Theater:"Wie de aussiehst, so wirste anjesehen"

Der Hauptmann von Köpenick

Ouelgo Téné während einer Probe des Theaterstücks "Der Hauptmann von Köpenick" im Landestheater Altenburg.

(Foto: dpa)

Ein afrikanischer Schauspieler als "Hauptmann von Köpenick"? Im thüringischen Altenburg gefällt das vielen nicht. Ein Besuch in einer Stadt, die sich verändert hat.

Reportage von Mounia Meiborg

Das Problem fängt vor der Theatertür an. Bernhard Stengele kommt von der Probe, er ist hungrig, und die "Kulisse", eine der wenigen Kneipen, die noch offen sind, liegt direkt am Theaterplatz. An einem Ecktisch sitzt ein gepflegter Herr. Der Mann grüßt. Bernhard Stengele grüßt zurück.

Der Mann heißt Gebhard Berger, er betreibt ein Brillengeschäft im Stadtzentrum, nebenbei schreibt er Leserbriefe. Gerade erst hat er wieder über den Schauspieldirektor Bernhard Stengele geschrieben. Er nennt ihn einen "Integrationskabarettisten", der seine Truppe zu "systemhörigen Marionetten" dressiere. Stengele hat den Text gelesen. Und weil wir in Altenburg sind, setzt er sich drei Tische weiter.

Ein urdeutscher Antiheld, gespielt von einem schwarzen Schauspieler

Was am Theater Altenburg-Gera los sein soll, konnte man in den letzten Monaten sogar in der Bild lesen: "Nach Rassismus-Übergriffen: Mitarbeiter flüchten", stand dort. Nach einem Besuch in Altenburg lässt sich festhalten: Niemand "flüchtet". Das heißt aber nicht, dass es in dieser Stadt kein Problem gibt. Ein Problem, das in manchen Teilen Deutschlands im Jahr 2017 zum Normalzustand geworden ist.

Derzeit ist die Aufregung besonders groß: Ouelgo Téné, ein Afrikaner, spielt die Titelrolle in Carl Zuckmayers "Hauptmann von Köpenick", jenem "deutschen Märchen", in dem der Schuster Wilhelm Voigt in eine preußische Uniform schlüpft. Téné, Ensemblemitglied seit 2013, stammt aus Burkina Faso. Heinz Rühmann, Harald Juhnke, Otto Sander haben die Rolle gespielt. Dass dieser urdeutsche Antiheld nun von einem schwarzen Schauspieler dargestellt wird, gefällt nicht jedem.

Auf den ersten Blick wirkt Altenburg wie ein Paradies für gestresste Großstädter. Das liegt an den wenigen Menschen, die man auf der Straße trifft. Und an den mondänen Villen, die den Weg vom Bahnhof in die Altstadt säumen. Vieles steht leer. Vor der Sparkasse, in der Nachmittagssonne, plaudert ein älteres Ehepaar mit zwei Polizisten. Ein Punk mit blauen Haaren stellt die Bierflasche ab, um gegen eine Hauswand zu pinkeln. Ein junger Flüchtling guckt kurz und läuft weiter.

Das Bürgerforum rief dazu auf, das Theater zu boykottieren - bislang ohne Erfolg

Vielleicht muss man, um diese Geschichte zu erzählen, mal wieder mit den Flüchtlingen anfangen. 1300 Menschen sind in die Stadt mit den 33 000 Einwohnern gekommen. Das ist viel, mehr als in Berlin zum Beispiel. Aber keine einzige Turnhalle musste deswegen geschlossen werden. Im Landkreis ist die Abwanderung das größte Problem; die Bewohner hier sind die ältesten in ganz Thüringen, vielleicht sogar in Deutschland.

In einer Stadt, in der Ausländer bisher vor allem Russlanddeutsche waren, tun sich manche schwer mit den dunkelhaarigen Zugezogenen. Im Herbst 2015 gründete sich das "Bürgerforum Altenburger Land". Auf ihren Demonstrationen reden sie über "gewaltbereite Muslime, die Angst und Schrecken verbreiten". Und darüber, dass nur zwei Prozent der Ankömmlinge Recht auf Asyl hätten - die restlichen 98 Prozent wollten das deutsche Sozialsystem plündern. Ihre Rhetorik bewegt sich in etwa auf Pegida-Pegel: Es gibt reichlich Hass und Fake News, aber nichts, was strafrechtlich relevant wäre. Im Oktober rief das Bürgerforum dazu auf, das Theater zu boykottieren, nachdem Schauspieler bei einer Bürgerversammlung Partei für Flüchtlinge ergriffen hatten. Bisher ohne Erfolg. Viele Vorstellungen sind ausverkauft.

