Kate Tempest:"Lob bremst mich aus"

June 19 2015 Barcelona Catalonia Spain KATE TEMPEST Britain s leading young poet playwright

"Angst ist ein schlechter Anlass, zu handeln", sagt Kate Tempest.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Die Rapperin Kate Tempest bekommt von allen Seiten Applaus und findet trotzdem, dass sie ständig scheitert. Nun veröffentlicht sie ein neues Album. Und verrät, warum sie gute Ideen auch mal vorbeiziehen lässt.

Interview von Juliane Liebert

Kate Tempest ist für den gegenwärtigen Pop eine Art Frankensteinsches Monster. Sie ist feministisch, politisch, ungeschminkt, vorzeigbar, Gedicht und Hip-Hop, Bansky und Wordsworth - und in allem auch noch gut.

Tempest ist, das liest man zumindest immer wieder, die "Stimme einer Generation". Gäbe es wirklich für jede Auszeichnung als "Stimme einer Generation" eine neue Generation - die Erde hätte ein ernsthaftes Problem. Sie würde, ermattet von der Pop-Menschenlast, aus ihrer Bahn hinaus ins Universum trudeln.

Genau da, im Weltall, beginnt das neue Album "Let Them Eat Chaos" der 30-Jährigen aus dem englischen Brockley: mit einem Zoom aus dem Kosmos ins nächtliche London. Wir haben die Rapperin und Autorin zum Interview in Berlin getroffen.

SZ.de: Fehlt es Ihnen eigentlich manchmal, kritisiert zu werden? Lesen Sie Ihre Kritiken überhaupt?

Kate Tempest: Nein, ich lese sie nicht. Denn wenn du die Art Person bist, die Lob annimmt, musst du auch in der Lage sein, mit Negativität umzugehen. Beides schadet deiner Geisteshaltung. Man darf sich nicht zu sehr darin verwickeln lassen, wie Dinge aufgenommen werden. Ich liebe es, aufzutreten, denn das ist ein sehr realer Weg, herauszufinden, wie deine Arbeit aufgenommen wird.

In gewissem Sinne ist Lob ja viel gefährlicher als Tadel, weil es abhängig macht. Viele Künstler werden süchtig nach Lob und kriegen Probleme, wenn es aufhört.

Das ist ein sehr interessanter Punkt, denn negatives Feedback kann antreiben - man will es ihnen beweisen. Lob dagegen bremst mich aus, ich fühle mich, als wäre mein Job erledigt.

Sie sehen sich also nicht als "Stimme Ihrer Generation"?

Nein. Auf der einen Seite ist es großartig, mit Menschen sprechen zu können. Ich meine, das ist ein Traum, den wir alle haben: dass unsere Arbeit jemanden erreicht. Aber andererseits würde ich lieber neue Sachen erschaffen, als über die Dinge zu reden, die ich schon getan habe.

Die Geschichte, dass Sie mit 16 von der Schule abgegangen sind, ist falsch, richtig?

Ich habe wahrscheinlich jemandem erzählt, dass ich nicht mehr zum Unterricht ging. Aber ich habe studiert, ich bin zur Musikschule gegangen, ich war in der Abendschule. Es ist so merkwürdig, wenn du begreifst, dass jemand eine Geschichte über dich erzählen muss. Denn die Realität ist immer viel interessanter. Und komplexer.

Warum gingen Sie denn nicht mehr hin?

Ich bin nicht gut zurechtgekommen. Ich wurde in einem Bereich betreut, der von den anderen Schülern abgetrennt war, für Kinder mit Verhaltensstörungen. Der Bereich, in den sie die Kinder sperrten, bei denen sie nicht wussten, was sie mit ihnen machen sollten. Ich war gelangweilt von allem. Ich war ein Albtraum.

Stimmt die Geschichte, dass Sie eine Operation hatten, die Ihre Stimme verändert hat, oder ist das auch nur ein Gerücht?

