Netz-Debatte:Warum Internetzugang kein Menschenrecht ist

Seit den Aufständen in der arabischen Welt fordern immer mehr Experten, den Internetzugang zum Menschenrecht zu erklären. Selbst der UN-Menschenrechtsrat hat sich mit der Frage befasst. Netz-Pionier Vint Cerf widerspricht - und löst damit eine heftige Debatte aus.

Niklas Hofmann

Gibt es nicht nur ein Recht auf den Zugang zum Internet, sondern handelt es sich dabei sogar um ein Menschenrecht? Diese Frage wird nicht zuletzt seit den Aufständen in der arabischen Welt ernsthaft diskutiert. Tim Berners-Lee, der Begründer des World Wide Web hat davon gesprochen, dass der Zugang zum Netz "heute ein Menschenrecht" geworden sei. Selbst der UN-Menschenrechtsrat hat sich im vergangenen Jahr mit der Frage befasst.

Vernetzte Welt

Für Internet-Pionier Vint Cerf ist das Internet stets nur Mittel zum Zweck - der Zugang zum Internet könne daher kein Menschenrecht sein.

(Foto: iStockphoto)

Der Sonderberichterstatter für das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung, der Guatemalteke Frank La Rue, kam zu dem Schluss, das Internet nehme inzwischen eine Schlüsselstellung für die Wahrnehmung dieses Rechts nach Artikel 19 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung ein: "Universellen Zugang zum Internet sicherzustellen, sollte eine Priorität für alle Staaten sein." Von manchen Beobachtern wurde dies als erster Schritt angesehen, um den Internetzugang als eigenes Menschenrecht offiziell festzuschreiben.

Ausgerechnet Vint Cerf aber, Miterfinder des TCP/IP-Protokolls und einer der sogenannten Väter des Internets, der als Vize-Präsident für besondere Aufgaben bei Google heute den einzigartigen Titel eines "Chief Internet Evangelist" führt, hat jüngst in der New York Times argumentiert, der Zugang zum Internet sei eben kein Menschenrecht. Das Netz, so Cerf, sei stets nur Mittel zum Zweck, es könne in sich selbst keinen unveräußerlichen Anspruch darstellen.

Cerf verweist darauf, dass das hypothetische Menschenrecht, ein Pferd zu besitzen, zwar unseren Ahnen über Jahrhunderte ein menschenwürdiges Leben hätte sichern können. Könnten wir aber heute rechtlich einen solchen Vierbeiner beanspruchen, würde er uns nur wenig nutzen; das Mittel würde nicht mehr zum Ziel verhelfen. Aus den gleichen theoretischen Gründen sei der Netzzugang auch kein Bürgerrecht nach dem Vorbild der Bill of Rights, obgleich sich ein solcher Status zumindest besser begründen lasse.

Angst vor Marginalisierung

Seither wird die Debatte intensiv geführt. So wirft Scott Edwards von Amnesty International Cerf vor, seine Trennung von Mitteln und Zielen sei philosophisch nicht kohärent. Das Recht auf Internetzugang sei, gerade in Entwicklungsländern, untrennbar mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und dem Recht auf freien Informationszugang verbunden. Wie anderen von Cerfs Kritikern scheint ihm dabei die Differenzierung zwischen wichtigen politischen Zielen, vom Gesetzgeber garantierten Rechten und universellen Menschenrechten eher zweitrangig.

Mancher Einspruch scheint auch von der Besorgnis angetrieben zu sein, das Internet könne marginalisiert und als erfreulicher, aber keinesfalls notwendiger Luxus abgetan werden. Ohne das Gewicht eines Internet-Menschenrechts werde es Regierungen allzu leicht fallen, den Zugang zum Netz in Krisenzeiten zu beschränken oder ganz zu unterbinden. Wobei nicht ganz ersichtlich ist, warum diktatorische Regime ausgerechnet in dieser einen Frage die Menschenrechte auf die Goldwaage legen sollten.

"Technologie verhilft Rechten zur Durchsetzung, sie ist nicht selbst ein Recht"

Nathaniel Borenstein, als Mitentwickler des E-Mail-Formats MIME ebenfalls ein Gründervater des heutigen Netzes, hält in der Huffington Post - ähnlich wie Edwards - Cerf vor, dass Menschenrechte wie jene auf Kleidung und Wohnung bereits jetzt "grundlegendste Menschheitstechnologien" ausdrücklich schützten: "Es stimmt, dass andere Rechte abstrakter sind, aber viele sind es nicht."

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte oder die Europäische Menschenrechtskonvention nennen aber weder explizit die Zwei-Zimmer-Wohnung noch die Jurte, weder den Lehmziegelofen noch die Bauindustrie. Sie sichern uns das Recht auf Nahrung zu, garantieren aber weder bestimmte Mahlzeiten, noch Zubereitungsformen, sie schützen nicht einmal ausdrücklich etwas seit Anbeginn der Menschheit so Elementares wie das Herdfeuer. Auch die wahrscheinlich wichtigsten Grundlagen menschlicher Zivilisation wie Schrift und Rad werden nicht erwähnt. Das alles ist aber kein Versagen, sondern macht den Katalog den Zeitläuften gegenüber resistent und für die je gegenwärtigen Lebensverhältnisse adaptierbar.

Wenn Cerf also entgegengehalten wird, er bemühe sich um eine Unterscheidung zwischen Zielen und Mitteln, die gar keinen Unterschied mache, dann gibt ihm das im Umkehrschluss Recht: Jede verständige Auslegung der Menschen- und Bürgerrechte, der Informations-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit wird schon heute zu dem Schluss kommen müssen, dass das Internet ein unverzichtbares Mittel zu ihrer Ausübung geworden ist. "Technologie verhilft Rechten zur Durchsetzung, sie ist nicht selbst ein Recht", sagt Cerf.

Nichts anderes formuliert La Rue, wenn er sagt, das Internet sei ein "unverzichtbares Werkzeug geworden, um eine Vielzahl von Menschenrechten zu verwirklichen". Daraus folgt, dass nicht nur Diktatoren, sondern auch demokratische Politiker, die bei Anti-Terror- oder Raubkopierergesetzen allzu leichtfertig mit Internetsperren liebäugeln, Hand an Menschenrechte legen - ein eigenes Recht auf Internetzugang muss dafür gar nicht erst kodifiziert werden.

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