Kolumne "Familie und andere Turbulenzen":Lasst uns froh und munter sein

Familien-Kolumne

Geschafft von der Vorweihnachtszeit: Leider ist der Advent selten so besinnlich, wie das Familien gerne hätten.

(Foto: Stephanie Wunderlich)

Den Advent besinnlich zu gestalten, ist im Weihnachtsstress schwer genug. Wenn sich dann auch noch der Rest der Familie weigert, Traditionen zu würdigen, wird die Stimmung schnell unchristlich.

Von Katja Schnitzler

Nicht ein Plätzchen würde die Mutter in diesem Jahr backen. Nicht ein einziges! Weihnachtsschmuck? Gestrichen! Und einen Christbaum würde sie auch nicht nach Hause schleppen, wieder mal allein mit dem Familienschlitten (dem aus Holz).

Ohnehin waren sie Heiligabend bei den Großeltern, deren Tanne hatte Ausmaße für zwei Familien. Alle Jahre wieder verschätzten sich die Großeltern, das Wohnzimmer war stets niedriger als gedacht. Dieser Irrtum kostete den Baum regelmäßig nicht nur die Spitze, sondern gleich den obersten Zweigkranz, so dass er an den Feiertagen bemitleidenswert kopflos wirkte.

Ihr eigenes Wohnzimmer würde in diesem Jahr baumfrei und damit barrierefrei bleiben, beschloss die Mutter. Auf Traditionen legte in dieser Familie ja offenbar außer ihr niemand mehr Wert. Ganz zu schweigen davon, dass jemand ihre Mühen zu schätzen wusste.

Der Vater hatte in den vergangenen Jahren stets laut seufzend und theatralisch schnaufend gegen die Einschränkung seiner Komfortzone protestiert: Weil der Christbaum nur an eine einzige Stelle im Wohnzimmer passte und dabei das Sofa halb verdeckte. Vergangenes Jahr hatte der Vater dann doch tatsächlich vorgeschlagen, eine künstliche Tanne zu besorgen, fertig geschmückt (!) und jederzeit zusammenklappbar (!!).

Die Mutter fluchte recht unweihnachtlich, während sie die sperrigen Schachteln mit dem Adventsschmuck zurück in den Schrank schob. Kugeln und Sterne konnten ihr heuer gestohlen bleiben.

Jahrelang hatte sie mit aller Kraft dem Vorweihnachtsstress getrotzt, um vor allem für die Tochter eine besinnliche Weihnachtszeit zu gestalten. Um Traditionen zu vermitteln, schöne Kindheitserinnerungen zu säen.

Sie hatte mit ihrer Tochter Plätzchen gebacken, trotz des adventlichen Terminwahnsinns (Vorspielen in der Musikschule, Theateraufführung in der Schule, Weihnachtsfeier im Kindergarten, Tanzaufführung im Sportverein, gemeinsames Basteln im Hort und Nikolausfeier in der Kirche). Sie hatte den Adventskranz immer wieder anders dekoriert, den Baum geschmückt und Adventskalender besorgt, sogar rechtzeitig, obwohl der 1. Dezember stets schneller da war als gedacht.

Und was hatte es gebracht? Ihr Mann hatte sich über den Kalender gefreut, während die Tochter (dem kindlichen Mitmach-Alter leider entwachsen, dafür schwer pubertierend) nur gefragt hatte: "Der ist aber nicht mit so einer Billig-Schokolade, oder?" Die Mutter hatte keinen bekommen.

Am Mittag fand sie die Überreste des Adventskalenders auf dem Boden im Zimmer ihrer Tochter, alle Türchen aufgerissen. "Ich ess heute nichts zu Mittag", kommentierte die Tochter und verschwand im Bad. Das Auge der Mutter begann zu zucken.

Auf dem Esstisch stand der neue Adventskranz, die erste Kerze brannte, in diesem Jahr war alles ganz in Rot gehalten. Die Tochter kam aus dem Bad: "Wie spießig ist das denn?", raunzte sie und ging zur Haustür. Das Auge der Mutter zuckte stärker. "Wo willst du hin, wir wollten doch Plätzchen backen?"

