Expertentipps zur Erziehung:Wie Eltern kriminellen Kindern helfen können

Jugendlicher im Tunnel

Jugendlicher, vom rechten Weg abgekommen.

(Foto: karepa - Fotolia)

Erwischt beim Stehlen, Drogenkonsum, bei Schlägereien: Wie sollten sich Mütter und Väter verhalten, wenn der Teenager von der Polizei nach Hause gebracht wird? Die Psychologin Marion Pothmann weiß Rat.

Von Katja Schnitzler

In der Pubertät testen Jugendliche Grenzen aus. Doch was, wenn sie die Grenze zur Illegalität übertreten? Und welchen Anteil hat der Freundeskreis daran? Psychologin Marion Pothmann erklärt, warum Eltern dann besser fragen statt anzuklagen.

SZ.de: Für Eltern ist es ein Schock, wenn sich ihr Sohn oder ihre Tochter kriminell verhält. Wie können sie ihrem Kind helfen, damit es möglichst bei einem Ausrutscher bleibt?

Marion Pothmann: Es ist immens wichtig, wie Eltern auf dieses erste Mal reagieren. Die Jugendlichen sind selbst oft völlig aufgelöst. Sie müssen merken: Meine Eltern stehen weiter hinter mir - aber nicht hinter dem, was ich gemacht habe.

Wie können Eltern genau das in dieser schwierigen Situation vermitteln?

Sie sollten den Fehltritt zunächst überhaupt nicht bewerten und erst die eigene Wut und Enttäuschung abklingen lassen, bevor sie mit ihrem Kind sprechen. Dabei sollten sie nicht anklagen, sondern viel fragen, um herauszufinden, wie es eigentlich dazu gekommen ist. Die Frage "Wie konntest du nur?" ist dafür allerdings nicht geeignet. Eltern vermitteln besser Ich-Botschaften wie "Ich bin sehr enttäuscht", so dass ihr Kind merkt: Was ich getan habe, hat nicht nur mit mir und meinem Freundeskreis zu tun, sondern wirkt sich auch auf meine Umgebung aus. Optimalerweise findet dieses Gespräch zwischen Eltern und Kind in einem vertrauensvollen Rahmen statt.

Und wenn die Polizei mit dem Nachwuchs vor der Tür steht?

Dann ist es noch wichtiger, dass Eltern ihrem Kind vermitteln: Wir sind für dich da. Das geht auch rein körperlich, indem sie sich dicht neben ihren Sohn oder ihre Tochter stellen. Und den Polizisten sollten die Eltern signalisieren, dass sie gemeinsam mit ihrem Kind eine Lösung finden werden - das schließt mit ein, dem Kind Gelegenheit zu geben, sich zu erklären. Eltern müssen sich nicht bei den Beamten entschuldigen. Sie sollten ihr Kind aber auch auf keinen Fall falsch verteidigen: "Das würde meine Tochter niemals tun." Man weiß nie, wo der Jugendliche hineingeraten ist. Wer unreflektiert in Schutz genommen wird, nimmt seine Eltern im schlimmsten Fall nicht mehr ernst.

Wenn die Eltern erfahren haben, was los war: Wie verhindern sie dann weitere Fehltritte?

Nachdem sie dem Kind Mut gemacht hatten, alles zu erzählen, sollten Eltern reflektieren, was dahintersteckt: Welche Bedürfnisse sind bei dem Kind zu kurz gekommen? Will es Anerkennung oder sich profilieren? Und wie kann es das auf gesunde Art und Weise tun? Zum Beispiel über Hobbys, bei denen sich Jugendliche beweisen können. Eltern können bewusst alternative Beziehungen fördern und zum Beispiel den Patenonkel mit ins Boot holen, der ein toller Ansprechpartner ist und künftig mehr mit dem Kind unternimmt.

Sollte man sich auch mit den Eltern der anderen Jugendlichen zusammentun, wenn mehrere beteiligt waren?

Mitunter ist so ein Schulterschluss nicht schlecht, sollte aber in Rücksprache mit dem eigenen Kind erfolgen, damit er nicht als Vertrauensbruch bewertet wird. Allerdings sollte es auch mit den anderen Eltern nicht um Strafen oder Anklagen gehen, sondern darum, gemeinsam eine Lösung zu suchen. Ob da alle Beteiligten an einem erzieherischen Strang ziehen, ist fraglich. Wer als Eltern einen guten Kontakt zu den Freunden seines Kindes hat, kann diese persönlich ansprechen - aber nicht, ohne das vorher mit dem eigenen Kind geklärt zu haben. Es soll schließlich nicht das Gefühl bekommen, dass die Eltern ihm in den Rücken fallen.

Und es dann künftig gar nichts mehr daheim erzählt.

