"Interstellar" in der SZ-Cinemathek:Jemand müsste mal nachschauen

Interstellar Christopher Nolan

Natürlich ist es faszinierend, fremde Welten zu erkunden, so wie dieses Team - "Interstellar" aber fühlt auch mit jenen, die zurückbleiben müssen.

(Foto: Warner)

Mit "Interstellar" wagt Christopher Nolan einen Trip an die Grenzen von Raum und Zeit. In der Nähe des Saturn soll in einem Wurmloch ein Ausweichquartier für die Menschheit aufgebaut werden. Am Ende geht es aber um die Physik der Gefühle.

Von Tobias Kniebe

Ein Blizzard kommt. Schwer türmen sich die Wolken am Horizont, bald werden sie den Himmel verdunkeln. Sie bringen Staub, Mehltau, Unfruchtbarkeit, sie bringen Tod über die endlosen Maisfelder und das Ende der Hoffnung für die leidgeprüften Farmer.

Noch wilder wirbeln hier allerdings die Assoziationen - im Drehbuch der Brüder Jonathan und Christopher Nolan, schon gleich am Anfang von "Interstellar". John Steinbeck zum Beispiel ist da sofort präsent - als Schutzpatron dieser Felder, wo nichts mehr wächst außer den Früchten des Zorns. Das Herz Amerikas ist wieder versteppt und verödet, ein "Dust Bowl" ganz wie zu Zeiten der Großen Depression. Denn Staub sind wir, und zum Staub werden wir zurückkehren, amen.

Wäre da nicht dieser Rest von Widerstand. Dieser alte amerikanische Pioniergeist, diese Unfähigkeit, sich geschlagen zu geben. Haben wir nicht immer einen Weg gefunden? Auch der Dichter Dylan Thomas wird rezitiert. Er blickt voraus in die Dunkelheit, und rät uns, nicht leise zu gehen. Toben und rasen sollen wir, gegen das Sterben des Lichts.

"Interstellar" will ein echtes, hochpersönliches Autorenstück sein, über fast drei Stunden

Aber Moment, ist das nicht alles ein bisschen hochgegriffen? Für Hollywood, für ein Popcorn-Event, für einen Weltraum-Familienfilm, an dem auch Steven Spielberg über die Jahre mal dran war? Sicher. Aber genauso ist es gemeint. Dieser Rückgriff auf die Geschichte, diese übergroßen Gewährsmänner, zu denen sich auch noch Stanley Kubrick gesellt, als eine Art kosmischer Reiseleiter - kleiner geht es hier bitte schön nicht.

Denn "Interstellar" will ein echtes, hochpersönliches Autorenstück sein. Eine Fast-Drei-Stunden-Meditation unter Führung von Christopher Nolan, der Warner Brothers als "Batman"-Verdüsterer Milliarden in die Kassen brachte und sich nun, auf dem Höhepunkt seiner Hollywood-Macht, wirklich die ganz große Frage stellt: Steckt etwas in mir, das sich am Ende mit Kubricks "2001 - Odyssee im Weltraum" messen kann? Dieser unvollendeten Reise nicht nur an die Grenzen unseres Sonnensystems, sondern des Menschseins überhaupt . . .

Zeiten und Epochen faltend

Inmitten des Staubs ist da also Cooper (Matthew McConaughey), ein Witwer mit zwei Kindern und ein Maisfarmer wider Willen, denn als Ingenieur und Testpilot wird er auf der sterbenden Erde nicht mehr gebraucht. Er lebt weit in der Zukunft, einerseits. Das alte Space Shuttle der Nasa ist nur noch Erinnerung, ein vergilbtes Plastikmodell auf dem Bücherbord. Andererseits war er nie im All, zuletzt flog er Überschallmissionen auf dem Stand der Fünfzigerjahre, hungrig wie einst die Helden von Tom Wolfes "Right Stuff".

