Im Gespräch: Stephen Frears:"Meist kam nur Mist raus"

Lesezeit: 4 min

Film-Regisseur Stephen Frears kam aus dem "Wunderbaren Waschsalon" ins staubige Annodunnemals. Da ist er jetzt mit "Chéri" wieder.

T. Kniebe

Er ist einer der wenigen Regisseure, die das Gefühl erzeugen können, in vollkommen unterschiedlichen Welten zu Hause zu sein. Er wechselte vom multikulturellen Punk-London ("Mein wunderbarer Waschsalon") über amerikanische Genretraditionen ("Grifters", "The High-Lo Country") zur irischen Working Class ("Fish & Chips") und dann in die britische Politik ("The Queen"). Aktuell schließt Stephen Frears mit "Chéri" (Start am Donnerstag) da wieder an, wo er Ende der Achtziger mit "Gefährliche Liebschaften" einen großen Erfolg feierte, beim frivolen Historienstück mit überraschend aktuellen Bezügen. Im Gespräch scheint der 68-jährige Stephen Frears einem eigenen Codex zu folgen: Man darf so zerknittert und augenringig aussehen, wie man will - wenn man das eigene Tun nicht zu ernst nimmt.

Regisseur Stephen Frears folgt einem eigenen Codex: "Ich habe keinen Plan." (Foto: Foto: dpa)

SZ: Mr. Frears, im weiten Spektrum Ihrer Themen stellt sich natürlich die Frage: Wie wählen Sie einen Stoff eigentlich aus?

Stephen Frears: Wenn ich das wüsste! Ich habe keinen Plan. Immer dann, wenn ich einen Plan hatte und selbst einen Stoff entwickeln wollte, kam nur Mist dabei raus. Also suche ich jetzt einfach Drehbücher, aus denen ich etwas Neues erfahre. Dann folge ich meiner Nase - und entdecke Dinge, die ich nie erwartet hätte. Aber es hilft, wenn man sich dabei an große Autoren hält - wie Christopher Hampton oder Peter Morgan zum Beispiel.

SZ: Hampton hatte die "Gefährlichen Liebschaften" adaptiert, Intrige und Verführung im Frankreich des Rokoko. Nun hat er "Chéri" geschrieben, nach dem Roman von Colette . . .

Frears: Intrige und Verführung im Frankreich der Belle Époque. Gibt es vielleicht doch ein System in der Auswahl meiner Stoffe? Jedenfalls glaube ich, dass Liebe und Eifersucht, überhaupt alle menschlichen Dramen, zu allen Zeiten ungefähr gleich funktioniert haben. Es geht um sehr verschiedene Lebensgefühle - aber am Ende doch immer um dieselben, universalen Wahrheiten.

SZ: Mit Peter Morgan haben Sie nun schon zweimal die britische Realpolitik erkundet: "The Deal" handelte von Tony Blair und Gordon Brown . . .

Frears: Das war damals das Interessanteste, was ich seit Jahren über Politik gelesen hatte. Das musste ich machen. Mir gefiel auch das Freche an der Idee, den amtierenden Premierminister einfach mal in eine Filmfigur zu verwandeln.

SZ: "The Queen" wiederum handelte von Tony Blair und dem Königshaus. Jetzt hat Peter Morgan ein neues, heißes Skript geschrieben . . .

Frears: "The Special Relationship", es geht um Tony Blair und George W. Bush auf dem Weg zum Irak-Krieg. Aber diesmal werde ich nicht Regie führen.

SZ: Aber diesen Film möchte man doch sofort von Ihnen sehen!

Frears: Die Wahrheit ist - ich kann Tony Blair nicht mehr ertragen. Zwei Filme über ihn, das sollte reichen. Der Mann löst inzwischen Brechreiz bei mir aus. Was Sie auf dem Festland vielleicht nicht ganz verstehen: Alles, was die Menschen in England momentan wollen, ist Blairs Kopf. Der Rest ist egal. Wenn Gordon Brown ihnen Blairs Kopf geben würde, könnte er Premierminister bleiben.