"Die Stimmung in Altenburg hat sich stark verändert"

Wie viele Altenburger die Ansichten des Bürgerforums teilen, ist schwer zu sagen. Auf Facebook hat der Deutsche Zivilschutz e.V., die rechtliche Organisationsform des Bürgerforums, nur 620 Likes. Aber unterschätzen sollte man die Situation deshalb nicht, sagt Christoph Lammert von der Rechtsextremismus-Beratungsstelle Mobit. Der zivilgesellschaftliche Protest sei in Altenburg eher verhalten. "Man tut sich schwer dagegenzuhalten." Finanziell sei das Bürgerforum zudem gut ausgestattet. Viel Geld wird in professionelle Image-Filme und in eine Bürger-Zeitung investiert.

Im Herbst 2015 fand in Altenburg die größte Demonstration des neonazistischen Thügida-Bündnisses statt, mit mehr als 2000 Teilnehmern. Tags darauf brannte eine Flüchtlingsunterkunft.

Eigentlich ist Altenburg ein kleines Wunder des deutschen Stadttheaters

Aber man wird in Altenburg auch positiv überrascht. Es gibt den Feinkostladen "Palmyra", in dem ein syrischer Geschäftsmann Fladenbrot und Humus verkauft. Es gibt eine engagierte Integrationsbeauftragte, die früher mal ein Mann war. Und einen Theatersaal, der zu den schönsten im Land gehört: mit rotem Plüsch, Neo-Renaissance-Stuck und so intim, als säße man im eigenen Wohnzimmer.

Bernhard Stengele hat - auch so eine Überraschung - ein internationales Ensemble mitgebracht, als er 2012 als Schauspieldirektor anfing. Die Theater von Altenburg und Gera sind 1995 fusioniert worden. Alle Stücke laufen in beiden Städten. Auf dem Spielplan finden sich auch lokale Themen. Dirk Laucke hat gerade ein Stück über Crystal Meth geschrieben, die bevorzugte Droge in der Region. Trotz der Sparzwänge wurde hier in den letzten Jahren vieles richtig gemacht: ein kleines Wunder des deutschen Stadttheaters.

Die Stimmung in Altenburg habe sich stark verändert, sagt Stengele. 2014 probte er sechs Wochen mit Schauspielern aus Ouagadougou. Als er ein Jahr später das Projekt fortsetzen wollte, ging das kaum noch. Eine Schauspielerin musste zu jeder Probe abgeholt werden, weil sie Angst hatte, allein die Wohnung zu verlassen.

30 Kilometer westlich, im Foyer des Theaters Gera, hängt ein Bild von allen Schauspielern, Tänzern und Sängern, die am Haus arbeiten. Sie tragen weiße T-Shirts, fotografiert vor weißem Hintergrund. Die beiden Männer mit der dunkelsten Haut werden künftig fehlen. Der Tenor Thaisen Rusch, in Sri Lanka geboren, ist bereits weg; er hat sein Engagement vorzeitig aufgelöst. Auch der Schauspieler Ouelgo Téné wird im Sommer gehen; ebenso wie seine Kolleginnen Katerina Papandreou und Öykü Oktay, die aus Griechenland und der Türkei stammen.

Berlin, Wien, Chemnitz, Dresden: Auch andernorts mehren sich Angriffe auf Künstler

Kay Kuntze, der Intendant, muss deshalb in letzter Zeit oft über Rassismus reden. Er betont erst mal, wie international sein Ensemble immer noch ist: Von 22 Balletttänzern stammen 21 aus dem Ausland. Aber was er im Oktober bei den Personalgesprächen über rassistische Anfeindungen hörte, beschäftigt ihn. "Bei Ensembleabgängen war Fremdenfeindlichkeit bisher nie ein Thema." Dass sich dies geändert habe, sei besorgniserregend. Wenngleich drei der vier auch andere Gründe für ihren Weggang genannt hätten. Kuntze berichtete in einem Brief an die Gesellschafter und Aufsichtsräte des Theaters über die Gespräche. Die Piratenpartei Gera veröffentlichte ihn. Dass Verträge nicht verlängert werden, sei normal, sagt Kay Kuntze. "Aber dieser Alltagsrassismus, den es immer gab und immer geben wird, traut sich zunehmend aus der Deckung und wirkt sich aus. Alltagsrassismus verändert eine Gesellschaft."