Das wäre fatal. Nur wenn Kinder und Eltern im Gespräch bleiben, erfahren sie, was die Clique anstellt - und können eingreifen, falls das eigene Kind abrutscht. Bis zu einem gewissen Grad ist das Austesten von Grenzen, auch der legalen, im Rahmen der Pubertät nicht bedenklich, solange man erste Fehltritte abfangen kann. Schwierig wird es, wenn das Verhalten deutlich und chronisch von der Norm abweicht und sich der Freundeskreis im illegalen Milieu aufhält.

Warum sich Jugendliche mit falschen Freunden abgeben

Wie kommen Jugendliche in solche Kreise?

Die Gründe dafür sind sehr unterschiedlich. Das können unbefriedigte Bedürfnisse sein, wie beispielsweise nach Stabilität, Liebe und Sicherheit, die unzulänglich erfüllt wurden. Jugendliche können sich aber auch völlig unabhängig von den Eltern zu solchen Gruppen hingezogen fühlen. Dann liegt es an unterschiedlichen Aspekten der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes - etwa, dass es überdurchschnittlich viel Anerkennung braucht, sich zu schnell angegriffen fühlt oder generell sehr impulsiv ist. Schließlich ist jeder Teenager mit solchen Gruppen konfrontiert, aber nicht alle fühlen sich zu ihnen hingezogen.

Also müssen sich nicht nur die Eltern fragen, was sie falsch gemacht haben?

Sie sollten es aber. Nur dann können sie sich ändern und den Jugendlichen damit ein gutes Beispiel geben. Welches Vorbild sind Mutter und Vater in Wertefragen? Verhalten sie sich selbst schädlich für sich und ihre Umgebung, ohne das zu ändern? Jugendliche sind sehr empfindsam dafür, wie glaubwürdig und authentisch Erwachsene sind. Wenn etwa Eltern Kette rauchen und sich darüber bewusst sind, wie schädlich das ist, aber nichts daran ändern, geben sie ein schlechtes Beispiel ab. Thematisieren sie solche Unzulänglichkeiten aber und ringen sie darum, sich zu ändern und ihre selbst gesetzten Ziele zu erreichen, sind sie ihren Kindern ein gutes Vorbild.

Trotz aller Gespräche trinkt sich das Kind wieder besinnungslos, prügelt sich oder stiehlt - ab wann sollte sich die Familie Hilfe von außen holen?

Schon wenn Eltern merken, sie erreichen den Jugendlichen nicht mehr, er entgleitet ihnen. Je nach Problemlage können sie sich an Drogen- oder Erziehungsberatungsstellen wenden, an sozialpsychiatrische Zentren oder psychiatrische Einrichtungen. Sie sollten aber direkt bei der Anmeldung fragen, ob sie mit ihrem Problem dort richtig sind. Und sie sollten auch den Mut haben, das Jugendamt zu kontaktieren, das viele Hilfen bietet, die sowohl Eltern als auch Jugendliche sehr gut annehmen können. Leider erwarten da viele eher Repressionen statt Unterstützung - zu Unrecht.

Was, wenn nicht das eigene Kind, sondern seine Freunde Straftaten begehen?

In erster Linie sind die Eltern natürlich für ihr eigenes Kind verantwortlich. Zur Not muss doch der Kontakt zu den Freunden abgebrochen werden. Es gibt Grenzen, wenn es kriminell wird. Da muss man das Kind um Verständnis bitten, dass man die Eltern des Freundes informiert - nicht um den anderen hinzuhängen, sondern um zu verhindern, dass er sich die Zukunft verbaut. Wer einen guten Draht zu dem Freund hat, kann auch mit diesem direkt sprechen, ihm raten, sich Hilfe beim Schulpsychologen oder bei Beratungsstellen zu holen.

Und wenn er das nicht tut?

Bei uns in der Praxis kommt es öfter vor, dass beim ersten Besuch Vater oder Mutter den Freund ihres Kindes begleiten. Wir holen dann zwar schnell auch die Eltern des Freundes mit ins Boot, die einer Beratung zustimmen müssen. Aber dem Freund fällt es leichter, daheim zu beichten, wenn schon ein erster Schritt in die richtige Richtung gemacht ist.

Marion Pothmann ist Kinder- und Jugendtherapeutin und arbeitet als Leitende Psychologin in der Klinik Hochried in Murnau, einem Zentrum für Kinder, Jugendliche und Familien; von August an betreibt sie eine kinder- und jugendpsychotherapeutische Praxis in Hamburg.

Die Kombination Jugendliche, Alkohol und dumme Ideen kann direkt in die Polizeistation führen. Die Eltern sollen ihren ertappten Nachwuchs dann von dort abholen. Doch dazu sind nicht alle Eltern bereit. Die Erziehungs-Kolumne "Kinder - der ganz normale Wahnsinn"

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