SZ: Wie meinen Sie das - den Kopf geben?

Frears: Na, abschlagen und auf eine Lanze stecken. Wie in alten Zeiten. Die Leute hassen Blair. Sie verachten ihn! Er war so unfassbar doppelzüngig und unehrlich. Der Irak, all unsere Finanzschwierigkeiten, die ganze Misere, in der wir stecken - all das hat mit Blair zu tun. Die Stimmung ist lynchmobartig, wie kurz vor der Französischen Revolution.

SZ: Ihr eigener Tony Blair, in "The Queen", kommt allerdings gar nicht so unsympathisch rüber.

Frears: Das ist es ja, was mich verrückt macht. Drei Monate, bevor wir "The Queen" gedreht haben, hat Blair noch einmal eine Wahl gewonnen - mit enormer Mehrheit. Er hat alle getäuscht. Er war ein Trickbetrüger, wie der Rattenfänger von Hameln.

SZ: Man ahnt das in Ihrem Film. Aber es kommt nie ganz an die Oberfläche. Müssten Sie dieses Bild jetzt nicht selbst korrigieren?

Frears: Vielleicht müsste ich das. Aber ich kann nicht mehr. Es ist zu deprimierend.

SZ: Haben die Briten denn ein besonderes Talent, ihre Politik zu dramatisieren?

Frears: Nun ja, dazu kann ich nur sagen: Shakespeare. Nicht dass ich meine Arbeit auch nur in die Nähe Shakespeares rücken wollte, aber Politik zu dramatisieren - das war es nun mal, was er gemacht hat. Wobei es eigentlich keine Rolle spielt, ob es die britische Politik ist oder die dänische oder die Lage im Verona in der Renaissance.

SZ: Eine Szene in "The Queen" hat wirklich Shakespearesches Flair: Die angeschlagene Monarchin weilt auf Gut Balmoral und findet sich auf einmal allein im schottischen Hochland wieder. Dort hat sie eine Begegnung mit einem majestätischen Hirschen.

Frears: Was soll ich sagen? Das ist auch wieder Peter Morgan. Sehr stark geschrieben, diese Szene. Ich habe nur das gefilmt, was im Drehbuch stand. Der Witz ist allerdings, dass das Ganze eigentlich überhaupt nicht sehr englisch ist.

SZ: Englischer geht's doch gar nicht.

Frears: Eben nicht. Peter Morgan hat in eine alte, österreichisch-ungarische Familie eingeheiratet. Die haben eine Burg oder ein Schloss, irgendwo zwischen Wien und Budapest. Dort jagen sie Hirsche. Oben in Schottland, auf den Jagdgütern in der Gegend von Balmoral, schießt niemand Hirsche. Dort jagen sie Fasane oder Rebhühner. Glücklicherweise hat nie jemand die Glaubwürdigkeit dieser Szene in Frage gestellt.

SZ: Das Tolle ist ja, dass sie stark an die Hubertuslegende erinnert: Ein mittelalterlicher Jäger, Auge in Auge mit einem prächtigen Hirschen, dann erscheint ein christliches Kreuz über dem Geweih des Tieres, und er beschließt, sein Leben zu ändern, es Gott zu widmen.

Frears: Das ist interessant! Das höre ich gerade zum ersten Mal. Ich wette, Peter kennt diese Hubertuslegende. Aber er hat nie mit mir darüber gesprochen. Unser Hirsch ist ein Vierzehnender - will sagen, er ist ziemlich alt. Für mich war es also immer eine Begegnung von zwei stolzen, alten, noblen Kreaturen. Sie werden von der Meute gejagt, und ihre Zeit geht zu Ende. Das verbindet sie.

SZ: Und dann handelt der Film, zu allem Überfluss, auch noch vom Tod der Lady Di. Diana, Göttin der Jagd . . .

Frears: Das ist der Grund, warum man obskure Metaphern im Film einfach lieben muss. Jeder sieht etwas anderes darin. Aber egal, was die Leute am Ende hineininterpretieren - als Regisseur steht man immer als kluger Bursche da.

© SZ vom 25.8.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: