Expertentipps zur Erziehung:Warum Eltern die erste Liebe akzeptieren sollen

Lesezeit: 4 Min.

Die erste Liebe wirft viele Fragen auf, sowohl für Teenager als auch für deren Eltern. Psychologin Marion Pothmann rät, was Eltern tun können, wenn die Liebe unglücklich ist, die Jugendlichen gemeinsam übernachten wollen oder aber der Partner ihnen überhaupt nicht passt.

Katja Schnitzler

Aus dem Teenager-Schwarm wird die erste große Liebe und für die Jugendlichen und Eltern bricht eine Zeit der Unsicherheit an. Psychologin Marion Pothmann erklärt, wie Eltern ihr Kind unterstützen können und warum oft Abwarten besser ist als Handeln.

Ein Traumpaar, das nichts trennen kann - zumindest nicht in den kommenden zwei Wochen. Mit der ersten Liebe erleben Jugendliche ein rasantes Auf und Ab der Gefühle. (Foto: g-mikee/photocase.com)

Süddeutsche.de: Kinder kommen immer jünger in die Pubertät. Verlieben sie sich auch früher?

Marion Pothmann: Tatsächlich sagen schon manche Grundschüler, dass sie verliebt sind und zeigen auch erste Anzeichen von Verliebtheit. Das ist relativ unabhängig vom Eintreten in die Pubertät.

Süddeutsche.de: Wie ernst können wir Erwachsene das nehmen?

Pothmann: Sehr ernst, und das vom ersten Tag an. Wir sollten das den Kindern nicht kleinreden, sie seien doch gar nicht verliebt, das könne noch keine Liebe sein. Für Kinder ist das toll, spannend und schön. Da dürfen sich die Eltern einfach mitfreuen.

Süddeutsche.de: Doch gerade die erste Liebe ist oft einseitig, weil sie vom anderen nicht erwidert wird. Wie können Eltern ihr Kind trösten?

Pothmann: Das hängt davon ab, was der Grund für die Einseitigkeit ist. Bei ersten Schwärmereien weiß der andere oft gar nichts von den Gefühlen Ihres Kindes. Für viele Teenager ist aber das Schwärmen an sich ein schöner Zustand, da müssen Eltern überhaupt nichts unternehmen - das gehört einfach dazu.

Süddeutsche.de: Aber wenn das Kind wirklich unglücklich verliebt ist?

Pothmann: Dann sollten die Eltern zuhören und schöne Dinge mit ihrem Kind machen, um es abzulenken - auch wenn es deshalb nicht gleich in Jubel ausbricht. Wenn es sich aber nur nicht traut, den Schwarm anzusprechen, können Eltern gemeinsam mit dem Teenager überlegen, wie ein erster Schritt aussehen könnte und ihm dafür Mut machen. Zum Beispiel könnte der Sohn oder die Tochter den "Schwarm" fragen, ob sie etwas unternehmen wollen. Ich rate den Kindern immer, zunächst einmal etwas Kurzes am Nachmittag auszumachen und nicht gleich ins Kino oder Schwimmbad zu gehen. Gemeinsam Eis essen ist ideal für den ersten Schritt: Es dauert nicht zu lange, macht Spaß und findet in der Öffentlichkeit statt, setzt also niemanden gefühlsmäßig unter Druck.

Süddeutsche.de: Der Plan hat Erfolg, die Liebe wird erwidert, das junge Paar ist unzertrennlich - und will gemeinsam bei einem von beiden übernachten. Von welchem Alter an und unter welchen Bedingungen können Eltern das erlauben?

Pothmann: Das hängt stark von der Situation und den Wertvorstellungen der Jugendlichen und deren Eltern ab. Wichtig ist, dass die Jugendlichen sich in dieser Situation gestärkt und geschützt fühlen. Generell sollten Kinder schon im Grundschulalter oder noch früher altersgerecht aufgeklärt werden, die Familie sollte offen mit dem Thema Sexualität umgehen. Wenn die Teenager gemeinsam übernachten wollen, sollten sich Eltern diese Wünsche natürlich anhören, um sie auch in dieser Lebensphase zu begleiten. Und wenn Jugendliche sexuelle Kontakte wollen, sollten Eltern die Jugendlichen stärken, nichts aus Gruppendruck zu tun, oder weil sie denken, es gehört dazu! Darüber hinaus ist es wichtig, mit den Kindern die Verhütungsfrage zu klären, damit da nichts ungeschützt läuft.

