"No Place on Earth" im Kino:Unglaubliches ans Licht gezerrt

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Tageslicht nach 511 Tagen am Ende der Welt in einer Szene des Films "No Place on Earth". (Foto: dpa)

Ein Höhlenforscher entdeckt im felsigen Untergrund der Ukraine überraschenderweise Spuren der Zivilisation - und stößt damit auf eine spektakuläre Geschichte, die noch niemand ausgeplaudert hat. Janet Tobias zeichnet sie nun in ihrer Doku "No Place on Earth" nach.

Von Susan Vahabzadeh

Manche Geschichten sind so spektakulär, dass man gar nicht begreifen kann, wie sie mehr als ein halbes Jahrhundert lang unerzählt bleiben konnten.

Der New Yorker Höhlenforscher Chris Nicola hat Unglaubliches zu Tage gefördert, zufällig: Er schaute sich eine Höhle in der Ukraine an und fand dort ein paar unerwartete Dinge: Haushaltsgegenstände, einen Kinderschuh, Spuren von Zivilisation, die er dort unten nicht vermutet hätte.

Er beginnt also, in der Gegend zu fragen, ob irgendjemand weiß, wie die Sachen dort hingekommen sein könnten. Man weicht ihm aus, aber er bohrt nach und erhält irgendwann eine Antwort, die ihn nicht mehr loslässt: Es wird wohl eine jüdischen Familie während des Holocausts sich in der Höhle versteckt haben.

Das war Anfang der Neunzigerjahre, Nicola ging der Sache nach, er bekam eines Tages ein paar Namen heraus und schaffte es dann, Kontakt aufzunehmen mit Überlebenden, ein paar Leuten, die damals noch Kinder gewesen sind.

Ein Leben unter der Erde, in einer kalten, dunklen Höhle, mit wenig Nahrungsmitteln und immer in Angst - so haben zwei verwobene Clans, die Familien Wexler und Stermer, versucht, der barbarischen Hatz von Nazis und ukrainischen Kollaborateuren zu entgehen, nachdem die Flucht nach Kanada gescheitert war.

Unterlagen aus dem Kloster

Ein paar Bauern aus der Gegend halfen, 28 Menschen versteckten sich anfangs in der Höhle, bis sie 1943 von der Gestapo entdeckt wurden. Einige Familienmitglieder entkamen und versteckten sich in einer anderen Höhle. Einer aus der Familie, Sol Wexler, kam nach Kriegsende nach München und blieb eine Weile im Kloster Indersdorf in der Nähe von Dachau - dort zeichnete eine UN-Mitarbeiterin seine Erinnerungen auf, die Unterlagen wurden für den Film benutzt.

"No Place on Earth" ist der erste Dokumentarfilm der Produzentin Janet Tobias, ein spannendes Stück, das sehr nach Fernsehen aussieht, selbst wenn sie in die tiefen Grotten hinabsteigt, in denen die Wexlers und die Stermers mehr als 500 Tage lang ausharrten.

Der Rest ist Erzählung, chronologisch angeordnete Interviews, manchmal als Voice-over über ungelenke Spielszenen gelegt; das erste Drittel, wenn es noch nicht um Chronologie geht, sondern um Übersichtlichkeit, ist ein dramaturgisches Labyrinth, weil Tobias einerseits unbedingt Nicola für sein Verdienst würdigen will, die Story ans Licht gezerrt zu haben, andererseits aber erst mal erzählen sollte, worum es in dieser Story überhaupt geht.

Tobias hat sich redlich Mühe gegeben, sichtbar, vielleicht sogar spürbar zu machen, wie es gewesen sein muss da unten - es gibt nur wenig Licht in diesem Film. Vielleicht würde man den Erzählungen der Wexler- und Stermer-Kinder eine bessere Inszenierung wünschen; andererseits kann man sich kaum eine Geschichte vorstellen, die so für sich allein besteht wie die ihres Überlebens.

No Place on Earth, USA/D/GB 2012 - Regie: Janet Tobias. Buch: J. Tobias, Paul Laikin. Kamera: Cesar Charlone, Eduard Grau, Sean Kirby, Peter Simonite. Mit: Saul Stermer, Sam Stermer, Sonia Dodyk, Sol Wexler. Senator, 84 Minuten.

© SZ vom 08.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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