Ich rappe, seit ich 15 bin. Ich hatte eine Phase, in der ich immer und überall gerappt habe. Ohne Mikrofon, in einem Raum voller Menschen, schreiend. Auf Partys, politischen Demonstrationen, mitten in der Nacht auf der Straße. Ich war nie dafür trainiert worden, meine Stimme zu benutzen. Außerdem habe ich unfassbar viel getrunken, geraucht, bin ewig wachgeblieben. Es gab diesen Punkt, wo ich im Studio war, und mir plötzlich die Stimme wegblieb. Danach hatte ich eine Operation und musste drei Wochen schweigen. Ich durfte nicht niesen, nicht husten, nicht lachen.

"Viele Menschen, denen ich begegne, sind verängstigt und verloren"

Klingt schwierig.

Ich war stumm geschaltet. Ich hing in einer Bar in Paris rum. Wenn ich etwas trinken wollte, musste ich es auf einen Zettel schreiben, "une bière, s'il vous plaît". Darum dachte der Barkeeper, ich wäre eine taubstumme Französin. Ich hatte plötzlich eine neue Identität. Sonst wäre ich nur eine Engländerin gewesen, die schlecht Französisch spricht. Als meine Stimme zurückkam, hatte sie sich verändert - sie war wieder ganz da, ganz die alte.

Nur ohne Kratzen.

Genau. Manchmal habe ich Angst, dass es wieder passieren könnte. Die Kehle ist der Punkt, an dem die Emotion lebt, der Sitz der Gefühle. Ich bin eine Performerin, das ist mein Leben. Wenn ich müde bin oder entmutigt, manifestiert sich das als Angst, meine Stimme zu verlieren.

Auf Ihren Alben taucht oft der Begriff der radikalen Empathie auf.

Viele Menschen, denen ich begegne, sind verängstigt und verloren. Angst ist ein schlechter Anlass, zu handeln. Aber Liebe, Empathie, lässt die Menschen um dich heller, wirklicher, tiefer erscheinen.

An einem normalen Tag, was sind die drei Dinge, über die Sie am häufigsten nachdenken?

Ich denke meistens an meine Arbeit, und die drei Gedanken sind: das, woran ich gerade arbeite, das, woran ich gerade arbeiten sollte, und das, woran ich gerne arbeiten würde.

Und diese drei Dinge unterscheiden sich so sehr? Gehören Sie zu den Menschen, die immer am liebsten das tun würden, was sie gerade nicht tun?

Es ist doch so: Wenn du eine Idee hast - und sie ist neu, sie wurde noch nicht umgesetzt - das ist der beste aller Momente. Denn deine Idee könnte die perfekte Idee sein. Sobald du fertig bist, ist klar, dass du sie verschenkt hast. Ich musste Frieden damit schließen, das nichts, was ich tue, je so gut sein wird wie die Idee, die ich hatte.

Welches Ihrer Werke war am nächsten an der Idee, die Sie hatten?

Keins. Alles scheitert. Deswegen mache ich weiter.

Viele Menschen, die schreiben, beschreiben das Schreiben als Obsession, eine Handlung, die sie ausführen müssen, weil sie sonst verschwinden würden. Geht Ihnen das auch so?

Ich verstehe das Gefühl, aber ich denke, es ist wichtig, loszulassen. Wenn man immer das Gefühl hat, alles, was man nicht aufschreibt, verschwindet, dann bedeutet das, dass du dir selbst nicht vertraust. Manchmal zwinge ich mich, eine Idee vorbeiziehen zu lassen. Wir verkaufen diesen Mythos, dass Künstler ausbrennen würden. Das ist ungesund. Ich brauche das Schreiben, um mich zu erden. Wenn ich nicht schreibe, fühle ich mich ausgestöpselt, lustlos, unwohl. Jetzt, zum Beispiel, gebe ich viele Interview: Ich rede und rede - ich nutze mich ab. Und am Ende des Tages will ich nicht mehr schreiben, weil ich Interviews gegeben habe.

Sie haben lange in einem Plattenladen gearbeitet. Wenn Kunden hereinkamen, konnten Sie erraten, was sie kaufen würden?

Ja, meistens. Aber die besten Momente waren die, in denen ich mich irrte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: