"The Master" im Kino:Wüste im Kopf

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Die Erfolgsgeschichte von Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman, rechts) ist nur seine eigene; Freddy (Joaquin Phoenix) hat keinen Platz darin gefunden. (Foto: Senator Filmverleih)

Heiler, Entertainer, Scharlatan: Paul Thomas Anderson erzählt in seinem Film "The Master" von einem Sektenchef und seiner Gefolgschaft. Die Parallelen zu Scientology sind allerdings eher störend als nützlich. Tatsächlich handelt "The Master" vom unerfüllten amerikanischen Traum.

Von Susan Vahabzadeh

Sind Erinnerung und Phantasie im Kino nicht irgendwie dasselbe, pflanzt uns das Kino nicht Bilder ein, die wir speichern, als hätten wir das Gesehene selbst erlebt? Wahrscheinlich steckt gerade darin, dass uns das Kino Glauben und Wissen unzertrennlich macht, eine eigene Geschichte. Es geht ums Nichtvergessenkönnen in Paul Thomas Andersons "The Master", einen Bewusstseinsstrom der Bilder, und um eine seltsame Kur, die Heilung durch Erinnern verspricht.

Wir sind, von der ersten Szene an, mittendrin im Leben von Freddy Quell (Joaquin Phoenix). Es ist Kriegsende, Freddy ist bei der Marine, irgendwo im Fernen Osten gehen die Männer von Bord, hängen ausgelassen an einem Strand herum.

Freddy ist ein Sonderling, ziemlich vulgär und ein Säufer, die anderen finden das amüsant. Die Ärzte, die ihn später im Lazarett untersuchen, finden seine Zustände weniger vergnüglich - es hat Heulkrämpfe gegeben, Freddy hat ins Bett gemacht, aber er will sich nicht helfen lassen.

Erst als er auf der Flucht - er hat einem Landarbeiter von seinem teuflischen Gebräu aus Alkohol und zum Verzehr nicht geeigneten Substanzen abgegeben und ihn so ins Jenseits befördert - betrunken auf ein Schiff torkelt, trifft der den Mann, den er an sich heranlässt: Den Meister, einen Fünfzigerjahre-Guru namens Lancaster Dodd, der eine Bewegung gegründet hat namens "The Cause", was sowohl Ursache als auch Beweggrund heißt. Sehr doppeldeutig.

Paul Thomas Andersons "The Master" ist ein verteufelt guter Film. Hätte sein Schöpfer auf ein paar enigmatische Spielereien verzichtet, hätte er vielleicht ein Meisterwerk werden können. "The Master" hat jedenfalls eine ganze Reihe von Zutaten, die ganz große Filme ausmachen können: Philip Seymour Hoffman beispielsweise, der Lancaster Dodd spielt und allein Grund genug ist, zuzuschauen - seltsam faszinierend in jeder Szene, auf eigentümliche Weise abstoßend und doch reizvoll.

Meiser und Diener

Und "The Master" leistet einiges, die Zeit, in der er spielt, perfekt abzubilden - so perfekt, dass es einen ins Grübeln stürzt, wie es sein kann, dass jede Ära ihre eigene Ästhetik entwickelt: Dass Kleider und Möbel Moden unterworfen sind, ist ja klar; wie aber kann es sein, dass ganze Menschen in eine bestimmte Zeit zu gehören scheinen?

Einmal, direkt nach Kriegsende, arbeitet Freddy als Fotograf in einem Kaufhaus, und die Gesichter der Kinder und der jungen Paare, die an ihm vorüberziehen, sind fast ein bisschen fremd - vielleicht graben sich ja Erinnerungen ein in unsere Gesichter. Freddys Wiedereingliederung in die Gesellschaft scheitert jedenfalls komplett, die Kunden machen ihn aggressiv, eines Tages dreht er durch.

So landet er auf den Feldern und dann auf dem Schiff. Dodd, der Bonvivant mit seiner Lust am schönen Leben auf See, lädt ihn ein, auf dem Schiff zu bleiben, er findet sofort Gefallen an Quell. All das, was Quell die Kommunikation mit anderen Menschen schwer gemacht hat, ist hier von Vorteil: der Jähzorn, das Trinken, die Unsicherheit faszinieren Dodd. Und so entspinnt sich nun eine Beziehung zwischen dem Meister und seinem Diener Quell: Er folgt ihm auf seinen Reisen und zu den Sitzungen in Villen reicher Leute und verteidigt ihn gegen jeden Angriff. Im Gegenzug lässt Dodd ihn teilhaben an seiner Heilslehre, macht Sitzungen mit ihm, die anmuten wie eine Art Brutalo-Psychoanalyse.

