Skandal im schwedischen Königshaus:Ein Herz und eine Krone

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Die Monarchie und die populäre Kultur verbindet inzwischen einiges. Vor allem die Prominenz. Und der Skandal - genau das bekommt gerade Carl XVI. Gutstaf von Schweden zu spüren.

Thomas Steinfeld

Auf dem Video, das die schwedische Popgruppe Army of Lovers im Jahr 1991 zu ihrem Song Crucified machen ließ, sieht man die drei Mitglieder der Band, wie sie, ausstaffiert als Gestalten des späten Rokoko, durch eine Gemäldegalerie marschieren. Camilla Henemark, die vielleicht auch singt, trägt in Samt und Seide ihre Brüste voran, während ihre beiden Gefährten rote Fahnen schwingen, auf die je ein goldenes Herz gestickt ist.

Der schwedische Monarch Carl XVI. Gustaf soll ein Verhältnis mit Popsängerin Camilla Henemark gehabt haben. Das enthüllt eine Biographie über den Monarchen. (Foto: dpa)

Zwei Bilder sind während dieses Defilées genauer zu sehen: Das eine ist Agnolo Bronzinos um 1550 entstandene Allegorie der Liebe, das wegen des darin angedeuteten Zungenkusses eines der großen Skandalbilder der Kunstgeschichte ist. Das andere zeigt den jungen König Carl XVI. Gustaf im Schmuck seiner Uniform - den Monarchen, mit dem Camilla Henemark, falls es stimmt, was sie selbst und der Boulevard seit ein paar Tagen behaupten, einige Jahre später eine kleine Affäre verband.

Die Geschichte hätte, wenn sie denn wahr wäre, einigen Witz. Denn eine wirkliche Band war The Army of Lovers nie, eher eine Art musikalischer Kostümshow, zu der sich ein ehemaliger Frisör, eine gewesene "Drag Queen" und ein Fotomodell verbunden hatten. Darstellungen spätfeudaler Dekadenz gehörten immer wieder zu ihrem Repertoire. In diese Truppe von Schaustellern tritt nun ein leibhaftiger König, den man zwar keinen Souverän mehr nennen könnte, der aber immer noch von den äußerlichen Attributen und Zeremonien eines Monarchen umgeben ist - ein Herrscher ohne Macht also, dessen wichtigste Aufgabe die Repräsentation, also die Schaustellung ist.

Auf neutralem Gelände - im Hinterzimmer eines Restaurants, in der Wohnung eines Dritten - begegnen sich so nicht nur zwei Formen eines spielerisch gewordenen Feudalismus, sondern auch eine populäre Kultur, die eine eigene Aristokratie hervorbringt, und eine Aristokratie, die, um ihres Überlebens willen, längst Motive der populären Kultur in sich aufgenommen hat.

Dass es diese Nähe gibt, ist offensichtlich: Sie äußert sich nicht nur darin, dass die populäre Kultur Fürsten in großer Zahl hervorbringt, vom King of Blues über die Catwalk Princess bis zur Disco Queen, sondern vor allem darin, wie deren Karrieren verlaufen: Da wird ein Mensch, aus Gründen, die nicht immer nachzuvollziehen sind, aus der Gemeinschaft der Namenlosen herausgehoben und zieht eine allgemeine Neugier auf sich. Ohne sich jedoch grundsätzlich von allen anderen Menschen zu unterscheiden, wird er, über alle Fähigkeiten und Kenntnisse hinaus, zu einer schlechthin interessanten Gestalt - zu einer öffentlichen Figur also, für die keine Arbeitsteilung und kein Qualifikationen mehr gelten können, weil er als ganze Person in seinen Auftritten aufgeht.

Ein verborgenes Privates ans Licht zerren

Genau diese Möglichkeit zur Ganzheit aber bildete, solange der Feudalismus an der Macht war, den Unterschied zum Dritten Stand: "Wenn der Edelmann durch die Darstellung seiner Person alles gibt, so gibt der Bürger durch seine Persönlichkeit nichts und soll nichts geben", heißt es in Johann Wolfgang Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre aus dem Jahr 1795. Doch längst haben, wie der Grazer Philosoph Andreas Dorschel in seinem Aufsatz Wie lebt es sich in aller Munde? erklärt (siehe SZ vom 22. Juli 2002), die bürgerlichen Verhältnisse eine eigene Aristokratie hervorgebracht: die Prominenz.

Die Monarchen sind der Prominenz weit entgegengekommen, zuerst in Form der Fürsten von Monaco, dann in Gestalt der Lady Diana, der "Prinzessin der Herzen", dann in Heiraten mit Hostessen und Fitness-Trainern sowie in Liaisons mit Rockmusikern und Nacktmodellen. Der schwedische König scheint also nur fortzusetzen, was sich unter seinesgleichen, auch in der eigenen Familie, aus systematischen Gründen längst vollzogen hat.

Damit aber unterwirft er sich vollends der Logik einer bürgerlichen Öffentlichkeit. Denn sie kann es auf Dauer doch nicht ertragen, wenn eines ihrer Subjekte aus nichtigen Gründen anders als alle anderen wird: Zuerst verfolgt sie fasziniert den von ihr selbst produzierten Aufstieg, dann rächt sie sich an dem von ihr Ausgezeichneten, indem sie ihn mit Gewalt zurück ins Gewöhnliche und Allergewöhnlichste stößt. Sie tut es durch den Skandal, dessen Leistung ja darin besteht, im Öffentlichen ein verborgenes Privates zu finden und ans Licht zu zerren. Diese Gewalt bekommt Carl XVI. Gustaf nun zu spüren, nicht zum ersten Mal, aber heftiger denn je. Die Gruppe Army of Lovers scheint indessen auch diesen Fall vorausgesehen haben: Ihre letzte Schallplatte, im Jahr 2001 erschienen, trägt den Titel: Le Grand Docu- Soap.

© SZ vom 15.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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