Im Kino: Der ganz große Traum:Der Club der lebenden Kicker

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Kriegsbegeisterung, preußische Sekundärtugenden, Prügelstrafe - so finster war Deutschland, bevor es den Fußball entdeckte: Sebastian Groblers "Der ganz große Traum" mit Daniel Brühl als Lichtgestalt.

Tobias Kniebe

Jeder Film, der vom Fußball erzählen will, hat ein fast unüberwindliches Grundproblem: Er droht im Konsens zu ersticken. Als Schule fürs Leben und fürs Gewinnen, als Metapher für Teamgeist und Fair Play, als völkerverbindendes friedliches Kräftemessen und als Aufstiegstraum aus prekären Verhältnissen hat sich der Fußball längst so fundamental ins kollektive Bewusstsein gebolzt, dass es immer ein wenig albern wirkt, diese Ideen erzählerisch noch einmal zu illustrieren. Die oft recht nützliche Strategie, einfach mal taktisch das Gegenteil zu behaupten, funktioniert in diesem Fall aber natürlich auch nicht.

Er träumt vom Wahren, Guten und Schönen: Daniel Brühl als Englischlehrer Konrad Koch in dem Drama "Der ganz grosse Traum" von Sebastian Grobler. (Foto: dapd)

Mit seinem Kinodebüt "Der ganz große Traum" hat Sebastian Grobler einen interessanten Ausweg aus diesem Dilemma gefunden. Er dreht einfach die Zeit zurück - so weit, bis der große Konsens sich im Nichts aufgelöst hat, bis der Fußball und sein welterschütterndes Potential ein Ding für nur wenige Eingeweihte ist, bis da ein neues, aus England importiertes Ballspiel erst einmal angestrengt um Mitspieler, um Legitimität und gesellschaftliche Anerkennung kämpfen muss. Er landet dabei im Deutschen Kaiserreich des Jahres 1874.

Zeit und Ort - ein humanistisches Knaben-Gymnasium im Herzogtum Braunschweig - entsprechen in etwa den historischen Gegebenheiten, die tatsächlich zur Einführung des Fußballspiels in Deutschland führten. Allzu wörtlich darf man diesen Geschichtsbezug allerdings nicht nehmen, denn vor allem geht es darum, klare Gegensätze aufzubauen - damit das Spiel am Ende seinen Triumphzug antreten kann, muss erst einmal ein mächtiger Gegner her.

Dafür entwirft Grobler ein Bild des neugegründeten Deutschen Reichs, das in etwa so prall ist wie der Bierbauch des Turnlehrers, der die Untertertia mit seiner Trillerpfeife drangsaliert: nationaler Chauvinismus, Kriegsbegeisterung, Standesdünkel, preußische Sekundärtugenden, Prügelstrafe, Exerzieren mit Medizinbällen und wehrsportartige Leibesertüchtigung verdichten sich da zu einem wahrhaft furchterregenden Gesamtbild.

Selbstverständlich soll im Unterricht episch rekapituliert werden, wie der Franzose bei Sedan vernichtend geschlagen wurde - ein Ballspiel, bei dem es ums Gewinnen geht, droht aber die Moral der Jugend zu untergraben und die Sitten zu verrohen. So komisch-krass Grobler diese deutsche Ignoranz inszeniert, so wenig muss sie weiter begründet werden - all das hat es ja nun wirklich gegeben.

Umso strahlender erscheint dann die, nun ja, Lichtgestalt, die eines Tages mit einem alten Lederball aus der verstaubten Pferdekutsche steigt: Der Braunschweiger Konrad Koch (Daniel Brühl), der in Oxford studiert hat, dabei leidenschaftlicher Fußballfan geworden ist und nun - ein Experiment im Dienst von Fortschritt und Aufklärung - als erster Englischlehrer überhaupt an einem deutschen Gymnasium unterrichten soll.

Ins Tor gedonnert

Auch diese Figur verdankt sich einem historischen Vorbild gleichen Namens, die Biografie ist allerdings stark zurechtgebogen: Von England lernen heißt hier nicht nur Siegen lernen, sondern überhaupt erst einmal Mensch werden - die schwer gebeutelte Three-Lions-Nation, die seit Jahren so neidvoll auf Fußballdeutschland blickt, muss diese Umkehrung der Perspektive geradezu als Seelenbalsam empfinden.

Der neue Lehrer wird, nach dem klaren und unerreichten Vorbild von Robin Williams im "Club der toten Dichter", nun dem Wahren, Guten und Schönen zum Durchbruch verhelfen - und dabei die härtesten Widerstände überwinden.

Eine Vorlage, die nur noch ins Tor gedonnert werden muss, denkt man sich da - und das macht der Film dann auch, ohne die üblichen Verdruckstheiten, die immer dann entstehen, wenn ein junger Filmemacher in Deutschland gern Erfolg haben und trotzdem von Kritikern und Kollegen für seine Subtilität gelobt werden will.

Grobler ist letzteres erkennbar egal: Da darf der schmächtige Halbwaise aus der pittoresken Armutsgasse sein Balltalent entdecken, da muss der arrogante und intrigante Klassenschnösel erst einmal moralisch reformiert werden - am Ende aber schießen sie gemeinsam ein Tor, das sogar die kaiserliche Evaluierungskommission, die zur Begutachtung des "undeutschen" Sports angereist ist, von den Sitzen reißt.

Wie ein billiger Abstauber, der nur im Strafraum des Kinos auf Lücken lauert, wirkt Sebastian Grobler dabei trotzdem nicht: Denn Chancen, die man auf anständige Weise herausgespielt hat, wird man am Ende ja wohl verwandeln dürfen.

© SZ vom 24.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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