Geschmackssache: Fasten:Iss wenig und rede darüber

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Der Fastengedanke im christlichen Sinne ist vor die Hunde gekommen. Dennoch steigt unsere Bereitschaft, uns die seltsamsten und härtesten Kuren aufzuerlegen - und ausgiebig darüber zu reden.

Marten Rolff

Es ist etwa ein halbes Jahrhundert her, dass die katholische Kirche ihre Bußpraxis ein wenig entschlackte; die 40-tägige Fastenzeit mag auch weiterhin für wichtig erachtet werden, doch als wirklich strenge Tage der Abstinenz gelten nur noch Aschermittwoch und Karfreitag.

Viele Ernährungspsychologen sind der Meinung, dass Essverhalten emotionales Verhalten sei. Der Mensch brauche deshalb keine Ernährungs- sondern eine Verhaltensberatung. (Foto: dpa)

Rückblickend muss man sagen, dass die Kirche - in ungewohnt vorauseilender Nachsicht? - die Leidensbereitschaft des westlichen Menschen grob unterschätzt hat. Denn proportional zur stetigen Lockerung der vorösterlichen Enthaltsamkeit stieg unsere Bereitschaft, uns die seltsamsten und härtesten Kuren aufzuerlegen und ausgiebig darüber zu reden.

Es gibt ja auch viel zu besprechen. Ist es nun gesünder, die Gemüsebrühen-Methode nach Buchinger durch einen täglichen Schuss Buttermilch oder gar durch ein Eiweißpräparat aus dem Internet zu ergänzen? Wie viele Nüsse erlaubt das Früchtefasten? Was entgiftet besser, Sauerkraut- oder Plaumensaft? Fördert Kohlensäure im Wasser die Entschlackung? Sind Kopfschmerzen ein gutes oder schlechtes Zeichen? Und was bringt die Cookie-Kur (42 Stück pro Woche!) von Dr. Siegel, der uns so vertrauensvoll von Kekspackungen in den Regalen amerikanischer Apotheken anlächelt? Schließlich haben 500.000 Menschen seit 1975 darauf vertraut.

Nun werden viele einwenden, dass dieser Marketingquatsch mit dem christlichen Bußegedanken nichts zu tun hat. Und dass Pflaumensaft und Nüsschen mit der Demut, die Jesus bei seinem Fastenaufruf aus der Bergpredigt meinte, in etwa so viel gemein haben wie Cookies mit gesunder Ernährung. Völlig richtig! Und da ist es kein Trost, dass Dr. Siegel vermutlich gerade eine populärwissenschaftliche Abhandlung über die Transzendenz des Schokoladenkekses in der Mache hat und sich vom Vorschuss in eine luxuriöse Altenwohnanlage in Palm Springs einkauft.

Wen das ärgert, der sollte allerdings beachten, dass Dr. Siegel harmlos ist im Vergleich dazu, wie der Fastengedanke anderer Kulturen vor die Hunde kommt. Viele Esoteriker etwa pranisieren heute gern. "Prana" ist im Hinduismus das Wort für Lebensenergie.

In Australien hat das eine frühere Bankangestellte, die sich als Medium begreift und jetzt Jasmusheen heißt, zu einem Ratgeber darüber inspiriert, wie man sich ausschließlich von Licht ernährt. Sie selbst wurde immer wieder beim Naschen iridischer Köstlichkeiten erwischt. Das spiele für ihre Lehre aber keine Rolle, fand sie. Zum Tod einer Anhängerin, die an Entkräftung starb, fiel Jasmusheen der Satz ein: Ihr hat wohl die richtige Motivation gefehlt.

© SZ vom 11.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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