum. Die Internet-Seite steht schon; das Prestigeprojekt für den Premier wird nach Medienrecherchen zu drei Vierteln mit EU-Geld bezahlt.

Trotz hoher Zustimmungswerte steigt auch in Ungarn die Zahl derer, die wegen Orbán und seiner Politik das Land verlassen. In Polen sind schon für diesen Samstag die nächsten Proteste angesagt.

© SZ vom 19.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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