Zum Tod von Wolfgang Wagner:Das werktreue Gewissen

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Erst war er nur Organisator und ein ganz ordentlicher Regisseur - Wolfgang Wagners Genialität entfaltete sich erst später. Er wurde zum wagemutigen Festspiel-Leiter.

Joachim Kaiser

Nie sprach Wolfgang Wagner hochtönend, ehern bedeutungsvoll oder gar pathetisch. Er, jahrzehntelang das Schicksal Bayreuths bestimmend, redete vielmehr formlos fränkisch, meist recht leise, gelegentlich auch unverblümt cholerisch. Darum unterschätzten viele Wagner-Bewunderer den Bayreuther Enkel beträchtlich, als harmlos fränkischen Babbler. Sie ahnten nicht, dass Wolfgang Wagner eine (vielleicht unbewusste) Verweigerung praktizierte. Der wollte einerseits wahrlich seiner Lebensaufgabe, des Großvaters hochgespannte Dramen in Bayreuth angemessen und lebensvoll zu präsentieren, mit äußerstem Einsatz nachkommen - aber andererseits dabei doch selber fränkisch privat bleiben.

Im Jahr 1951 war er, als 32-Jähriger, zusammen mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Wieland Chef des Neuen Bayreuth geworden. Da aber Wolfgang an allem "Praktischen", an Realitäten, Bauplänen und vernünftigem Umgang mit zu beschaffendem Geld, als der weitaus Interessiertere beider Brüder erschien, während Wieland als der phantasievollere und spekulative Künstler galt, gestaltete sich die Bayreuth-Eröffnung von 1951 zum Triumph für den - gewiss auch heftig angefeindeten - Regisseur Wieland Wagner, der sich damals mit "Parsifal" und dem "Ring des Nibelungen" einer kritischen Öffentlichkeit stellte, um eine Weltsensation zu schaffen. So wurde Neu-Bayreuth von Anfang an zum Publikumsmagneten. Wolfgang Wagner gelang es immerhin, dass der Betrieb ökonomisch gesichert, vernünftig organisiert und modernisiert erschien.

Ob er unter diesem Gegensatz, nur Macher zu sein, während Wieland als Künstler ernst genommen wurde, nicht doch gelitten hat? Bis zu Wieland Wagners erschreckend frühem Tod, 1966, galt Wolfgang nur als vernünftiger Organisator - und wohl auch, wie sich bei einigen seiner Inszenierungen gezeigt hatte, als ein ganz ordentlicher Regisseur, Wieland jedoch als innovatives Genie. Wolfgangs Genialität entfaltete sich erst später. Er wurde zum wagemutigen Festspiel-Leiter.

Weder chauvinistisch noch antideutsch

Als Regisseur ist Wolfgang keineswegs immer nur der "kleinere Bruder" gewesen, sondern zugleich auch so etwas wie das wagnertreue Gewissen Bayreuths. Denn die Modernität Wielands bestand in radikaler Stilisierung. Wieland hasste die mittlerweile als "faschistisch" geltenden allzu realistischen Inszenierungen der Nazizeit, wo die entfesselte, naturalistische Regie sich bei den "Meistersingern" mit pittoresken Einzelheiten geradezu überbot. Bei Wieland durften folglich nur stilisierte, abstrakte Symbole die Bühne beherrschen, (was freilich Wielands Gegner gleichfalls als "faschistisch" kritisierten). Immerhin wirkte Wielands kraftvolle Personenführung überwältigend.

Wolfgang Wagner hingegen hatte bereits 1968 eine zwingende, weder chauvinistische noch antideutsche Inszenierung gewagt. Er verbürgerlichte die Meistersinger. Es waren keine nationalen Repräsentanten, sondern harmlose, mit Vereinsmeierei, Selbstzufriedenheit, Beschränktheit, mit Gutmütigkeit und Instinktsicherheit begabte deutsche Kleinbürger. Realistische Figuren mit Schwächen, denen man aber gleichwohl glaubte, dass sie zu vollbringen imstande seien, was ja Lichtblick in der sonst nicht sehr ermutigenden Geschichte deutscher öffentlicher Einrichtungen ist: nämlich eine vernünftige Kultur freier Reichsstädte.

Bei den vielen Auseinandersetzungen, die natürlich auch Wolfgang Wagner wegen der passionierten Hitlerei seiner Mutter Winifred auszuhalten hatte, blieb er stets zu nobel, um darauf hinzuweisen, dass Wieland Parteigenosse gewesen ist, seine Mutter die hingebungsvolle Vertraute des Führers, während er keineswegs in die Partei eintrat. So wurde er auch nicht, wie sein von Hitler stets geförderter Bruder, vom Wehrdienst freigestellt, sondern eingezogen. Und kurz nach Kriegsausbruch, 1939 in der Gegend von Radom, ziemlich schwer verwundet.

