Valeria Luisellis Debütroman "Die Schwerelosen":Um sich selbst kreisendes Selbstgespräch

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In "Die Schwerelosen" von der mexikanischen Schriftstellerin Valeria Luiselli überlagern sich die Stimmen der Ich-Erzählerin und des unentdeckten lateinamerikanischen Schriftstellers Gilberto Owen. Am Ende führt das ganze Spiel: nirgendwohin.

Von Felix Stephan

Wenn man "Die Schwerelosen" liest, den Debütroman der 1983 geborenen mexikanischen Schriftstellerin Valeria Luiselli, versucht man zunächst, die Erzählebenen zu ordnen. Der Roman verzeiht diesen Anfängerfehler, schließlich suchen wir alle Orientierung, bisweilen sogar in Büchern, deshalb gibt es ja so viele schlechte. Begehen wir den Fehler also gleich noch einmal: Am Anfang sitzt die Ich-Erzählerin mit zwei Kindern und einem Ehemann in ihrer Wohnung in Mexiko-City und kündigt an, einen Roman zu schreiben. Der werde wahrscheinlich "kurzatmig" ausfallen, weil sie einerseits wegen der Kinder selten zum Schreiben kommen werde und zweitens nicht wisse, was dieser "lange Atem" eigentlich sein soll, den so viele Schriftsteller gerne hätten.

Sie erzählt von ihren Jahren in New York, in denen sie bei einem Kleinstverlag gearbeitet hat, der unentdeckte lateinamerikanische Schriftsteller ausgraben und in den USA lancieren wollte. Ihr kam dabei die Aufgabe zu, die Archive der New Yorker Bibliotheken nach unentdeckten lateinamerikanischen Genies zu durchforsten und deren Werke für ihren Verleger zusammenzufassen. Der ist jedoch von keiner ihrer Entdeckungen überzeugt.

Um endlich einen Schriftsteller an den Mann zu bringen, fälscht die Erzählerin ein Gutachten über den wenig bekannten mexikanischen Dichter Gilberto Owen. Und damit ihre Geschichte zur Sensation wird, fälscht sie ein hundert Jahre altes Manuskript gleich mit. An diesem Punkt kippt das sorgsam ineinander gestapelte Zeitebenen-Arrangement dieses Romans und löst sich sanft in nichts auf. Denn nun gesteht die Erzählerin, dass sie bereit ist, für eine gute Geschichte zu lügen, und da diese Hemmschwelle nun einmal überwunden ist, lügt sie von jetzt an ständig, sie hat da ein gewisses Talent. Zwar fliegt die Fälschung auf, als die großen Magazine auf die Geschichte anspringen und der Druck zu groß wird, aber Gilberto Owen geistert von nun an als Widergänger der Erzählerin durch den Text.

Das Buch wirkt nie beladen, sondern ist unterhaltsam

Immer wieder lanciert sie Einzelheiten aus Owens Leben während der Harlem Renaissance in den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts, und jedes Mal enthalten sie eine kleine Lektion an die junge Epigonin. Gilberto Owen war wie unsere Erzählerin ein schreibender Mexikaner in New York und genau wie sie fuhr auch er ziellos mit der Subway durch die Metropole, immer auf der Suche nach seinen poetischen Helden, allen voran Ezra Pound.

Bald fängt Owen selbst an zu erzählen und weil er unserer Erzählerin in Tonfall, Biographie und literarischem Fanverhalten so verflixt ähnlich ist, überlagern sich die beiden Stimmen zusehends. Bald haben sie sich derart synchronisiert, dass sie kaum mehr auseinanderzuhalten sind. Am Ende führt das ganze Spiel: nirgendwohin. Es gibt keine Pointe, keine Lösung, nur ein sanftes Rauschen existenzieller Ruhelosigkeit, Seelenverwandtschaft im Unbehagen an der Kultur.

Was Luiselli in diesem Roman macht, der es auf die Shortlist zum Internationalen Literaturpreis des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin geschafft hat, ist vielleicht so etwas wie absolute Literatur, ein in immer kleiner werdenden Zirkeln um sich selbst kreisendes Selbstgespräch. Die Unmöglichkeit, als poststrukturalistisch beschlagene, junge Kosmopolitin im Jahre 2013 an eine persönliche Erfüllung zu glauben, ist der einzige rote Faden des Romans. Die Literatur wird niemanden retten, sie kann nur immer wieder unsere stille Melancholie artikulieren. Das Wunderbare ist, dass das Buch trotzdem nie beladen wirkt, sondern unterhaltsam ist - clever, witzig, schlagfertig, stolz, tragisch, sensibel. Während die Romane des magischen Realismus die Grenzen zwischen Realität und Mythos verwischten, macht Luiselli deutlich, dass die Opposition aus Mythos und Realität in der Literatur bereits die erste Halluzination ist.

Ob wir den echten oder den bereinigten Roman lesen, wissen wir nicht

Das macht den Weg frei für eine gewisse poetische Albernheit: Während die Erzählerin den vorliegenden Roman schreibt, schleicht ständig ihr Mann, ein Drehbuchautor, um ihren Schreibtisch herum und fragt besorgt, ob all diese Drogen- und Sexerlebnisse in ihrem Manuskript wirklich wahr seien. Mit dem üblichen Fiktionalitätsmantra lässt er sich nicht abspeisen. Als es der Erzählerin zu viel wird, beginnt sie zwei Romane zu schreiben, den echten und einen bereinigten, den sie nachts herumliegen lässt, damit ihr Mann ihn heimlich lesen kann. Welchen wir gerade lesen, wissen wir natürlich nicht.

Als sich der Ehemann auch so nicht abschütteln lässt, schreibt sie in ihr Buch, er reise jetzt zu Dreharbeiten nach Philadelphia. Wenig später schaltet sich ihr Mann wieder ein: Er müsse doch überhaupt nicht nach Philadelphia, was solle er als Drehbuchautor denn am Set? Und jetzt ist er doch durchaus ernsthaft gekränkt, dass er so einfach aus dem Haus geschrieben wird. Es ist ein ewiges Ping-Pong-Spiel zwischen den Signifikanten, es hört nie auf, einen Ausweg gibt es nicht. An einer Stelle, als sich ihre Figuren gegenseitig Gedichte vorlesen, deren Form und Bedeutung bei der Übersetzung zwischen dem Englischen und Spanischen immer wieder verloren gehen, formuliert Valeria Luiselli es so: "Es war, als höre man eine Fuge von Bach, aber eine irre. Es war schwer, die Bedeutung der Verse zu erfassen, aber das war vielleicht auch nicht so wichtig, es kam vielmehr darauf an, den inneren Mechanismus zu entdecken."

© SZ vom 10.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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