Schauspielerin und Regisseurin:Maria Schrader - Dame, die den Widerstand liebt

Lesezeit: 5 min

Das letzte Kapitel im Leben Stefan Zweigs spielt Anfang der Vierzigerjahre in Brasilien. Maria Schrader bei den Dreharbeiten ihres Films "Vor der Morgenröte". (Foto: X-Filme)

Die Schauspielerin hat einen Film über den weltberühmten österreichischen Autor Stefan Zweig gedreht - mit Josef Hader in der Hauptrolle. Treffen mit einer Frau, die sich auch mal unbeliebt macht.

Porträt von Claudia Tieschky

Die Abteilung für Stil des britischen Guardian war von diesem deutschen Look regelrecht verzückt. Der asymmetrische Haarschnitt! Die Lippen ganz und gar nicht in zartem Nude, sondern in dominantem Rot - auch noch kombiniert mit blauem Lidschatten! Und wenn der New Yorker die international verkaufte TV-Serie "Deutschland 83" als ästhetisch so richtungsweisend wie "Mad Men" beschrieb, dann hatte das viel mit genau jenen Szenen zu tun, in denen die Schauspielerin Maria Schrader als DDR-Agentin Lenora auftrat. Ein kettenrauchendes Luxuswesen, das am Niedergang des Kapitalismus arbeitet. Seit Erfindung des Film-Nazis war deutsche Geschichte nicht mehr so exportfähig.

Schon der Name Maria Schrader klingt, als hätte ihn sich ein Studioboss im Hollywood der Vierzigerjahre ausgedacht. Zu diesem Bild passt, wie sie die Lenora spielt. Berechnend, hochelegant, immer einen Tick nervös und unterschwellig lasziv. Was für eine Dame kommt da auf einen zu?

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Maria Schrader war einmal das ungestüme Mädchen mit den turbulenten Haaren. Sie ist sehr bekannt geworden mit "Rosenstraße" und "Aimée und Jaguar", wichtige Filme, deutsche Geschichte. Jetzt ist sie fünfzig Jahre alt, hat die sensationellste weibliche Serienrolle gespielt, die das deutsche Fernsehen in den letzten Jahren zu bieten hatte, und ihren Spielfilm "Vor der Morgenröte" vollendet, für den sie jahrelang in die Biografie des Schriftstellers Stefan Zweig eingetaucht ist - erst als Autorin, dann als Regisseurin.

Das Thema Flucht, das die letzten Jahre von Stefan Zweig bestimmt, ist hochaktuell

Der Film erzählt von den letzten Jahren des weltberühmten österreichischen Autors in New York und im brasilianischen Exil, wo er sich 1942 zusammen mit seiner jungen Frau Lotte das Leben nahm. Das Lebensgefühl eines Davongekommenen, der alles für Freunde und Kollegen tun würde, viel zu viele aber nicht mehr vor den Nazis retten kann - das ist hochpolitisch: "Ein halber Kontinent", heißt es einmal im Film, "möchte auf einen anderen flüchten, wenn er nur könnte."

Ein Satz aus der Welt von gestern. Wie aktuell er klingen würde, jetzt zum Start des Films - das konnte Maria Schrader beim Schreiben noch nicht ahnen. "Vor der Morgenröte" ist ihre zweite Filmregie, und sie ist damit in der ersten Reihe angekommen - beim Deutschen Filmpreis war sie als Regisseurin nominiert. Gewonnen hat sie am vergangenen Freitag zwar nicht, zu den Gewinnern der Saison gehört sie aber trotzdem.

Trifft man Maria Schrader zum Gespräch, fällt als Erstes auf, wie präzise sie ihre Wörter zu nachdenklichen Sätzen zusammenfügt. Doch es kann passieren, dass sie im nächsten Moment berlinert und eine Lache loslässt, die klingt wie die kleine Verwandte von großer Klappe. "In Wahrheit kann ich mit Biopics selten was anfangen", sagt sie. Ein goldener Ring mit grünem Stein kommt öfter in Bewegung und landet auf verschiedenen Fingern ihrer Hand, wenn sie versucht, etwas genauer auszudrücken. Wenn sie zum Beispiel berichtet, wieso für eine bestimmte Szene, die sie von Anfang an im Kopf hatte, ein Schrank mit Spiegeltür zum Drehort nach Afrika geschleppt werden musste, dazu die Betten, die Decken, die Schreibmaschine, das Schachspiel, die Hundeleine sowie ein Hund samt Halter.

Da sitzt sie an diesem Tag in Berlin, trägt eine hellrote Bluse und ist eben keine Schauspielerin, die Standardsätze über die wunderbaren Kollegen und die tolle Produktion spricht, sondern sie ist der alleinverantwortliche Zauberer, nein, so viel Unterscheidung muss sein: die allein verantwortliche Zauberin, die die Welt aus ihrem Kopf in einen Film gepackt hat, mit Hund und Schrank und allem.

Normalerweise operieren Schauspieler als Regisseure in der Kategorie Feuerball und Heiterkeit

Beim "Tatort" in der ARD wird gerade eine Frauenquote für Regie eingeführt; es gibt auch nicht wahnsinnig viele deutsche Schauspieler, die zugleich im Film Regie führen, und wenn, dann eher in der Kategorie Feuerball und Heiterkeit, wie Til Schweiger, Matthias Schweighöfer, Florian David Fitz.

