Von der Sorge um die Sprache:Schmusen und angeben

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Wer englische Wörter bekämpft, bringt auch Juden um? Was sprachlicher Purismus mit Rassismus zu tun hat und warum Wörter wie Straßenköter sind.

Jürgen Trabant

Sprachpurismus gilt seit Goethes und Schillers Xenion gegen den Puristen als lächerlich: "Sinnreich bist du, die Sprache von fremden Wörtern zu säubern, / Nun so sage doch, Freund, wie man Pedant uns verdeutscht." Heutzutage gilt Purismus überdies als politisch verwerflich, sozusagen als Abart des Rassismus: Nach politisch korrekter Meinung korrespondiert im Denken der Puristen die Reinheit der Sprache mit der Reinheit des Blutes. Oder: Wer englische Wörter bekämpft, bringt auch Juden um.

In der Sprache erkennen wir die Mechanismen, die auch bei der Produktion des Straßenköters wirken: schmusen und angeben. Was dann als Summe herauskommt, ist oft ein ziemliches Gemisch. (Foto: Foto: oH)

Ein geschätzter Kollege behauptete kürzlich in einem ansonsten schönen Buch über Sprache und Politik, dass Sprachreinigungsgesetze immer im Tandem mit Aktivitäten für rassische Reinigungen aufgetreten seien. Immer?! In der Tat hatte sich der puristische Allgemeine Deutsche Sprachverein dem Nationalsozialismus angebiedert (Hitler selbst hat allerdings dem sprachlichen Purismus ein Ende bereitet, dem rassistischen bekanntlich nicht). Ich sehe aber nicht, dass zum Beispiel die Gründung der Académie française, die ausdrücklich der Reinigung der französischen Sprache dienen sollte, von rassistischen Gesetzen begleitet gewesen wäre.

Ein Kollege hat neulich schaudernd bei mir "Purismus" vermutet, weil ich mich für das Deutsche als Wissenschaftssprache eingesetzt hatte. Erstens hat das nichts mit Purismus zu tun, zweitens bin ich gar kein Purist, dazu liebe ich die "Wörter aus der Fremde" (Adorno) viel zu sehr. Außerdem weiß ich als Sprachwissenschaftler, dass Sprachen nicht "rein" sind und woher die Wörter kommen. Sprachen sind Straßenköter, Mischungen, Kreuzungen, Resultate der Begegnung des Schönsten mit dem Hässlichsten, des Höchsten mit dem Niedrigsten, des Nächsten mit dem Fernsten.

Denn wie die Aktion, die zur Produktion des Straßenköters führt, ist auch Sprechen ein nicht zu unterdrückender Trieb, bei dem alles eingesetzt wird, was zum Erfolg führt. Wenn ich kein eigenes Wort für etwas habe, mache ich mir eines oder borge mir eines aus. Weil ich klug, stark, jung, elegant und weltläufig erscheinen möchte, leihe ich mir eines aus der klugen, starken, jungen, eleganten großen weiten Welt. Weil ich so cool sein möchte wie ein amerikanischer Ghetto-Bub, spreche ich wie dieser, borge mir sozusagen Wörter "von unten". Weil ich so gelehrt erscheinen möchte wie Adorno, verwende ich Wörter wie "perhorreszieren" oder "Rancune" und setze das Reflexivpronomen so weit wie möglich ans Ende des Satzes.

Wir erkennen die Mechanismen, die auch bei der Produktion des Straßenköters wirken: schmusen und angeben. Was dann als Summe herauskommt, als "Sprache", ist in der Tat oft ein ziemliches Gemisch.

Hebt das Niveau!

Gegen dieses Straßenköterartige der Sprachen haben nun seit Jahrhunderten immer wieder Menschen sich (Adorno!) gewehrt. "Wörter aus der Fremde" waren aber dabei nicht die vorrangigen Gegenstände solcher Abwehr. Und es sind auch keine lächerlichen oder verwerflichen Motive, die solchen Aktivitäten zugrundeliegen. Zumeist liegt nämlich der Abwehr des Straßenköterhaften der Wunsch zugrunde, die Sprache auf ein hohes kulturelles Niveau zu heben, das man gerade andernorts erreicht sieht.

Im Frankreich des 16. Jahrhunderts war es der Wunsch, mit dem Lateinischen oder mit dem Italienischen mithalten zu können, der die Sorge um die Sprache (die es fürs Lateinische natürlich schon längst gab: cura linguae) in Gang setzte. Weil er das Französische genauso vornehm wie die klassischen Sprachen haben wollte, hat zum Beispiel der erste "Sprachpfleger" Frankreichs, der Drucker Geoffroy Tory, 1529 gegen "niedrige" Wörter, gegen snobistischen Schwulst und gegen zu viele lateinische Wörter polemisiert.

Das Lateinische wird hier aber nicht als "Fremdes" abgelehnt, sondern als etwas gelehrt Dünkelhaftes, Latein war keine "fremde" Sprache im Frankreich jener Zeit. Erst Henri Estienne hat fünfzig Jahre später gegen zu viele fremde Wörter, nämlich gegen Italianismen gewettert. Aber auch hier war die Polemik mehr vom religiösen Zorn des Protestanten gegen die Katholiken und über die von ihrer italienischen Königin angezettelte Bartholomäusnacht motiviert als von Xenophobie oder gar von Rassismus.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie Frauen die gesprochene Sprache verändert haben.

Die Sorge um die "Reinheit" einer Sprache ist Teil einer viel komplexeren Sorge um die Sprache. Das kann man beispielhaft an der klassischen Quelle des Purismus, an den Gründungsdokumenten der französischen Akademie von 1635, zeigen. Die "Reinigung" der französischen Sprache ist ausdrücklich eine ihrer Aufgabe: "la rendre pure".

Der Purismus der französischen Akademie richtet sich aber nicht gegen ausländische Wörter. Der "Schmutz", von dem die Sprache gereinigt werden sollte - tatsächlich wird von "ordures", "Müll", in diesem Zusammenhang gesprochen -, findet sich im Inneren der Sprache und meint Niedriges, Dialektales und allzu spezielle Fachwörter im Französischen selbst. Gerade die Letzteren benutzt im Französischen übrigens der "pédant", der Spezialist, der Fachidiot. Der Purist ist also gerade kein Pedant, was immer die Weimarer Klassiker auch meinten.

Reizvolle Unterschiede

Hinter dem Reinigungsmotiv steht nicht Fremdenhass oder Rassismus, sondern der Wunsch nach Heilung eines inneren Übels: Das Bedürfnis nach Reinheit (und Ordnung) der kultivierten Sprache erwächst nämlich aus der Erfahrung des Bürgerkriegs, des französischen Religionskriegs, den man sich genauso scheußlich vorstellen darf wie den deutschen Dreißigjährigen Krieg danach oder Darfur und Kongo heute.

Vor dem Bürgerkrieg war das Französische sozusagen eine permissive Sprache gewesen. Es war offen für Entlehnungen, vor allem aus dem Lateinischen und Griechischen, man freute sich ihrer dialektalen Vielfalt, und auch die sozialen und stilistischen Unterschiede waren reizvoll und wurden literarisch genutzt.

Nun wurde diese Offenheit und innere Verschiedenheit, diese Komplexität der Sprache, gleichsam in Schuldhaft genommen für das Chaos des Bürgerkriegs: Man hatte einfach genug von Diversität, Komplexität, Dissonanz, man sehnte sich nach Einheit, Ordnung, Einfachheit. Es gab einen Wunsch nach Zähmung der Wildheit und der Passionen - eine Bewegung, die stark von Frauen getragen wurde, gleichsam als Gegenbewegung gegen die wilden Kerle, die das Land - und die Sprache - mit ihren unkontrollierten Leidenschaften in den Krieg, in das Blut der Bartholomäusnacht, in den Dreck getrieben hatten. Lasst uns eine aus einem einzigen geographischen und sozialen Ort hervorgehende vorbildliche Sprache schaffen!

Die Sprache der vornehmen Frauen

Die "reine" Sprache war der sogenannte "bon usage", der "gute Sprachgebrauch", den der Akademie-Grammatiker Vaugelas im "besten Teiles des Hofes" fand, in letzter Instanz war sie die gesprochene Sprache der vornehmen Frauen. Die Reinheit ermöglichte "noblesse et élégance" der Sprache. Sprachlicher Purismus ist also primär ein Ringen um Distinktion in einer hyperkomplexen, "schmutzigen" Welt.

Wenn man sich diesen politischen und kulturellen Leidenshintergrund hinter dem Purismus verdeutlicht, so sieht man, dass sich das puristische Motiv an ganz unvermuteter Stelle wiederfindet: Auch die Flucht der Deutschen aus dem Deutschen nach dem Dreißigjährigen Krieg und die Flucht der Deutschen aus dem Deutschen nach dem letzten Krieg verdanken sich nämlich diesem puristischen Motiv: Weg vom Dreck des Krieges, weg von den Gräueln der Nazizeit.

Der Umzug der deutschen Aristokratie ins Französische im 17./18. Jahrhundert wie auch der Umzug der Eliten ins Englische heute sind einem radikalen sprachlichen Purismus geschuldet, der sich von dem ganzen deutschen Müll befreien will. Insofern sollten die anglophonen Deutschen nicht von allzu hohen politischen Rössern herab gegen die Puristen wettern, die keine englischen Wörter mögen. Die radikaleren Puristen sind sie: Sie reinigen die Sprache nicht nur von ein paar "schmutzigen" Wörtern, sondern sie beseitigen gleich den Dreck einer ganzen schmutzigen Sprache. La rendre pure!

Der Autor ist emeritierter Professor für romanische Sprachwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

© SZ vom 23.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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