So funktioniert dieser Film: faltet die Zeiten und Epochen ineinander, wie er später auch den Raum zwischen den Galaxien falten wird, um neue Expeditionen zu ermöglichen - immer im Bund mit Einstein und der allgemeinen Relativitätstheorie. Ganz offen sehnt sich Nolan nach dem Geist der frühen Nasa, als alles noch machbar und möglich zu sein schien, als Kubricks "2001" entstand. Dieser Geist aber ist heute verloren, das weiß er und beklagt es auch. Die Schulbücher in der "Interstellar"-Welt erklären sogar, dass die Mondlandung der Amerikaner ein Fake war, eine Inszenierung im Studio.

Wer in dieser Welt also aufbricht, um noch weiter zu gehen, dorthin, wo noch nie ein Mensch gewesen ist, der kann das nicht mehr freudig und unschuldig tun. Der braucht schon die Drohung des nahen Endes im Nacken . Und da wir keine zweite Erde im Keller haben, geht es jetzt darum, ein Ausweichquartier im All zu finden. Und zwar schnell.

Dankenswerterweise hat sich in der Nähe des Saturn ein Wurmloch aufgetan - als Eingangstor zu neuen, für Menschen bewohnbaren Welten, die sonst vollständig unerreichbar wären. Unerschrockene Pioniere sind auch schon hindurchgeflogen, vor vielen Jahren, um Forschungsstationen auf fernem Geröll zu errichten - aber wie geht es ihnen jetzt? Jemand müsste mal nachschauen.

Hinter Christopher Nolans Überwältigungsbildern lauern auch Zweifel, Trauer und Verlust

Und wenn dann erst einmal ein Brückenkopf etabliert ist: Wer überwindet die Schwerkraft, wer löst die Gleichung, die Milliarden Erdbewohner ins All bringen wird? Dies verspricht Professor Brand, der Mastermind einer möglichen Rettung - wieder einmal gespielt von Michael Caine, Nolans ewiger Vaterfigur.

Als der Maisfarmer Cooper dann ausgewählt ist, Pilot dieser neuen Mission zu werden, wechselt Nolan noch einmal das Register seines Films. Jetzt geht es ganz tief ins Zwischenmenschliche - um, Träne für Träne, die Kosten des großen Plans zu bemessen. Cooper kann seiner Tochter Murph, dreizehn Jahre alt, nichts vormachen. Sie ahnt, was es bedeutet, zurückzubleiben, während gleichzeitig eine Kühlbox mit 5000 befruchteten Menscheneiern in das Raumschiff verladen wird - als Grundstock einer neuen Zivilisation. Viele Jahrzehnte wird sie ihren Vater dafür hassen.

Nur für Momente kann diese Düsternis verdrängt werden - zugunsten des gewaltigen Abenteuers, das jetzt beginnt. Neben Cooper schickt Professor Brand auch seine eigene Tochter Amelia (Anne Hathaway) mit auf die Reise, sprechende Computer-Klötze mit kalibrierbaren Humor- und Ironie-Einstellungen sind auch mit an Bord. Als der Saturn schließlich erreicht ist, sieht das Wurmloch aber gar nicht mehr wie ein Loch aus, sondern eher wie eine schillernde Kugel. Kip Thorne, ein Star der theoretischen Physik, hat bei der Berechnung dieser kosmischen Lichtspiele geholfen. Doch strenge Wissenschaft hin- oder her - Ziel ist hier, ganz wie seinerzeit bei Kubrick, das große Staunen, der quasi-psychedelische Trip.

Der einen dann auch wirklich packt und einsaugt mit der Kraft eines gewaltigen schwarzen Lochs. Viel mehr darf man gar nicht verraten, denn entscheidend ist hier das Gefühl, eine Reise ins Unbekannte zu wagen. Nur eines vielleicht: Hinter all den interstellaren Überwältigungsbildern, die man bei Bedarf sogar im gewaltigen Imax-Format sehen kann, lauern immer auch Zweifel, Trauer und Verlust.

Anders als alles andere im Weltraumgenre

Ein Ausflug auf einen Planeten mit extremer Gravitation dauert für die Teilnehmer selbst zum Beispiel nur wenige Stunden - für den Mann aus der Crew, der auf dem Mutterschiff zurückbleiben muss, vergehen aber nicht weniger als 23 Jahre. Was eben so passiert, wenn man die Streckung und Kontraktion der Zeit, wie sie Einstein theoretisch beschrieben hat, einmal in der Praxis durchspielt.

Das Gesicht, das der Zurückgelassene macht, als die anderen von ihrem Kurztrip wiederkommen, ist ziemlich unbeschreiblich - und kann doch nicht annähernd die Hölle jener Einsamkeit skizzieren, die er in der Zwischenzeit durchlitten haben muss. Aber Nolan versucht es wenigstens - und darin unterscheidet sich sein Film von fast allem, was das Weltraumgenre bisher hervorgebracht hat.

Je länger die Reise dauert, desto klarer wird, dass es eigentlich um diese Momente der Emotion geht - dafür opfert Nolan am Ende sogar die wissenschaftlichen Fakten. Einmal hält die Astronautin Amelia zum Beispiel ein leidenschaftliches Plädoyer für Liebe und Intuition, während Cooper kühl auf mathematischen Wahrscheinlichkeiten beharrt. Bei der schicksalhaften Entscheidung, wie die Reise weitergehen soll, setzt sich seine männliche Perspektive durch - aber leider völlig zu Unrecht, wie sich zeigen wird.

Auch das letzte Rätsel lösen

Auch für Coopers Tochter, die auf der Erde zurückgeblieben ist, läuft die Zeit weit schneller ab als für ihren Vater - in ihren Videobotschaften tritt sie ihm schließlich als erwachsene Frau (gespielt von Jessica Chastain) gegenüber. Die Kommunikation in die Gegenrichtung aber funktioniert erst, als im Chaos der Raumzeitverwicklungen eine quasi-spirituelle Verbindung geknüpft ist, die alle Welten und Galaxien durchschneidet. Genau darin könnte die letzte Hoffnung der Menschheit liegen . . .

Die logischen Wurmlöcher, die zum Ende hin auch den Plot von "Interstellar" durchziehen, verzeiht man einem Film von dieser Entschlossenheit gern. Störend ist allerdings ein anderer Impuls aus unserer zaghaften Gegenwart - der finale Drang, kein Ende der Geschichte lose zu lassen, auch das letzte Rätsel in einer Weise aufzulösen, dass sich kein Kinozuschauer verwirrt am Kopf kratzen muss.

Früher erkannte man große Filmemacher daran, dass ihnen solch erzählerische Bürokratie egal war, oder dass sie die Macht hatten, sie einfach zu ignorieren. Stanley Kubrick zum Beispiel: Der setzte mit dem Rätselende von "2001" ein Ding in die Welt, das zu einem zentralen Kopfkratzproblem der Filmgeschichte avancierte. Die Freiheit und Größe, die dafür seinerzeit nötig waren, erscheinen im Rückblick immer gewaltiger.

Wenn nämlich Christopher Nolan, einer der klügsten und mächtigsten Filmemacher des Augenblicks, solche Freiheit und Größe nicht mehr hat - dann ist auch die Frage beantwortet, ob es in der Gegenwart noch ein Wurmloch gibt, das Anschluss an jene ferne Galaxie erlaubt, wo die Götter der Filmgeschichte inzwischen wohnen.

Interstellar, USA 2014 - Regie: Christopher Nolan. Buch: Jonathan & Christopher Nolan. Kamera: Hoyte van Hoytema. Musik: Hans Zimmer. Mit Matthew McConaughey, Anne Hathaway, Jessica Chastain, Sir Michael Caine, Wes Bentley, John Lithgow, Casey Affleck. Verleih: Warner, 169 Minuten.

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