Neue Alben von Sido und Fettes Brot:Nicht mehr cool

Sido

Die Credibility ist weg: Rapper Sido bei einem Konzert in Berlin.

(Foto: dpa)

Früher standen seine Texte auf dem Index. Heute muss sich Sido den Vorwurf gefallen lassen, "schrecklichen Schnulzen-Müll" zu produzieren. Er ist nicht der einzige Musiker mit Imageproblem.

Von Jakob Biazza

Früher auf dem Index - heute anrührend bürgerlich

Schauen wir kurz auf Sidos Facebook-Timeline. Dorthin also, wo die Menschen ein bisschen ungehemmter kommentieren: "schrecklicher schlager schnulzen müll sorry", hat da jemand geschrieben. "Opfer der Industrie" ein anderer. "Medienschwuchtel" steht da auch. Die Posts meinen Sidos aktuelle Single "Astronaut". Andreas Bourani singt darin den Refrain. Der Mann also, der seit seinem WM-Song "Auf uns" darauf gebucht ist, das bundesdeutsche Wir-Gefühl in die Wohnzimmer zu schmettern.

Es ist das erste Mal, dass Sido, dessen Texte in einer fernen Vergangenheit auch mal auf dem Index standen, es mit einem Song auf Platz 1 der Charts geschafft hat. Und es würde nicht wundern, wenn "VI" (Universal), dem in der kommenden Woche erscheinenden Album des Rappers, dies auch gelänge. Song wie Platte zeigen nämlich, wie anrührend bürgerlich dieser Paul Würdig, wie Sido eigentlich heißt, inzwischen geworden ist. Und wie breit die Masse, für die er Musik macht.

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Mit etwas diffuser Sorgenlyrik zum Beispiel: "Wir hab'n morgens schon vergessen, wer wir gestern noch war'n / Hab'n uns alle vollgefressen und vergessen zu zahl'n." Und mit Beats, die bis unter die Decke vollgehängt sind mit dunkel-schweren Klavierakkorden und staatstragenden Geigen. Etwas Sozialkitsch ist übrig geblieben ("Löwenzahn"). Und Angst vor dem Tod, die hat Sido jetzt auch ("Knochen und Fleisch"). In Summe ist er jetzt also tatsächlich der Marius Müller-Westernhagen des DeutschRap geworden. Ob das noch authentisch ist? Und wie! Im jugendlichen Sinne cool ist es halt nicht mehr.

Stark gesüßter Elektro-Pop mit ein paar Party-Raps

Andere Facebook-Timeline, ähnliches Problem: "Von 'Aussen Top Hits, Innen Geschmack' zu 'Teenager vom Mars' . . . wie konnte das passieren?" Auch bei Fettes Brot verhandeln die Fans die große Frage, ob und - wenn ja: - wie sich Hip-Hop-Künstler weiterentwickeln können. Verständlich. In der Hauptsache produzieren die Hamburger ja schon seit ein paar Alben stark gesüßten Electro-Pop, für den der Sprechgesang manchmal nur noch die Glasur ist. Weil das Trio sich in den 20 Jahren seit seinem Durchbruch mit "Auf einem Auge blöd" aber sehr angenehm von Dogmen freigehalten hat, gönnte man ihm, zu Recht, eine gewisse Narrenfreiheit. Im Wortsinn.

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Jetzt also "Teenager vom Mars" (Fettes Brot Schallplatten). Der Titel war wohl mal als krudes Konzept gedacht, wird aber nicht durchgehalten. Das ist das kleinere Problem. Das größere: Das Album hat zwar alles, was man von der Band inzwischen so kennt - ein paar drahtige Indie-Gitarren, glitzernde Pop-Synthies, viel Gesang und ein paar Party-Raps. Aber wenig davon kann mit Bands konkurrieren, die hauptberuflich Pop, Indie oder Party machen. Das meiste bleibt auf Zitatniveau hängen. Schade. Vor allem die Hip-Hop-Songs "K.L.A.R.O." und "Meine Stimme" zeigen, wie viel Wumms eigentlich noch in dieser Band steckte.

Rap mit Soulchören und Funk-Grooves von Deichkind-Gründer

Man muss sich Buddy Buxbaum als glücklichen Menschen vorstellen. Klar: Die Band, die er einst gegründet hat, Deichkind immerhin, ging ziemlich genau ab dann kommerziell durch die Decke, als er 2008 ausgestiegen war. Bartosch Jeznach, wie er bürgerlich heißt, zog sich ins Private zurück, die Kollegen wurden das größte, rumpeligste und grellbunteste Krawall-Projekt, das die deutschen Charts gerade noch so eben verkraften können. Aber welch einen Stress die haben müssen! Und Buxbaum? Macht lieber 'nen "Termin im Park", "Manjana" oder tanzt den "Hulahub".

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Was alles heißt: Er macht gar nichts. Oder im schönsten Sinne: hirnverbrannten Unfug. Ausklinken, einfach mal nicht mitmachen. Auch mal was vergessen. Läuft. Das ist so der Ton auf "Unkaputtbar" (Holo Rec.), seinem jüngst erschienenen Soloalbum. Kennt man natürlich, diese Themen. Hört man aber selten so souverän hingenuschelt. In Soulchören. In Raps. Über ganz wunderbar organische Soul-Playbacks. Und über Funk-Grooves, die herumtölpeln wie Götterspeise auf der Balz. Ein Leben muss der haben!

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(Foto: Napalm Records)
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