Sonderrechte kirchlicher Einrichtungen:Die Debatte geht über Kopftücher hinaus

Bundesarbeitsgericht verhandelt Kopftuchstreit

Ein Urteil, das für die Klägern (im Bild) keines ist: Das Bundesarbeitsgericht Erfurt hat ihren Fall an das Landesarbeitsgericht Hamm zurückverwiesen.

(Foto: dpa)

Die Kirchen mögen sich freuen: Das Bundesarbeitsgericht gesteht ihnen zu, muslimischen Mitarbeiterinnen das Tragen eines Kopftuches zu verbieten. Doch sie sollten sich wappnen.

Kommentar von Detlef Esslinger

In manchen Gerichtsprozessen geht es in Wahrheit gar nicht so sehr um das, was in der Klageschrift steht. Vielmehr gehört das Verfahren zur Kategorie "Angewandte Gesellschaftsdebatte": Im Gerichtssaal wird anhand eines konkreten Einzelfalls die Frage erörtert, wie eine Gesellschaft verfasst sein sollte; was man einander zumuten darf und muss. Jedes Verfahren über Kruzifixe und Kopftücher gehört in diese Kategorie.

Es geht nie bloß darum, ob die muslimische Krankenschwester in einem evangelischen Krankenhaus in Bochum bei der Arbeit ein Kopftuch tragen darf. Das wurde am Mittwoch wieder deutlich, kaum dass in diesem Fall das Bundesarbeitsgericht der Krankenschwester unrecht gegeben hatte. Sofort nahm, beispielsweise, die Bundestagsfraktion der Linken Bezug aufs Große und Ganze: Die Entscheidung füge sich ein "in die gesellschaftliche Stigmatisierung von Musliminnen", erklärte sie.

Diese Bewertung ist ebenso bezeichnend wie daneben. Sicherlich war dies ein Urteil buchstäblich im Namen des Volkes. Die meisten Deutschen finden eher nicht, dass es mehr Kopftücher braucht im Land; so diffus ihre Gründe für diese Einstellung auch sein mögen. Solange sich eine Stigmatisierung von Musliminnen "nur" darin zeigt, dass diese kein Kopftuch tragen dürfen, ist es eine Stigmatisierung, die die meisten Nicht-Muslime vermutlich für unerheblich oder gar zumutbar halten.

So lange nicht die Betten Richtung Mekka stehen

Nur: Nichts liegt den Richtern des Bundesarbeitsgerichts ferner, als solche Ignoranz zu bedienen. Es ist ja nicht das erste Mal, dass sie sich mit einer Arbeitnehmerin zu befassen haben, die im Dienst Kopftuch tragen will. Einer Verkäuferin in einem Kaufhaus billigten sie vor Jahren die Bedeckung zu - mit der Begründung, damit störe die Frau in keiner Weise den Betrieb. Wer nun annimmt, dasselbe gelte ja wohl auch für eine Krankenschwester, hat recht und irrt doch.

Einerseits mag es ein bisschen engherzig sein, dass ein evangelisches Krankenhaus ein Kopftuch verbietet - wo ist das Problem, solange der muslimische Glaube nicht dazu führt, dass die Krankenschwester sämtliche Betten Richtung Mekka dreht?

Andererseits war absehbar, dass die Bundesrichter sich im Fall dieses Arbeitgebers zurückhalten würden. Sie orientieren sich traditionell an der Bestimmung des Grundgesetzes, dass "jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig ordnet und verwaltet". Im Fall der Kirchen wollen die Erfurter Richter so gut wie nie bewerten, wie sie dieses oder jenes finden. Weil eben dieser Satz in der Verfassung steht und weil die Kirchen karitativ und nicht kommerziell arbeiten, billigen sie ihnen Freiheiten zu, die sie kommerziellen Arbeitgebern nicht zubilligen.

Die Debatte hat erst begonnen

Eine ganz andere Frage ist, wie viel Rückhalt dieser Grundgesetzartikel in einer Gesellschaft aus immer weniger Kirchenmitgliedern noch hat. Die Kirchen mögen sich freuen über das Urteil vom Mittwoch. Aber sie werden ahnen, dass ihnen langfristig wohl eine Debatte bevorsteht, die weit über Kopftücher hinausgeht.

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