Filmfest in Prizren:"Würden die mich denn annehmen?"

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Elf Jahre nach dem Krieg gibt es im Kosovo viele junge Menschen, die noch nie im Kino waren. Ein Besuch in Prizren, wo eine 15-Jährige über das Filmfest staunt.

Petra Sorge

Von den Besuchern des Dokumentarfilmfests in Prizren bleibt die St. Georgskirche unberührt. Ein dicker Stacheldrahtzaun umgibt das serbisch-orthodoxe Gotteshaus. Zwei Polizisten kontrollieren jeden Besucher, selbst diejenigen, die nur den Mülleimer am Eingang benutzen wollen. Vor sechs Jahren brannte ein Mob aus wütenden Albanern serbische Kulturgüter und Wohnhäuser nieder, auch St. Georg. Seitdem ruht die größte Kirche Prizrens in einem erzwungenen Märchenschlaf.

Sie war noch nie im Kino: Elisabeth Krasniqi, 15 (rechts), sitzt mit ihrem Bruder (links) und Verwandten aus Deutschland auf einer Parkbank in Prizren. Dort findet zurzeit das Dokumentarfilmfestival statt. (Foto: Petra Sorge)

Wenige Schritte entfernt läuft das Filmgeschäft auf Hochtouren: In einem Zelt verkaufen junge Leute bunte Stadtpläne und Tickets für das neunte Dokumentar- und Kurzfilmfestival, bereits in den ersten Tagen mehr als 3000.

Eine Stadt sucht nach Normalität

Leinwände stehen am Fluss, auf der Burg und in kunstvollen Hinterhöfen. Straßenverkäufer drehen Maiskolben auf dem Grill, in den Gassen riecht es nach Dönerfleisch. Elf Jahre nach dem Krieg sucht eine Stadt nach Normalität.

"Prizren ist wie Kreuzberg", sagt der serbische Filmemacher Želimir Žilnik, der mehrmals Deutschland besucht hat, "die gleichen Leute, die gleichen Orte, die gleiche Stimmung."

Elisabeth Krasniqi nippt an einer Coladose, sie sitzt am Rande des Festivals auf einer Parkbank. Die 15-Jährige ist eingeschüchtert von den Menschenmassen des Dokufestes. Sie war noch nie in ihrem Leben im Kino; in ihrer Heimatstadt mit 170.000 Einwohnern gibt es so etwas nicht. Das einzige Kino des Kosovo steht in der Hauptstadt Pristina: ein Saal, zwei Filme am Tag.

"Kino, das stelle ich mir schön vor, viele Leute, eine große Leinwand", sagt Krasniqi. Würde sie sich beim Dokufest auch erstmals einen Film ansehen? Das Mädchen nickt. "Wie geht das denn, würden die mich denn annehmen bei den Kinos?"

Die Suche nach Normalität in Prizren ist auch eine Suche nach der Filmkultur. "Die Generation nach 1989, eine Generation von Repression und Krieg, hat niemals Kultur und Attraktionen erleben dürfen", sagt der Geschäftsführer des Dokufests, Aliriza Arënliu. Dabei blühte die Filmkultur in Prizren einst: Zu jugoslawischen Zeiten gab es zwei Lichtspieltheater, Filmfestivals fanden bis in die achtziger Jahre statt. Spätestens als der Vielvölkerstaat zerbrach, war damit Schluss. "Wir müssen der Jugend das Kino zurückgeben", sagt Arënliu.

Das einwöchige Dokufest, das am heutigen Samstag endet, soll mit mehr als 150 Filmen dazu beitragen. Auch während des restlichen Jahres wollen die Dokufest-Veranstalter Filmkultur leben: mit kleinen Vorführungen für Schulklassen. Sie hoffen, dass bald Fördergelder für ein eigenes Kino in Prizren fließen.

Internationale Wertschätzung

Mit dem Filmfest kommen Gäste aus 34 Ländern in die Stadt. "Sie sehen nicht nur die Filme, sondern auch das Land - und wie wir leben", sagt Urtan Mustafa. Der 18-jährige Schüler unterstützt das Festival als Freiwilliger. "Ich mache das, weil ich etwas Gutes für mein Land tun will."

Er sagt nicht: weil er Geld verdienen oder kostenlos Filme sehen möchte. Mustafa ist zwar in keiner Partei, aber er denkt politisch, kosovo-albanisch. Das jüngste Volk Europas sehnt sich nach internationaler Anerkennung, nach Wertschätzung. Erst kürzlich hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag festgestellt, dass die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo nicht gegen das Völkerrecht verstieß. Die Kosovo-Albaner feierten in den Straßen, wie zur WM in Deutschland.

Das Dokufest könnte ein kulturelles Symbol des neuen Selbstbewusstseins sein. "Es spiegelt unsere Identität wider - Jugend, Freiheit, Energie", sagt Geschäftsführer Arënliu. Er sieht sich unpolitisch.

In den ersten Jahren gab es nie Geld von der Kommune oder der Regierung. Arënliu und seine Mitstreiter haben mit einem provisorischen Kultursaal und einem Videorekorder begonnen, damals noch mit einem Budget von 2500 D-Mark und 20 Filmen. Jetzt ließ die Regierung einen teuren Werbefilm übers Kosovo drehen, Prizrens Bürgermeister hat zu einem großen Galadinner geladen. Die Politiker haben das wirtschaftliche Potential des Filmfests entdeckt, wollen sich als Kulturmäzene feiern. "Wir sind mit niemandem, aber jeder will mit uns sein", sagt Arënliu dazu.

Die Veranstalter haben auch mehrere serbische Filmemacher eingeladen, obwohl Serbien den Kosovo nicht anerkennt. Arënliu sagt, die ethnische Dimension spielt auf dem Festival keine Rolle.

Etwa 20 junge Serben sind mit dem Bus aus Belgrad gekommen. Sie werden auch die verbarrikadierten orthodoxen Kirchen sehen. Doch sie sind weder zum Beten noch zum Sightseeing in die schönste Stadt des Kosovo gekommen. Sie wollen nur feiern.

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