Nicht nur verlegen - empört

Als dann später seine Mutter, die Festspielchefin von 1930 bis 1944 gewesen war, im Fernseh-Gespräch mit Hans-Jürgen Syberberg freimütig bekannte: "Wenn der Hitler heute zur Tür herein käme - ich wäre genauso fröhlich und glücklich ihn hier zu sehen und zu haben, wie immer", war Wolfgang nicht nur verlegen, sondern empört. Und er erteilte seiner Mutter Hausverbot am Grünen Hügel.

Das hat damals manche Zeitzeugen beglückt, andere auch ein wenig erstaunt. (Ich erinnere mich zum Beispiel, dass die wunderbare jüdische Publizistin Hilde Spiel förmlich entzückt war über den zumindest total ungewöhnlichen Freimut der trotzigen alten Dame Winifred).

Hält man sich Bayreuths Geschichte, wie Wolfgang sie seit 1966 jahrzehntelang geprägt hat, vor Augen, dann ermisst man schwerlich, wie kühn manche seiner Entscheidungen gewesen sind, die sich nur eben später als Erfolge herausstellten. So wurde beispielsweise Wolfgangs Entschluss öffentlich angefochten, einen 32-jährigen französischen Regisseur für den Jahrhundert-Ring zu verpflichten, der allerdings noch nie eine Wagner-Oper inszeniert, sondern nur auf Wolfgang persönlich einen höchstes Vertrauen erweckenden Eindruck gemacht hatte. Das war Patrice Chéreau. Freilich hatte ihn Boulez empfohlen. Nach der letzten "Götterdämmerungs"- Aufführung dauerte der Beifall über eine Stunde, man zählte 104 Vorhänge.

Notgedrungen geizig

Mindestens ebenso kühn wie die Wahl des revolutionshaft modernen Chéreau dürfte gewiss Wolfgang Wagners Entscheidung gewesen sein, den folgenden "Ring" vom Londoner Regie-Star Peter Hall und dem Dirigenten Georg Solti vorhersehbar konservativ schmieden zu lassen. Hall war auf die naheliegende Idee gekommen, dass Rhein-Töchter erstens splitternackt und zweitens sichtbar sein sollen. Dazu bedurfte es unendlich teuerer Spiegeleinrichtungen. Und der stets notgedrungen geizige Wolfgang Wagner ermöglichte auch das. Übrigens wollte er auch einmal den damals wohl berühmtesten deutschen Theater-Mann, Peter Stein, als "Ring"- Regisseur verpflichten. Doch Steins Forderung, man solle den "Ring" auf zwei Abende zusammenstreichen (statt jener vier, welche die Tetralogie benötigt) schien Wolfgang Wagner gerade in Bayreuth unerfüllbar. Anderswo ließe sich Ähnliches durchaus probieren...

Mit beträchtlicher Phantasie und Originalität, natürlich auch verbunden mit unleugbaren Pleiten, hat Wolfgang Wagner die Kunststätte Bayreuth erhalten. Nicht nur, was er für sein Haus organisierte, welche Künstler er verpflichtete, war dabei von Gewicht. Sondern im gleichen Maße, wie eindringlich er seine ungeheuren Wagner-Erfahrungen an Jüngere zu vermitteln verstand. Man bleibt wahrscheinlich nur in dem Maße am Leben, in dem weiter zu wirken vermag, was man getan, geschrieben oder gesagt hat. Daniel Barenboim bekundet begeistert, wie viel er in seiner Bayreuther Zeit von Wolfgang Wagner gelernt hat. "Das reicht von musikalischen Details bis hin zum Organisatorisch-Praktischen". Und Christian Thielemann berichtet, wie sehr ihm Wolfgang Wagner auf die Sprünge half, wenn es galt, die richtigen Tempi für die Gurnemanz-Erzählung zu wählen oder Orchester-Überleitungen vor dem Durchhängen zu bewahren.

Alles das haben wir, gewiss manchmal auch ein wenig überdrüssig, weil der eigensinnige Alte immer noch wirkte, wie Selbstverständlichkeiten hingenommen. Nun, da Wolfgang Wagner gestorben ist, werden wir spüren, wie sehr er uns fehlt, wie einzigartig auch dieser Enkel sein Jahrhundert geprägt hat.

© SZ vom 23.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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