Dann feiert doch allein!

Die Tochter legte ihre ganze Verachtung für familiäre Traditionen in ein Schnauben: "Nicht mit mir, ich bin verabredet." In der Haustür drehte sich die Tochter noch mal um: "Aber back nicht wieder die ollen Ausstecher, da könnten wir auch auf Sand rumkauen."

Der Mutter verschlug es die Sprache, der Vater fragte: "Was ist denn mit deinem Auge los?" Dann schob er ihr einen Werbeprospekt über den Tisch: Kunst-Tanne für den Balkon, mit wechselnden LED-Lichtern, nur 19,99 Euro. "Sag mal", sagte der Vater, "warum zwinkerst du mir eigentlich dauernd zu?"

Die Mutter backte an diesem ersten Advent keine Plätzchen. Sie backte gar nichts. In der Wohnung war die Stimmung eisiger als die Kälte draußen. Am Abend war die Tochter genervt, der Vater ratlos: "Jetzt sag doch, was los ist. Bist du sauer wegen der Tanne?"

"Wenn ihr", fing die Mutter leise an, um dann laut zu werden, "kein Weihnachten wollt, dann lassen wir das eben BLEIBEN!" Sie knallte die Tür so fest hinter sich zu, dass diese wieder aufflog, was ihren Abgang eine Spur weniger dramatisch machte. Vater und Tochter sahen sich an. "Typisch Wechseljahre", sagte die Tochter.

Am nächsten Morgen vor der Arbeit fiel der Blick der Mutter auf den Adventskranz, ganz in Rot. Sie dachte an die christliche Tugend des Verzeihens, aber nur kurz. Dann packte sie den Kranz und warf ihn in den Müll.

An diesem Abend kam sie spät nach Hause. Nach der Arbeit war sie noch einkaufen gegangen - keine Geschenke, auch keine Nahrungsmittel, nur Sachen für sich. Dann hatte sie eine Freundin ins Restaurant eingeladen, die sich dafür die Klage über diese ignorante Familie anhören musste.

Als die Mutter heimkam, war die Wohnung dunkel, nur im Wohnzimmer brannte die Leselampe. Es duftete.

Die Mutter schaltete das Licht an. Auf dem Tisch stand der Adventskranz, er hatte ein paar Nadeln gelassen, sah aber noch ganz manierlich aus. Daneben war ein Teller mit Schokoladen-Plätzchen und einem Zettel. Darauf stand in der Handschrift ihrer Tochter: "Für dich. PS: Ich räume die Küche morgen auf."

Die Mutter verzichtete darauf, einen Blick in die Küche zu werfen und probierte ein Plätzchen. Es schmeckte gut, nicht trocken. Sie ging ins Wohnzimmer. Der Schein der Leselampe drang kaum durch die dichten Zweige der riesigen Tanne, die das Sofa halb verdeckte, auf dem der Vater schlief.

Der Tanne fehlte nicht nur die Spitze, sondern beinahe das oberste Drittel. Es war der schönste Weihnachtsbaum, den die Mutter je gesehen hatte.

Besinnlich oder hoffentlich bald vorbei - wie ist Ihre Adventszeit mit Familie? Schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen und Tipps in den Kommentaren unter der Kolumne.

Auf SZ.de erscheint immer montags die Familienkolumne über das Zusammenleben von Eltern, Kindern und Großeltern, aber auch Tanten und Onkeln, Cousins, Nichten, Neffen - eben allen, die das Familienleben bereichern, erleichtern oder auch ein bisschen komplizierter machen.

Sie können gerne einen Themenvorschlag an die Autorin Katja Schnitzler mailen: Was treibt Sie in Ihrer Familie in den Wahnsinn oder was macht das Leben erst richtig schön?

Und alles zum Thema Erziehung von Babys bis hin zu Jugendlichen finden Sie im Erziehungsratgeber.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: