Im Gespräch: Ai Weiwei:"Wir leben im Zeitalter der Verrücktheit"

"Sie sperren die Menschen für viele Jahre ins Gefängnis. Sie verschwinden einfach": Kurz vor seiner Festnahme gab der regimekritische chinesische Künstler Ai Weiwei dieses letzte Interview.

Henrik Bork

Ai Weiwei arbeitete am Dienstag vergangener Woche in seinem Pekinger Atelier im Stadtteil Caochangdi an einem Pappmodell einer geplanten Kunstausstellung, als die SZ ihn besuchte. Das Interview fand anlässlich der deutschen Ausstellung "Kunst der Aufklärung" statt, die in der vergangenen Woche im Beisein von Außenminister Guido Westerwelle in Peking eröffnet wurde. Es wurde zu einem Gespräch über den Zustand der Repression, den Ai Weiwei und andere Künstler und Regimekritiker in China derzeit ertragen müssen.

Fünf Tage nach diesem Interview, am Sonntag, ist der Künstler auf dem Pekinger Flughafen von der Polizei festgenommen worden. Er wollte zur Vorbereitung der Ausstellung nach Taiwan reisen, von der er in diesem Interview zum ersten Mal redet. Seither ist er spurlos verschwunden. Seine Familie hofft auf seine Freilassung, fürchtet jedoch, dass ihm eine langjährige Haftstrafe drohen könnte.

SZ: Was steht da für ein Modell auf Ihrem Tisch?

Ai Weiwei: Ich bereite gerade eine Ausstellung in Taiwan vor, im "Taipeh Fine Arts Museum". Sie soll am 29. Oktober eröffnet werden.

SZ: Interessant. Das ist sicherlich das erste Mal, dass Sie in Taiwan ausstellen, nicht wahr?

Ai: Nicht nur das. Falls Taiwan wirklich ein Teil Chinas ist, wie die chinesische Führung behauptet, dann wird das meine erste Ausstellung in China überhaupt. (Lacht). Bislang durfte ich ja hier nicht ausstellen.

SZ: Sie hatten es ja kürzlich versucht. Im März sollte Ihre erste Ausstellung im Ullens-Zentrum für Gegenwartskunst in Peking stattfinden.

Ai: Ja, aber sie haben sie verhindert. Ich hatte anderthalb Jahre daran gearbeitet, aber dann wurde die Ausstellung einfach verboten. Und sie haben mir auch mein neues Atelier in Shanghai komplett zerstört.

SZ: Die Lage für kritisch denkende und handelnde Künstler wird in China immer schwerer, oder?

Ai: In letzter Zeit stecken sie immer mehr Leute ins Gefängnis, nur weil sie etwas auf Twitter oder einem Blog im Internet schreiben. Ihr Telefon wird stillgelegt, sie werden beschattet, ihre Wohnungen werden durchsucht. Die Polizei bricht mitten in der Nacht bei dir ein, durchwühlt dein Haus - und dann fabrizieren sie Beweise gegen dich für ihre Gerichte. Sie verurteilen unschuldige Leute zu zehn Jahren Haft. Der letzte war Liu Xianbin.

SZ: Sie hatten wiederholt offen Ihre Stimme für chinesische Bürgerrechtler erhoben, die etwa den Zusammenbruch der vielen Schulgebäude beim Erdbeben in Sichuan untersuchen wollten.

Ai: Für Tan Zuoren zum Beispiel. Ja, von solchen Leuten rede ich. Sie sperren solche Menschen einfach für viele Jahre ins Gefängnis. Sie verschwinden einfach. Ihre Verwandten hören nichts mehr von ihnen. Niemand kann Kontakt zu ihnen aufnehmen. Ihre Anwälte dürfen sie nicht besuchen. Was ist das hier bloß für eine Gesellschaft geworden?

SZ: Gleichzeitig findet eine große deutsche Ausstellung im größten Museum der Welt am Platz des Himmlischen Friedens statt. Sie trägt den Namen "Kunst der Aufklärung". Wie denken Sie darüber?

Ai: Der Platz des Himmlischen Friedens ist der ironischste Ort der Welt für eine Ausstellung über die Aufklärung, denn wir Chinesen erleben gerade ein Zeitalter der Dunkelheit. Es gibt einen wirtschaftlichen Boom, und die Lebensverhältnisse der Menschen verbessern sich allmählich. Gleichzeitig aber ist China an einem neuen Tiefpunkt angelangt, was die Redefreiheit betrifft, die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks oder die Freiheit der Erziehung. Es ist ein neuer Tiefpunkt für unsere Zivilgesellschaft.

SZ: Sie sind von der Polizei schon einmal so schwer geschlagen worden, dass Sie sich im September 2009 in München wegen einer Gehirnblutung operieren lassen mussten. Haben Sie angesichts all der Repressalien in China schon einmal ans Auswandern gedacht?

Ai: Nein, nie. Aber ich habe oft diese Träume. Erst vor zwei Tagen wieder. Es war ein Albtraum. Ich war in einer Art Geheimgesellschaft, und ich sah fürchterliche Dinge. Menschen weinten. Ich schrieb alles auf. Aber dann durfte ich nichts davon mit hinausnehmen. Ich wurde beschattet. Der Traum schien die ganze Nacht zu dauern. Und das Schockierendste war, dass auch noch so viele Touristen darin herumliefen. Die sahen alles, aber es kümmerte sie nicht. Sie taten einfach so, als sei das alles ganz normal.

Ich bin "wegharmonisiert" worden

SZ: Da muss doch der Gedanke ans Exil naheliegen.

Ai: Nein, das ist das Letzte, was ich will. Allerdings haben mir Beamte von der Staatssicherheit, während sie mich verhört haben, schon dazu geraten. Ich solle vielleicht besser ins Ausland gehen, sagten sie. Ich sei ein einflussreicher Künstler, aber es werde hier allmählich gefährlich für mich. Doch das wäre meine allerletzte Wahl.

SZ: Obwohl Sie direkt bedroht werden?

Ai: Ich sehe das Risiko, hier zu bleiben. Wenn ich mir die Geschichte meines Landes anschaue, dann hat es mit Menschen, die hier die Autoritäten in Frage stellen, noch nie ein gutes Ende genommen.

SZ: Sehen Sie in China derzeit noch Möglichkeiten für Künstler, eine öffentliche Rolle zur Veränderung der Gesellschaft zu spielen, wie es ja die Aufklärung in Europa gefordert hatte?

Ai: Kaum. Für das öffentliche China existiere ich ja gar nicht mehr. Wenn Sie meinen Namen in eine Suchmaschine im Internet tippen, dann erscheint eine Fehlermeldung. Ich bin "wegharmonisiert" worden. Aber wenigstens auf Twitter, das innerhalb Chinas noch mit technischen Tricks erreichbar ist, habe ich noch 70.000 Follower. Ich kommentiere da gesellschaftliche Probleme, damit die Leute sehen, dass das Feuer nicht komplett erloschen ist. Dass wenigstens noch ein Funke lebt. Wenn auch der noch erlöschen sollte, das wäre einfach zu traurig.

SZ: Sie sind einer der wenigen Chinesen, die sich noch trauen, offen mit ausländischen Journalisten zu reden. Wird nicht auch das langsam zu gefährlich?

Ai: Ja, ich frage die Journalisten oft, warum sie nicht einmal einen anderen befragen. Das wäre wohl besser für mich. Gäbe es wenigstens Leute wie mich, dann wäre meine Last nur noch halb so groß. Gäbe es zehn, dann wäre meine Last nur noch ein Zehntel. Aber es ist immer noch mein Job, ganz allein meiner. Es ist lustig. Und gleichzeitig habe ich große Angst.

SZ: Ihr Vater, der berühmte Dichter Ai Qing, war einst von den chinesischen Nationalisten eingesperrt und gefoltert worden, dann unter Mao Zedong erneut von den Kommunisten zwei Jahrzehnte lang aufs Land verbannt worden. Wenn man sich das heutige geistige Klima in China anschaut, ist dann der Schluss erlaubt, dass man in Sachen intellektueller Freiheit nicht viel weitergekommen ist?

Ai: So ist es. Sind wir nicht. Definitiv nicht. Und das zugrunde liegende Prinzip ist immer noch dasselbe. Die Mächtigen wollen verhindern, dass kritische Stimmen gehört werden. Sie wollen sie vernichten. Nie wollen sie sich auf eine offene Diskussion einlassen. Warum ist es so schwer, Ideen auszutauschen, sich hinzusetzen und miteinander zu reden?

SZ: Die Ausstellung "Kunst der Freiheit" wäre doch vielleicht solch eine Gelegenheit gewesen. Es soll da doch begleitende Dialogforen mit Künstlern geben. Sind Sie dazu eingeladen worden?

Ai: Nein, ich bin nicht offiziell eingeladen worden. Ich nehme an, dass die an der Organisation der Ausstellung beteiligten Chinesen mich da nicht sehen wollen. Es wäre wohl peinlich für unser Kulturministerium. Aber eine gute Sache wäre das schon. Sie sollten mich einladen.

SZ: Wenn kein wirklich kritischer Begleitdialog mit dieser deutschen Ausstellung einhergeht, welche Relevanz hat sie dann überhaupt?

Ai: Es ist wohl besser als gar nichts. Deutschland hat wenigstens immer schöne Dinge anzubieten, die es zeigen kann. Aber die Frage ist doch, wie wir das mit der heutigen Realität verknüpfen können. Sonst ist es nur eine Geste zwischen Regierungen. Sind wir Chinesen bereit, die Werte der Aufklärung zu akzeptieren? Nein, auch Hunderte Jahre nach dem Zeitalter der Aufklärung sind wir in China dazu noch nicht bereit. In diesem Sinn ist es sehr interessant, dass diese Ausstellung über Aufklärung hier gerade stattfindet. Denn die gegenwärtige Situation in China ist absolut verrückt. Wenn ich diesem Zeitalter einen Namen geben müsste, dann würde ich sagen, wir leben im Zeitalter der Verrücktheit.

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