"Wie ich euch sehe" zu Motorradfahrer:"Wir sind kein Söldnertrupp"

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Protokollserie "Wie ich euch sehe" Folge Chopperfahrer (Foto: Illustration Jessy Asmus für SZ.de)

Sie werden als Raser beschimpft und mit kriminellen Rockern gleichgesetzt. Ein Motorradfahrer erzählt, was in seinem Club wirklich passiert - und wie weit die Loyalität untereinander geht.

Protokoll von Johanna Bruckner

In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Menschen zu Wort, denen wir täglich begegnen, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Patienten, Mitmenschen. Diesmal erzählt Stefan R. von seinen Erfahrungen als Motorradfahrer. Über Raser auf zwei Rädern, gemeingefährliche Lkw-Fahrer - und die Loyalität in einem Motorradclub.

Angst hatten meine Eltern nie um mich - ich komme aus einer Motorradfahrerfamilie. Nachdem meinem Vater ein Bein amputiert werden musste, ließ er als Erstes sein Motorrad auf Beiwagenbetrieb umstellen. Das Bein verlor er übrigens nicht bei einem Motorradunfall, sondern durch einen Krankenhausvirus. Ich musste also nie ankündigen, dass ich den Motorradführerschein machen will, bei mir wurde nachgefragt: "Wann ist es denn soweit?"

Mein erstes Fahrzeug bekam ich mit drei Jahren geschenkt, ein E-Motorrad für Kinder. Damit habe ich direkt den Weihnachtsbaum umgenietet. Mit 14, 15 fuhr ich schwarz die Vespa mit Handgangschaltung meines Vaters oder die Roller meiner Kumpels auf Fahrradwegen. Mit 16 durfte ich endlich legal fahren: Ich machte den Führerschein für die 125er Klasse, mit 18 folgte der Autoführerschein und parallel der große Motorradführerschein. Seit ich 20 bin besitze ich eine Chopper, die fahre ich jetzt seit drei Jahren. Außerdem bin ich Mitglied in einem Motorradclub, genau wie mein Vater.

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Es gibt immer mal wieder Konflikte mit Autofahrern. Bei einigen habe ich das Gefühl, dass sie Motorradfahrer gezielt foppen. Letzte Woche hatte ich ein negatives Erlebnis mit einem Lkw-Fahrer: Ich war nach der Nachtschicht auf einer langgezogenen Landstraße unterwegs, als er mir entgegenkam und sich offenbar von meinem Licht gestört fühlte. Der dachte wohl, ich hätte das Fernlicht an, was aber nicht der Fall war. 300 Meter vor mir wirft der seine komplette Lichtanlage an. Ich konnte nicht einmal mehr den Fahrbahnrand zur Orientierung erkennen - war praktisch blind. Lichthupe hat nichts geholfen. Mir blieb nur noch, runterzubremsen und darauf zu hoffen, dass ich ohne Schaden an ihm vorbeikomme.

Den Typen hätte ich am liebsten aus seiner Fahrerkabine gezogen! Aber umdrehen und hinterherfahren bringt nichts: Ein Lkw muss dich nur touchieren, und es ist vorbei mit dir. Also begnügte ich mich damit, ihm den Mittelfinger zu zeigen.

Es gibt zwei Typen von Motorradfahrern

Ich kenne das Vorurteil gegen Motorradfahrer: "Alles rücksichtslose Raser!" Klar, ich schlängel' mich im stehenden Verkehr auch mal vor bis an die Ampel. Aber im fließenden Verkehr ausscheren, einscheren, ein Auto nach dem anderen überholen, nur damit man eine halbe Minute früher am Ziel ist - das muss nicht sein.

Meiner Beobachtung nach gibt es zwei Typen von Motorradfahrern: Da sind die, die anständig fahren und etwas von der Landschaft sehen wollen. Dazu gehören die meisten Chopper-Fahrer wie ich. Wir geben auch mal Gas, aber nicht so wie die zweite Gruppe: Die müssen mit ihren Rennmaschinen überall rumheizen und bringen nicht nur sich selbst, sondern auch andere in Gefahr. Wenn wir mit unserem Club in Kolonne fahren - was da teilweise für Idioten an uns vorbeischießen, da platzt mir der Kragen!