Auch andernorts mehren sich Angriffe auf Künstler. Der Regisseur und Autor Falk Richter bekam Morddrohungen wegen seines AfD-Stücks "Fear" an der Berliner Schaubühne. Im April stürmten Identitäre in Wien eine Aufführung von Jelineks Stück "Die Schutzbefohlenen", an der auch Flüchtlinge mitwirkten. In Chemnitz wurde im November ein Sprengstoffangriff auf ein Kulturzentrum verübt, das ein Stück zum NSU zeigte. Und in Dresden, wo Pegida-Demonstranten schon vor einiger Zeit das Wort "Lügentheater" erfanden, gibt es nun auch "Lügenbusse". So nennen rechte Demonstranten die Installation von Manaf Halbouni, die an die Opfer von Aleppo erinnern will. Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert erhält Morddrohungen und steht unter Polizeischutz. Der Fall Altenburg scheint auf den ersten Blick ins Bild zu passen. Und doch unterscheidet er sich: Ouelgo Téné wurde nicht attackiert, weil er Schauspieler ist. Sondern weil er schwarz ist. Nur der Boykottaufruf richtet sich direkt gegen das Theater.

Fremd ist in dem Stück nicht der Schwarze, fremd ist die preußische Deutschtümelei

Vor Ort, in Thüringen, verlief die Diskussion etwas anders. Es ging darum, ob Altenburg zu Unrecht in die rechte Ecke gestellt werde - und über die Nachweisbarkeit von Alltagsrassismus. Denn keiner der Darsteller hat eine Strafanzeige gestellt. Lokale Zeitungen fragten, ob es die Anfeindungen überhaupt gegeben habe.

Ouelgo Téné ist das Thema leid. Aber weil er ein höflicher Mensch ist, redet er doch darüber. Ja, er wurde angegriffen, oft verbal, einmal körperlich. Ja, er hat manchmal Angst. Nein, das ist nicht der Hauptgrund, warum er geht. Er brauche eine Pause, sagt er. Und erzählt im nächsten Moment von Altenburger Theatergängern, die ihm nach der Vorstellung gratulieren.

Am Sonntag ist die Premiere von "Der Hauptmann von Köpenick". Über Téné in der Titelrolle gibt es online hässliche Kommentare zu lesen. Mal wird im Sinne vermeintlicher Werktreue argumentiert, mal offen rassistisch. Ein Altenburger Stadtrat sagt: "Ich weiß nicht, ob es gut ist, dass in einer solch aufgeheizten Stimmung unbedingt ein Farbiger den Hauptmann von Köpenick spielen muss."

"Wie de aussiehst, so wirste anjesehn."

Gleich zu Beginn des Stückes wird die Perspektive deutlich: Ouelgo Téné steht vorne am Bühnenrand und schaut aufs Geschehen. Auf der Drehbühne ziehen Biedermeier-Szenen vorbei. In diesem Typen-Karussell ist der Außenseiter Wilhelm Voigt der einzig echte Mensch. Man kann das auch so verstehen: Fremd ist heute nicht der Mensch mit der schwarzen Hautfarbe. Fremd ist heute die preußische Deutschtümelei aus Zuckmayers Zeiten.

Téné spielt konzentriert und zurückgenommen. Wie es die Rolle verlangt, berlinert er; mit Akzent allerdings. In den stärksten Momenten legen sich Zuckmayers Stück und die deutsche Gegenwart übereinander: wenn er nach einer Aufenthaltserlaubnis verlangt. Wenn er einem gelangweilten Beamten dreimal seinen Namen buchstabiert. Und wenn er resümiert: "Wie de aussiehst, so wirste anjesehn."

Die Premiere ist unfreiwillig zur Symbolfrage geworden - darüber, wer in Altenburg das Sagen hat. Und darüber, wie offen die deutsche Gesellschaft ist. Viel Druck für einen Schauspieler. Ouelgo Ténés Wilhelm Voigt ist in vielen Szenen ein stummer Beobachter; ein Fremder in einem geschlossenen System. Und einer, der sich partout nicht ausgrenzen lässt. Es ist, vielleicht, mehr als eine Theaterrolle.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: