Im Kino: Wall Street:Das faszinierende Ekel

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Wer ewig herrschen will, frisst seine Kinder: Oliver Stones sehnsüchtig erwartete Fortsetzung des "Wall Street"-Films mit Michael Douglas räumt nicht mit dem Kapitalismus auf.

Susan Vahabzadeh

Oliver Stone hat einen ziemlich untrüglichen Instinkt. Seinem sehnsüchtig erwarteten Film Wall Street: Geld schläft nicht schlägt seit seiner Premiere in Cannes lauwarme Enttäuschung entgegen, und das liegt daran, dass er alles richtig gemacht hat. Er hat den Film zur Finanzkrise gedreht, den jeder sehen wollte, weil uns die Finanzkrise das Fürchten gelehrt hat - und seit der nun fertig ist, wird gemäkelt, er sei zu milde umgegangen mit den Investmentbankern, die sie ausgelöst haben, habe ihre Gier und ihre Verantwortungslosigkeit nicht genug gegeißelt.

Gordon Gekko (Michael Douglas) hat im Gefängnis nichts dazugelernt - aber er hat auch nichts verlernt. Davon ist sein zukünftiger Schwiegersohn (Shia LaBoeuf) schwer begeistert. (Foto: Twentieth Century Fox)

Manhattan ist schöner denn je

Aber hat er da nicht eigentlich recht? Es geißelt sie ja sonst auch keiner - wenn Oliver Stones Publikum tatsächlich die Schnauze voll hätte von der Gier, dann hätte sich vielleicht, in den zwei Jahren seit dem Crash von Lehman Brothers, irgendwas verändert. Aber Manhattan ist bei Stone schöner, glitzernder, glamouröser denn je.

Sein Film, verteidigt sich Oliver Stone, hätte einen anderen Tonfall, wäre er ein Dokumentarfilm - er ist aber eine Fiktion, die sich lose an ein paar realen Vorbildern entlanghangelt, dem Ende von Lehman Brothers, diejenigen, die dieses Ende verursachten und davon profitierten - letztlich ein Mechanismus, der zu weiterer Machtkonzentration führt.

Der von Michael Douglas verkörperte Supermakler Gordon Gekko ist für die Missetaten, die er im ersten Wall Street-Film 1987 begangen hat, in den Knast gewandert, nun wird er entlassen, älter, vielleicht etwas weiser, aber definitiv kein neuer Mensch. Flugs wird er Bestseller-Autor, denn Gier ist ein noch viel größeres Thema als vor 23 Jahren, und mit Gier kennt er sich aus.

Eine neue Generation ist inzwischen an der Wall Street nachgewachsen, dazu gehört Jake Moore (Shia LaBeouf). Der kontaktiert Gekko nur, weil er mit dessen Tochter Winnie (Carey Mulligan) mehr oder weniger verlobt ist - er will, von edlerem Gemüt als sein Schwiegervater in spe, dass Winnie wieder mit Gekko spricht.

Jake ist bald ein wohlhabender Arbeitsloser - die Investmentbank, für die er arbeitet, geht pleite und Jake lässt sich, zunächst auf Rache aus, von dem Mann anheuern, der diese Pleite betrieben hat: Bretton James (Josh Brolin). Gemessen an dem ist Gordon Gekko ein Teufel niederen Ranges. Jake tappt beiden in die Falle - sein neuer Boss fasziniert ihn, und Gordon Gekko geht er so gründlich auf den Leim, dass er sich auf dessen Spielchen einlässt, was der familiären Wiedervereinigung erst einmal den Garaus macht - Gekkos Gier macht auch vor der eigenen Sippe nicht Halt. Solchen Leuten ist, sagt Stone, Familie viel weniger wichtig als Geld und Macht, nicht mal, wenn sie das behaupten; sie würden ihr Leben kaum verkraften, wenn es anders wäre.

Dass die Angst regiert und Angst einen neuen Familiensinn erzeugt, hat Stone sehr schön in die Fortsetzung hineingearbeitet, und er hat seine Figuren gut entwickelt - aber Geld schläft nicht ist Kino, und das liebt man dafür, dass es spielerisch mit seinen märchenhaften Zügen umgeht.

Ob es einen wie Jakes ersten Chef, den ehrwürdigen alten Louis Zabel (Frank Langella), wohl noch geben könnte - ein Großkapitalist, der an seiner Verantwortung zugrunde geht wie ein gestürzter Magnat am Schwarzen Freitag? Schon die acht Jahre Knast, die Gordon Gekko abgesessen haben soll, sind eigentlich reine Fantasy, da könnte er auch gleich auf dem Einhorn aus dem Gefängnistor reiten.

Man betrachtet den neuen Wall-Street-Film zwangsläufig mit anderen Maßstäben als den ersten. Damals konnte man die Wall Street vielleicht noch unterhaltsam erforschen, heute ist das, was Stone damals zu sagen hatte, banal: und was man heute drüber sagen könnte, gehört nicht ins Kino. Niemand möchte sich da von einem Schauspieler erklären lassen, was ein Derivat ist. Und überhaupt: 1987 war der kalte Geist der Achtziger lange noch nicht fertig analysiert, und auf jeden Fall traf Gordon Gekko damals auf ein Publikum, für das er ein Exot war. Inzwischen hat jeder mittlere Angestellte mit seinen Ersparnissen spekuliert - das ist das Paradoxon unserer Zeit, dass wir hin- und hergerissen sind zwischen der Ahnung, dass unser System nicht mehr ewig funktionieren wird, und der Angst vor Veränderung.

Unmoralisch aber cool

Die Erwartung, der notorische Querkopf Oliver Stone müsse mit dem Kapitalismus aufräumen, basiert von vorneherein auf einem Missverständnis. Gordon Gekko war schon im ersten Film kein richtiger Bösewicht. Jeder, der den Film damals - oder später - gesehen hat, hat den Kerl in liebevoller Erinnerung. Er war ein bezauberndes, gut inszeniertes Ekel, unmoralisch aber cool, und für viele seiner fasziniert angewiderten Zuschauer fast ein Vorbild.

Das war eine Besonderheit des Kinos der Achtziger, dass es das Böse sozusagen aus dem Gefängnis der Finsternis befreit hat, das Noir ins postmoderne Sonnenlicht rückte. Wall Street '87 war gar kein so bitterböser Film, wie ihn viele in Erinnerung haben, es ist die Welt, die sich seither verändert hat und nach viel schärferen Antworten verlangt - und sie gar nicht hören will, wenn einer sie gibt.

Wall Street: Geld schläft nicht bleibt innerhalb einer von Wachstum bestimmten Welt, in der sich Gut und Böse daran unterscheiden, ob das Wachstum sozial und ökologisch verträglich ist oder nicht. Der Film stellt den Kapitalismus nicht in Frage. (Oliver Stone tut das an anderer Stelle, in seiner Dokumentation über Hugo Chavez, durchaus.)

Was man "Geld schläft nicht" zugutehalten muss, das ist vor allem, wie man an Gekko und an Bretton James erkennen kann, dass es gar nicht mehr um Geld geht. James hat längst mehr, als er ausgeben kann, es ist der Machterhalt, der ihn treibt. Er will an der Wall Street nicht reich werden, er will sie regieren - Macht als Selbstzweck.

In James' Büro hängt ein Gemälde, Saturn, der seinen Sohn verschlingt, von Goya. Das hat Stone gut gewählt (oder wählen lassen) - Saturn, den die Römer aus dem griechischen Titanen Kronos entstehen ließen, ist der Gott der Ernte und der unbesiegbaren Kraft der Natur. In der griechischen Mythologie frisst er seine Kinder auf - aus Angst, sie könnten ihn entmachten, so wie er einst seinen Vater entmachtet hat. Da geht es gar nicht um Besitz, nicht mal darum, der Welt irgendwas zu hinterlassen - sondern ausschließlich um Macht. Und genau so sind auch Stones Börsianer, Gekko und Bretton James.

Stone ist, zumindest was die Wall Street betrifft, eher ein Chronist als der Revoluzzer, als der er oft fälschlich gesehen wird - nur weil es ihm nicht viel auszumachen scheint, wenn er mal aneckt wie zuletzt mit seinen Dokumentarfilmen über Fidel Castro, Arafat und Hugo Chavez. Die Welt hat sich eben nicht großartig geändert nach 2008. Wenn es tatsächlich mal eine neue Ordnung gibt, ist Oliver Stone bestimmt der Erste, der sie verfilmt.

WALL STREET - MONEY NEVER SLEEPS, USA 2010 - Regie: Oliver Stone. Buch: Allan Loeb und Stephen Schiff. Kamera: Rodrigo Prieto. Mit: Michael Douglas, Shia LaBeouf, Josh Brolin, Carey Mulligan, Frank Langella, Eli Wallach. Fox, 133 Minuten.

© SZ vom 20.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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