Bei unserer letzten Ausfahrt haben sich die ganze Zeit irgendwelche Supersportler an uns vorbeigezwängt. Einmal war es mit dem Gegenverkehr so knapp, dass ich als Kolonnenführer geschnitten wurde. An der nächsten Tankstelle stieg mein Kumpel vom Bock runter, marschierte auf die zu und wollte ihnen eine reinhauen. Ich hab' dann gesagt: "Komm, lass stecken - die fallen früh genug auf die Schnauze!"

In der Kolonne stellt sich ganz schnell raus, ob jemand eine Ego-Show abzieht. Wenn einer andere ausbremst, damit er selbst Kurven schneller fahren kann, bekommt er eine Ansage: "Digga, wenn wir in der Kolonne fahren, fahren wir zusammen!" Nach der ersten Standpauke klappt es meistens. Wir haben auch schon mal zwei Clubmitglieder rausgeschmissen, das lag aber nicht an ihrer Fahrweise. Die haben auf Partys eine dicke Lippe riskiert, damit wollte unser Club nichts zu tun haben.

Egal, ob sich jemand auf der Straße oder im Clubhaus daneben benimmt - sowas klären wir am liebsten unter uns. Loyalität und Freundschaft sind ganz wichtig. Aber wir sind nicht die Hell's Angels oder Bandidos, wo Bruderschaft gelebt wird. Wenn in den Medien vom Rockerkrieg die Rede ist, wenn es um Tote zwischen verfeindeten Clubs geht - ich glaube, dahinter stehen oft persönliche Angelegenheiten. In solchen größeren Clubs ist es üblich, dass man seinem Präsidenten die absolute Treue hält. Wenn der sagt "Wir hauen jetzt drauf!" - dann werden keine Fragen gestellt, dann hauen die Mitglieder drauf.

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Bei uns ist das nicht so extrem. Es ruft keiner an und sagt: "Das muss geregelt werden." Und dann fahren wir los und kümmern uns darum. Wir sind schließlich kein Söldnertrupp. Klar, wenn jemand aus einem anderen Club permanent auf Streit aus ist, dann lesen wir ihm schon mal die Leviten. Nicht falsch verstehen, wir versuchen das natürlich immer erst mal auf verbalem Wege. Nur als letzte Maßnahme gibt es eine Abreibung.

Es ist auch nicht jeder Hell's Angel oder Bandido ein Krimineller! Solche Klischees machen mich sauer. Ich persönlich war schon beim offenen Clubabend der Engel einfach mal ein Bierchen zischen. Da merkt man ganz schnell: Die Bären, die Typen, die am gefährlichsten aussehen, das sind die liebsten Menschen. Die laden dich zum Bier ein, mit denen kannst du dich über ganz gewöhnliche Dinge unterhalten. Das sind Bauarbeiter, aber auch Anwälte - vor allem: ganz normale Menschen.

Wenn wir ein bisschen außerhalb unterwegs sind, wo man uns nicht kennt, kann es passieren, dass die Leute skeptisch reagieren. Ist ja auch verständlich, wenn wir von unseren schweren Maschinen steigen und unsere Lederkutten mit den Aufnähern tragen. Doch das ist kein Grund, sofort zu denken: "Oh, Rocker, Clubanhänger, kriminelles Milieu - da müssen wir vorsichtig sein!" In so einer Situation sind wir als Motorradfahrer gefragt: Wir sind sehr offen, gehen auf die Menschen zu. Wenn man mit den Menschen ins Gespräch kommt, verflüchtigt sich ihre Krampfhaltung meistens schnell.

Wenn Ihr verstehen wollt, woher meine Leidenschaft fürs Motorradfahren kommt, erkläre ich euch das am besten mit einer Szene aus der Biker-Serie Sons of Anarchy: Da fährt der Protagonist nachts alleine auf einer Landstraße, mit 120 Sachen, das Haar weht im Wind, er hat die Kippe im Mundwinkel stecken und sagt in etwa: "Es gibt diesen Moment, wenn dein Herz im Einklang mit dem Motorblock schlägt und du nur noch die Geräusche deines Auspuffs wahrnimmst - das ist Freiheit. Dann spürst du nur noch das Verlangen, zu fahren."

Und genauso ist es, beim Motorradfahren komme ich runter. Bei uns sagt man auch: Vier Räder bewegen den Körper, zwei Räder bewegen die Seele.

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