Süddeutsche.de: Manchen Eltern ist das aber viel zu früh.

Pothmann: Sie dürfen dennoch nichts rigoros verbieten, sonst läuft das eben ohne ihr Wissen ab. Vielmehr sollten Eltern ihre Beweggründe klarmachen. Etwa, dass es dem Schutz des Jugendlichen dient, wenn Sie noch nicht wollen, dass die beiden miteinander schlafen. Oder erklären, warum das ihren religiösen Vorstellungen widerspricht. Das Kind wird sowieso selbst entscheiden, ob es das für sich übernehmen will oder nicht - aber dafür muss es die Gründe für die Einstellung seiner Eltern kennen. Ich spreche oft mit Erwachsenen, die es im Nachhinein gut fanden, dass sie mit dem ersten Sex noch gewartet hatten, egal, ob aus religiösen oder persönlichen Gründen. Er hätte sie in jüngerem Alter überfordert.

Süddeutsche.de: Wie können Eltern erkennen, ob ihr Kind schon reif genug ist für eine solche Entscheidung?

Pothmann: Indem sie Beweggründe hinterfragen. Vielleicht sind es nur die Freunde, die mit ihren angeblichen ersten sexuellen Erfahrungen angeben, so dass die anderen denken, das gehört schon dazu. Eltern sollten ihrem Kind die Stärke vermitteln, dass es nicht so sein muss wie die anderen. Sondern auf sein eigenes Gefühl hören sollte.

Süddeutsche.de: Die erste Liebe unter Teenagern ist auch für die Eltern eine schwierige Zeit. Was, wenn der Partner den Eltern gar nicht passt?

Pothmann: Wer den Umgang mit dieser Jugendliebe verbietet, muss bei den meisten Jugendlichen mit erheblichem Widerstand rechnen: Dann machen sie erst recht alles mit dem oder der Liebsten und sagen den Eltern nichts mehr davon. Dieser Weg führt sicher zur Eskalation. Verbote sind kein Mittel gegen die Liebe.

Süddeutsche.de: Was können Eltern also besser machen?

Pothmann: Sie müssen wirklich versuchen, zu verstehen, was ihr Kind so toll an diesem Jungen oder Mädchen findet. Fragen Sie, was ihm besonders gut an dem Partner gefällt, und zwar wertfrei und ohne Unterton. Und lernen Sie ihn kennen. Manchmal merken Eltern, der ist ja gar nicht so schlimm wie gedacht. Wenn er aber doch so schlimm ist, halten Sie sich zurück. Oft gehen diese ersten Liebschaften nach zwei Wochen wieder in die Brüche. Wenn Eltern zuvor überreagieren, kommt es völlig unnötig zu gegenseitigen Verletzungen. Und das nächste Mal erfahren sie gar nichts mehr vom neuen Freund oder der neuen Freundin.

Süddeutsche.de: Doch wenn nicht nur die Liebschaft, sondern auch der schlechte Einfluss bestehen bleibt?

Pothmann: Erst wenn sich ein Teenager durch eine Jugendliebe über einen längeren Zeitraum hinweg deutlich zum Negativen verändert, können Eltern versuchen, den Kontakt zu verhindern. Sie sollten weiterhin Verständnis zeigen, ihrem Kind dabei aber deutlich machen, was sie kritisch und mit Sorge sehen - nur so kann ein Kind das auch annehmen. Manche beenden die Freundschaft dann von selbst. In Ausnahmefällen kommt es vor, dass eine Jugendliebe einen derart schlechten Einfluss ausübt, etwa aufgrund einer kriminellen Veranlagung, dass eine polizeiliche Kontaktsperre verhängt werden muss. Das geschieht jedoch nur in einem von 500 Fällen.

Dr. Marion Pothmann arbeitet als Leitende Psychologin in der Klinik Hochried in Murnau, einem Zentrum für Kinder, Jugendliche und Familien und hat ein Buch veröffentlicht "Kinder brauchen Freunde" - zum Thema "Was tun, wenn Kinder falsche Freunde haben", hat sie bereits Tipps für Süddeutsche.de-Leser gegeben.

Wenn Teenager den ersten Freund mit nach Hause bringen, haben Eltern schon ein Bild von ihm im Kopf, manchmal sogar ein ideales. Dumm, wenn vor der Tür ein ganz anderer steht: die Erziehungskolumne "Kinder - der ganz normale Wahnsinn".

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