Zielstrebiger Opportunismus

Aber nie, keine Sekunde lang, hat man den Eindruck, dass es Freddy besser geht. Oder dass ihn irgendetwas tauglicher gemacht hat für das Leben jenseits der eingeschworenen Gruppe um Lancaster Dodd, in der dessen neueste Frau Peggy (Amy Adams), etwa so alt wie Dodds ältere Kinder, mit zielstrebigem Opportunismus regiert: Quell bedeutet ihr nichts.

Dieser Dodd ist ein Charismatiker, er kann den Entertainer und den Intellektuellen geben, je nachdem, was sein Publikum verlangt, oder den Heiler. Dodd hat - ein Glaubens-Coup - über Nacht beschlossen, an die früheren Leben könnten sich die gepeinigten Seelen seiner Jünger nun doch nicht "erinnern", sie "imaginierten" sie bloß. Man wird nicht schlau aus ihm: Ist er ein Scharlatan, glaubt er selbst, was er erzählt? Liegt ihm etwas am Wohl seiner Jünger, oder nutzt er andere Menschen bloß aus? Der Meister bleibt ein Rätsel.

Es ist Andersons zweite Geschichte vom Aufstieg aus den Nichts nach der vom Ölbaron Daniel Plainview in "There Will Be Blood", einem Mann auf dem Weg nach ganz oben, skrupellos, am realen Vorbild Edward Doheny lose angeknüpft.

Lancaster Dodd, der Nachkriegs-Aufsteiger in "The Master" hat nun also einiges mit dem Scientology-Gründer Ron Hubbard gemein: Unter anderem die Liebe zur See, die hirnwäschegleichen Befragungen der Gefolgschaft und die kruden Theorien. Die Dodd'sche Lehre, Seele und Körper eines Probanden zu heilen, in dem man ihn seine schlechten Erfahrungen im Geiste wiederholen lässt, ist tatsächlich ein Prinzip der Dianetik bei Hubbard, so wie er sie, quasi als Alternativ-Psychologie, praktizierte noch bevor er Scientology gründete.

Diese Parallelen sind in Paul Thomas Andersons Geschichte eine Bürde. Sie legen die ganze Zeit nahe, "The Master" müsste ein Film über Scientology sein - und das ist er nicht. Der Mechanismus, der einen verwirrten, desorientierten Menschen einem charismatischen Führer folgen lässt, ist ja nun wirklich kein spezifisches Merkmal von Scientology - und mit der Lehre hinter "The Cause" fängt Anderson nicht viel an: Nie geht es tatsächlich darum, was die Mitglieder der Sekte tatsächlich glauben sollen, nie erfährt man, wie sie dort gelandet sind oder was sie dazu bewegt, zwar manchmal die Logik in Frage zu stellen, dann aber doch nachzugeben.

Die Anlehnung an Scientology wirft Fragen auf, mit denen sich der Film gar nicht beschäftigt. Vor allem die, wozu eine recht oberflächliche Parallele gut sein soll, die nur vom eigentlichen Thema ablenkt.

Irgendwo da draußen muss es Glück für alle geben

Denn eigentlich arbeitet Anderson, so scheint es, an einer Chronologie des amerikanischen Traums durchs 20. Jahrhundert hindurch. Einmal gehen Freddy und Dodd zum Motorradfahren in die Wüste, und die unendliche Weite, in der sie dort herumbrettern, birgt dasselbe Versprechen wie die Ölfelder für Daniel Plainview - es muss irgendwo da draußen genug Glück geben für alle.

All das steckt in diesem Film, aber Paul Thomas Andersons Geschichten sind nicht einfach und nicht auserzählt - und wenn man sich auf sie einlässt, sie wirken lässt und weiterspinnt, dann ist das ein Vorteil. Was dann am Ende auf jeden Fall ganz leicht zu fassen ist, das sind all die gebrochenen Versprechen: Nichts hat sich für Freddy Quell erfüllt. Es gibt sie nicht, die Art von Seelenheil, für die Dodd das Rezept zu haben behauptet, ganz bestimmt nicht für Freddy. Die Erfolgsgeschichte von Lancaster Dodd ist nur seine eigene; Freddy hat keinen Platz darin gefunden.

The Master, USA 2012 - Regie und Drehbuch: Paul Thomas Anderson. Kamera: Mihai Malaimare Jr.. Schnitt: Leslie Jones, Peter McNulty. Mit: Joaquin Phoenix, Philip Seymour Hoffman, Amy Adams, Laura Dern, Ambyr Childers, Jesse Plemons, Madisen Beaty. Senator/Central, 137 Minuten

© SZ vom 20.02.2013/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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