Es gibt keinen Zweifel, dass Maria Schrader als eiskalte Serien-Spionin die Mechanismen des Fernsehens exzellent bedient - als Regisseurin riskiert sie es, ganz und gar abseits dessen zu arbeiten, was der Zuschauer kennt. "Vor der Morgenröte" besteht aus vier Szenen in Echtzeit, in denen die Zuschauer für zwanzig, fünfundzwanzig Minuten am Leben Zweigs teilnehmen, wie Maria Schrader es imaginiert. Paradoxerweise ergibt gerade diese Beschränkung ein ungewöhnlich intensives Bild. Prolog und Epilog kommen ganz ohne Schnitt aus, sie funktionieren fast wie Theater, und diese Welt ist Maria Schrader nicht fremd.

Sie wurde am Max-Reinhardt-Seminar ausgebildet und ist Ensemble-Mitglied am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Im Film hätte dieser Formalismus fürchterlich danebengehen können, aber mit Josef Hader als Zweig, Aenne Schwarz als Lotte, mit Matthias Brandt, Barbara Sukowa, Charly Hübner geht so etwas eben. "Vor der Morgenröte" ist ein Kunststück und wirkt doch ganz und gar leicht.

Man muss Filme wie "Aimée und Jaguar" nicht gering schätzen und kann trotzdem finden, dass Schraders frühe Sachen als Schauspielerin - "Stille Nacht", "Keiner liebt mich", "I was on Mars" - die interessanteren sind. Sie war damals verspielt und kapriziös, bis buchstäblich in die Haarspitzen ein einziges Sich-nicht-Fügen. Die Eigenwilligkeit muss echt gewesen sein, denn sie ist jetzt bei der Regie wieder da - inzwischen deutlich ausgeprägter als 2007 bei ihrem Debüt "Liebesleben", der Verfilmung des Romans von Zeruya Shalev.

Die späten Neunzigerjahre sind zwar lange her, aber sie erzählen vieles über Maria Schrader. Warum sie Regie führt - warum nicht schon früher? Zusammen mit dem Regisseur und Schauspieler Dani Levy ("Alles auf Zucker!"), mit dem sie zehn Jahre zusammen war und für den heute bei ihr die innige Bezeichnung "mein erster Freund" reserviert ist, hat sie bei Filmen "geschrieben, gespielt, geschnitten, ich bin von Mal zu Mal mehr in die Regie hineingewachsen". Als der gemeinsame Film "Meschugge" 1998 in die Kinos kommt, sind sie kein Paar mehr, Schrader bekommt eine Tochter von Regisseur Rainer Kaufmann ("Ein fliehendes Pferd") und dreht "Aimée und Jaguar". Im Jahr danach beginnt sie mit dem Drehbuch zu "Liebesleben".

Die Toten sieht man als Zuschauer nur kurz im Spiegel

Dann hat sie bei ihrer ersten Regie das Gefühl, dass Chefsein gegen Widerstände nicht gerade leicht ist, eher der "worst case". Sie lernt auch das. "Wenn man diejenige ist, die noch den fünfzehnten und sechzehnten Take haben möchte und in die Überstunden geht, obwohl die Fußballübertragung im Hotel längst begonnen hat, kann man nicht erwarten, dass einen immer alle mögen."

"Vor der Morgenröte" hat Szenen von besonderer Schönheit, die den Film erst recht radikal machen. In einer Einstellung sieht man bei einem Pferderennen nur die in irrem Tempo preschenden Beine der Tiere. Und am Ende wird die Tür des bereits erwähnten Schranks wie zufällig aufgehen. In einer allmählichen Drehbewegung sieht der Zuschauer im Spiegel nur kurz die Toten - Stefan und Lotte Zweig, wie schlafend auf dem Bett. Dann schwingt die Tür weiter auf, lässt den Anblick des Todes hinter sich und zeigt, was sehr diskret im Nebenzimmer geschieht: Polizisten arbeiten, Freunde flüstern, der exilierte Berliner Verleger Ernst Feder (Brandt) liest den deutschen Abschiedsbrief vor, jemand übersetzt leise. Auf der Veranda leuchtet sattes tropisches Dunkelgrün.

Josef Hader spielt Zweig als Mann mit einer hündischen Duldsamkeit

Der Österreicher Josef Hader spielt Zweig als Mann, der mit einer schon hündischen Duldsamkeit im Blick durch eine paradiesische Vegetation von Empfang zu Empfang hastet, man spricht Französisch, Portugiesisch, Deutsch und trägt wegen der Hitze helle Tschechow-Anzüge. Zweig quält sich damit, den Bekannten in Todesgefahr zu helfen, die Ausreise aus Nazi-Deutschland zu organisieren. Trotzdem will er öffentlich nicht gegen Deutschland sprechen. Es ist "eine Liebesgeschichte zwischen Stefan Zweig und Europa", sagt Maria Schrader.

Es ist eine Liebe zum Verzweifeln. Einmal steht Hader als Stefan Zweig bei einem feinen Empfang mitten im Urwald, und eine örtliche Kapelle wird herangefahren und spielt den Donauwalzer, extra für ihn. Ihm treten Tränen in die Augen: wie sie spielen, das reine Inferno.

© SZ vom 03.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Gerhard Polt und Josef Hader über Humor
:Treffen sich ein Bayer und ein Österreicher

Gerhard Polt und Josef Hader kennen sich seit vielen Jahren. Ein gemeinsames Interview haben sie noch nie gegeben - bis jetzt.

Von Gabriela Herpell und Thomas Bärnthaler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: