Studie zu Homosexuellen in Europa:Nur jeder vierte Schwule wagt Coming-out

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Demonstrant in Kiew: Besonders in Mittel- und Osteuropa werden Homo- und Transsexuelle noch immer diskriminiert. (Foto: REUTERS)

In Banken und Sportklubs, beim Ausgehen und bei der Wohnungssuche: Homo- und transsexuelle Menschen werden noch immer öffentlich diskriminiert. Einer aktuellen EU-Umfrage zufolge hat sich die Situation für Schwule zuletzt sogar verschlechtert.

Sie werden beschimpft und ausgegrenzt, diskriminiert und gemieden: Homosexuelle Menschen in Europa müssen noch immer Angst haben, sich zu outen. Fast zwei Drittel der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen wagen es einer aktuellen europaweiten Studie zufolge nicht, ihre sexuelle Orientierung öffentlich zu zeigen. "Angst, Isolation und Diskriminierung sind ein alltägliches Phänomen für die LSBT-Gemeinschaft (Gemeinschaft der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen, Anm.) in Europa", heißt es in dem Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA).

Für die Onlineumfrage wurden 93.000 Menschen in den 27 EU-Mitgliedsstaaten sowie in Kroatien befragt - das Land soll im Juli dem Staatenbund beitreten. Die Umfrage war damit laut FRA die größte ihrer Art. Dabei gaben mehr als ein Viertel der Befragten an, sie seien in den vergangenen fünf Jahren wegen ihrer sexuellen Orientierung körperlich oder verbal angegriffen worden. Bei den Transsexuellen gaben sogar 35 Prozent an, angegriffen oder bedroht worden zu sein.

Einige sagten, die Lage verschlechtere sich selbst in traditionell toleranten Ländern. "Die Situation ist heute schlimmer als sie etwa vor vier Jahren war", schilderte zum Beispiel ein Belgier seine Erfahrungen. In den Niederlanden, wo 2001 als erster Staat der Welt die Homoehe legalisiert wurde, fühlten sich 20 Prozent der Befragten in Sportclubs, Krankenhäusern, bei der Wohnungssuche, beim Umgang mit Banken oder beim Ausgehen am Abend diskriminiert. Mehr als die Hälfte wagte es im Fall von Angriffen nicht, zur Polizei zu gehen.

Die Attacken auf Homosexuelle in Europa finden der Umfrage zufolge fast immer in der Öffentlichkeit oder am Arbeitsplatz statt. Häufig berichten die Befragten, dass diejenigen, die sie angegriffen oder diskriminiert hätten, männlich und in einer Gruppe gewesen seien.

Besonders in Mittel- und Osteuropa ist Homosexualität ein Tabu

Eingeschüchtert fühlen sich der Studie zufolge durch solche Attacken vor allem Männer: Drei Viertel der befragten Schwulen gaben an, es nicht zu wagen, ihre Homosexualität öffentlich zu zeigen. Die Umfrage zeigt auch: Je jünger und ärmer die Befragten sind, desto häufiger erfahren sie Diskriminierung aufgrund ihrer Sexualität.

Der FRA-Bericht weist darauf hin, dass die Diskriminierung oft in der Schule beginne, so dass viele sich erst spät überhaupt zu ihrer sexuellen Orientierung bekennen. "Die Mitgliedsstaaten müssen dafür sorgen, dass sich LSBT-Schüler in der Schule sicher fühlen, da dies der Ort ist, wo die negativen Erfahrungen, die sozialen Vorurteile und die Ausgrenzung der LSBT oft beginnen", heißt es in dem Bericht. Europa müsse mit einem Aktionsprogramm für rechtliche Gleichstellung und gegen Gewalt eintreten, forderten Minister und Homosexuellen-Verbände.

Eine wissenschaftliche Studie im Auftrag der niederländischen Regierung stellte zwar fest, dass seit 1980 Homosexualität im Allgemeinen zunehmend akzeptiert werde. Doch vor allem in Mittel- und Osteuropa bleibe sie ein Tabu. Die Mehrheit der Bevölkerung in Polen, Bulgarien, Litauen oder Russland verurteilt demnach Homosexualität. "Mehr als 70 Prozent der Russen sind der Ansicht, dass schwule oder lesbische Bürger nicht so leben dürfen, wie sie wollen."

Die internationale Vereinigung von Lesben und Schwulen forderte auf dem ersten europäischen Treffen zum internationalen Tag gegen Homophobie in Den Haag einen europäischen Aktionsplan gegen Diskriminierung. Trotz neuer Gesetze nehme Gewalt und soziale Isolation zu, stellt der Verband in seinem "Europäischen Regenbogen Index" fest. "Diskriminierung ist leider für viele noch immer ein lebenslanger Begleiter", sagte die Direktorin des Verbandes, Evelyne Paradis.

Die niederländische Ministerin für Gleichstellung, Jet Bussemaker, kündigte an, dass sich ihre Regierung für einen europäischen Aktionsplan einsetzen werde. An der zweitägigen Konferenz nehmen zahlreiche Minister unter anderem aus Finnland, Polen, Großbritannien, Belgien und Schweden sowie Vertreter des Europarates und von Menschenrechtsorganisationen teil.

© Süddeutsche.de/AFP/dpa/kjan - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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