Expertentipps zur Erziehung:"Manche drängen ihr Kind in die Partnerrolle"

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Oft auf sich selbst gestellt: Alleinerziehende mit Kind.

(Foto: designritter / photocase.com)

Wenn der Alltag mit Kind von nur einem Elternteil bewältigt werden muss, kann unter der Überlastung auch die Beziehung zum Kind leiden. Psychotherapeut Matthias Franz gibt Tipps, auf welche Anzeichen Alleinerziehende achten sollten, wo sie Unterstützung finden und was besonders gefährlich ist.

Von Katja Schnitzler

Ein Großteil der Alleinerziehenden - die meisten von ihnen Frauen - arbeitet Vollzeit und ist bei der Erziehung auf sich selbst gestellt: Zwei Jahre nach der Trennung der Eltern hat die Hälfte der Väter keinen Kontakt mehr zum Kind. Professor Matthias Franz entwickelte ein Elterntraining speziell für Alleinerziehende und betont, wie wichtig es für Kinder ist, ein positives Bild von den Vätern zu behalten.

SZ.de: Es gibt das Sprichwort "Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen". Alleinerziehende müssen aber den Alltag mit Kind meist ohne Hilfe stemmen. Was machte diesen Müttern und Vätern dabei besonders zu schaffen?

Matthias Franz: Manche kommen mit der Situation sehr gut zurecht. Aber es gibt eine große Teilgruppe, die unter Geldmangel und Einsamkeit leidet. Dazu kommt die alleinige Verantwortung, Stress durch einen Vollzeitjob und ständiger Zeitdruck. Manche haben die Trennung vom Partner noch nicht verarbeitet. All das führt dazu, dass Alleinerziehende bis an ihre Grenzen gehen müssen - und darüber hinaus. Sie leisten das, wofür es mindestens zwei Erwachsene, wenn nicht sogar ein ganzes Dorf bräuchte.

Wie wirkt sich dieser Druck auf die Mütter aus?

Ihre Gesundheit ist oft körperlich, aber auch psychisch beeinträchtigt. So ist etwa ihr Depressionsrisiko bis zu dreimal höher als bei Müttern in Partnerschaften. Diese Belastungen können sich auf das Kind auswirken: Jungen zeigen häufiger Anzeichen von Aufmerksamkeitsdefiziten, Mädchen neigen zum depressiven Rückzug. Die Probleme der Kinder erschweren wiederum den Alltag der Ein-Eltern-Familien, so dass ein Teufelskreis aus Bedürftigkeit und Überforderung entsteht. Leider werden Alleinerziehende damit in Deutschland meist alleingelassen.

Aber es gibt ja Unterstützung seitens der Behörden.

Doch diese Hilfen werden nicht strukturiert und aktiv angeboten. Ideal wäre es, wenn in den Kommunen offizielle Ansprechpartner für Alleinerziehende da wären. Die Stadt Dormagen bietet sehr erfolgreich eine Präventionskette an: Ämter, Kinderärzte und Einrichtungen wie Kindergärten arbeiten zusammen und informieren Mütter immer wieder über mögliche Angebote. Da kommt auch mal eine Leih-Oma zum Einsatz, die momentan überforderten Alleinerziehenden wichtige Freiräume verschafft.

Wie kann es sich auswirken, wenn Alleinerziehende keine Unterstützung von außen haben?

Manche einsame und bedürftige Alleinerziehende drängen ihr Kind unbewusst in eine Partnerrolle. Erst einmal wirkt das vielleicht gut, wenn das Kind sagt: Ich bin groß, ich kann dir schon helfen. Aber Mütter sollten vorsichtig sein, wenn das Kind anfängt, sie zu trösten und Arbeiten zu übernehmen, für die es noch zu klein ist, sie zu bemuttern oder gar zu therapieren. Wenn die Mutter vermittelt, "Ich brauche dich. Wenn du nicht bei mir bleibst, habe ich gar keinen mehr", dann wird das Kind in seiner eigenen Entwicklung und Autonomie behindert. Die Mutter sollte sich dann auch zum Wohl des Kindes Hilfe holen. Es gibt Extremfälle, da schlafen 15-Jährige noch im Bett bei der Mutter, die Angst vor dem Verlassenwerden hatte und die Beziehung des Kindes zum Vater nicht zuließ. Das ist allerdings schon emotionaler Missbrauch.

Wo bekommen Frauen Hilfe, wenn sie fürchten, dass etwas in der Mutter-Kind-Beziehung falsch läuft?

Oft helfen schon Gespräche mit Freunden oder mit Erzieherinnen ihrer Kita. Außerdem sollten Alleinerziehende herausfinden, welche Hilfen Kommunen bieten und welche Sozialverbände zum Beispiel Familienberatungsstellen haben. Vielleicht ist auch eine Psychotherapie sinnvoll, die gibt es auch speziell für Kinder. Vor dem Gang zum Jugendamt sollte auch keiner Angst haben, dort können Eltern konkrete Hilfen zur Erziehung beantragen, von der Beratung bis zur Tagesgruppe für die Kinder.

Wäre es da nicht sinnvoller, Eltern würden diese Hilfen gleich in Anspruch nehmen, sobald klar ist, dass sie ihr Kind allein erziehen müssen?

Das wäre natürlich wünschenswert, zumindest nach der ersten akuten Trennungsphase. Dann würden zum Beispiel scheinbare Provokationen der Kinder nicht als persönliche Angriffe oder Verhaltensstörung des Kindes fehlinterpretiert werden, sondern als Hilferufe erkannt - und die Bindung zwischen Mutter und Kind würde gar nicht erst leiden. Ideal wäre es, wenn Mutter und Vater bewusst als Eltern zur Beratung gingen, um künftig beide weiterhin für das Kind da zu sein. So wäre auf lange Sicht die Mutter mehr entlastet, wenn das Kind auch mal ein Wochenende beim Vater verbringt. Leider gibt es viele tief verletzte Männer, die sich nach einer Trennung auch vom Kind zurückziehen und nicht realisieren, dass die Beziehung zu ihrem Kind etwas eigenes, höchst Wichtiges ist. Vom Rückzug des Vaters tragen die Kinder womöglich ein Leben lang seelische Narben davon. Und auch den Männern entgeht etwas Unersetzliches.

Können Mütter den fehlenden Vater ersetzen?

Können Mütter überhaupt einen fehlenden Vater und damit auch ein fehlendes männliches Vorbild ersetzen?

Mütter sollten noch ein gutes Haar am Vater lassen: Wenn sie ihren Kindern vermitteln, dass er ihnen zwar sehr weh getan habe, sie ihn aber mal liebten und er ja weiterhin der Vater ist und zwar kein schlechter, dann hilft das den Kindern schon ungemein weiter - von Extremausnahmen einmal abgesehen. Das gilt natürlich auch umgekehrt für die Väter. Zudem sollten Mütter bewusst Möglichkeiten schaffen, dass ihre Kinder männliche Rollen kennenlernen, zum Beispiel in Sportvereinen, in der Feuerwehr, aber auch Kirchen bieten Aktivitäten, etwa speziell für Trennungsväter und ihre Kinder.

Mütter zwischen Beruf und Erziehung, die Väter sind meist abwesend - das gibt es auch in Paarbeziehungen, wenn der Vater viel arbeitet und die Frau fast allein verantwortlich für den Nachwuchs ist. Welche Auswirkungen hat das auf die Kinder?

Entscheidend ist, ob die Beziehung der Eltern konflikthaft belastet ist. Wenn Eltern sich ständig abwerten und angreifen, verängstigt das Kinder zutiefst. Sie brauchen sichere Eltern. Selbst unbewusste Entgleisungen der Gesichtszüge bekommen Kinder mit, etwa ein Hauch von Verachtung, wenn über den abwesenden Vater gesprochen wird. Kinder in stabilen Paarbeziehungen registrieren hingegen positiv, wenn die Mutter zwar vermittelt, wie schön es wäre, wenn der Vater öfter da wäre. Aber sie es auch wertschätzt, wie er die Familie versorgt. Wenn Eltern ihre liebevolle gegenseitige Wertschätzung vermitteln, ist das zeitweise Fehlen eines Elternteils für das Kind meistens leicht zu ertragen.

Doch die Mimik lässt sich schwer unter Kontrolle halten.

In der Tat. Und wenn die Liebesbeziehung traurigerweise nicht mehr zu retten ist, müssen sich Eltern wenigstens weiterhin in ihrer gemeinsamen Verantwortung für ihr Kind bewähren. Zum Beispiel auch mit psychotherapeutischer Hilfe von außen. Eltern dürfen ihren Streit nicht wichtiger nehmen als ihr Kind. Denn das Dorf kümmert sich heute leider meistens nicht mehr um das Kind.

Matthias Franz ist Arzt und Professor am Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universität Düsseldorf und hat das Programm PALME ausgearbeitet, ein bindungsorientiertes Elterntraining speziell für Alleinerziehende, das insbesondere die Mutter-Kind-Beziehung stabilisieren soll. Dafür sind bislang etwa 300 Erzieher weitergebildet worden. Das Elterntraining kann bei hoher psychosomatischer Belastung auch in der Celenus-Klinik in Gengenbach im Schwarzwald am Stück absolviert werden.

Hier finden Alleinerziehende Tipps des Familienministeriums. Im Erziehungsratgeber von Süddeutsche.de finden Sie auch Expertentipps zum Thema Trennung und Scheidung sowie zu Patchworkfamilien.

Alleinerziehende sind stolz darauf, wie sie Kind, Beruf und Haushalt unter einen Hut bringen. Meistens. Außer an den Tagen, an den gar nichts klappen will. Die Erziehungs-Kolumne "Kinder - der ganz normale Wahnsinn".

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