Schifffahrt:"Frauen werden nur akzeptiert, wenn sie doppelt so gut wie Männer sind"

Schifffahrt: Inger Klein Thorhauge, 49, ist seit 2014 Kapitänin auf der Queen Elizabeth. "Bis sich Passagiere darüber wundern, habe ich bereits unfallfrei abgelegt."

Inger Klein Thorhauge, 49, ist seit 2014 Kapitänin auf der Queen Elizabeth. "Bis sich Passagiere darüber wundern, habe ich bereits unfallfrei abgelegt."

(Foto: Cunard)

Nur jedes hundertste Schiff weltweit wird von einer Frau gesteuert. Vier Kapitäninnen erzählen, was sie an ihrem Beruf begeistert.

Von Ingrid Brunner

Vielleicht ist man in Sachen Emanzipation in Skandinavien ja wirklich ein paar Schritte weiter als im Rest der Welt. Denn Inger Klein Thorhauge, 49, findet nichts Besonderes daran, dass sie das Kommando auf der Brücke der Queen Elizabeth hat. Nichts Besonderes? Dass die traditionsreiche britische Kreuzfahrtgesellschaft Cunard 2014 erstmals eine Kapitänin ernannt hat, kommt einer Zeitenwende gleich. Doch die Dänin von den Färöer-Inseln findet, wenn man nur wolle, dann könne jeder Mann und jede Frau alles erreichen, was er respektive sie will.

Ein Blick auf die Zahlen ergibt ein anderes Bild. Der Verband Deutscher Reeder (VDR) teilt mit, dass im Jahr 2015 laut Knappschaft-Bahn-See 1029 Kapitäne versichert waren, davon neun Frauen. Das sind gerade einmal 0,9 Prozent. Die gute Nachricht: Im Vorjahr waren es nur acht Kapitäninnen. Ein deutsches Phänomen? Keineswegs, wie Ralf Nagel, Geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des VDR, erklärt: "Eine aktuelle Studie des Weltreederverbandes zeigt, dass der Anteil weiblicher Seeleute bei etwa einem Prozent liegt."

Die Kommandobrücke ist eine der letzten Männerbastionen. Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen man glaubte, eine Frau an Bord bringe Unglück. Leicht ist es trotzdem nicht, es als Frau bis auf die Brücke zu schaffen. Hinzu kommt: Die Arbeit ist getaktet von Bereitschafts-, Wach- und Schichtdiensten und monatelanger Abwesenheit von zu Hause. Kombiniert mit der langen Ausbildung, bedeutet dies: Der Wunsch, endlich Kapitänin zu werden, konkurriert irgendwann mit dem Kinderwunsch.

Frauen streben eher nautische Karrieren an Land an

Auch VDR-Sprecher Christof Schwaner sieht darin einen Grund, warum Frauen unterrepräsentiert sind: "Man braucht eine Reihe von Jahren, bis man beruflich so weit ist. Man kann es in acht Jahren schaffen, aber man muss ernannt werden." Das kann Jahre dauern und passt schlecht zusammen mit einer langfristigen Familienplanung. Das finden übrigens auch immer mehr Männer: "Drei Monate zur See und drei Monate zu Hause - das ist mittlerweile auch bei Männern als Thema angekommen", sagt Schwaner.

Und was sagen die Frauen selbst? Für Dagmar Klenk, Erste Vorsitzende der maritimen Frauenorganisation Women's International Shipping & Trading Association Germany (Wista), ist die schlechte Vereinbarkeit von Kapitäninnen-Job und Familienleben ein wichtiger Grund, warum Frauen eher nautische Karrieren an Land anstreben: Bei Wista sind unter anderem Juristinnen, Beraterinnen, Disponentinnen, Schiffsmanagerinnen oder Sicherheitsexpertinnen organisiert. Sie arbeiten bei Reedereien, Werften, Ship-Brokern oder in der Hafenverwaltung.

"Lange gab es in der Branche Vorbehalte - etwa, dass Frauen für den schweren Job zu zart besaitet seien", sagt Klenk. Angesichts der zunehmenden Automatisierung an Bord spiele es aber keine Rolle mehr, wie viele Kilo man schleppen könne. "Wichtig ist, dass sich in den Köpfen durchsetzt, dass Frauen hervorragende Arbeit leisten können."

Mit Romantik hat der Alltag an Bord nichts zu tun

Mal abgesehen von der Biologie: Gibt es eine gläserne Wand, die Frauen einfach nicht durchdringen? "Auf jeden Fall", meint Beate Stelzer. Sie ist seit 2009 Erste Offizierin, derzeit fährt sie auf dem Frachtschiff Cap San Vincent der Hamburg-Süd-Gruppe um die Welt. Selbst wenn Beförderungen oder Berufungen ausgesprochen würden, dauere es länger als bei männlichen Kollegen. Frauen müssten sich dreimal mehr bewähren als Männer und sich eine größere Lobby schaffen.

Dagegen beteuert der Branchenverband VDR, dass man viel dafür tue, Frauen für eine maritime Karriere zu gewinnen. Auch auf der Branchenmesse SMM, die Anfang September in Hamburg stattfand, steht die Förderung weiblicher Nachwuchskräfte auf der Agenda. Ob es allein mit der Einsicht zu tun hat, dass Frauen an Bord ein Gewinn und kein Problem sind, darf indes bezweifelt werden. Vielmehr liegt es wohl auch am dramatischen Mangel an Nachwuchskräften, der für viele Bereiche der Wirtschaft prognostiziert wird. Auch Wista-Chefin Dagmar Klenk sieht das so: "Schon aus demografischen Gründen wird man in Zukunft nicht auf die Expertise und Kompetenz von gut ausgebildeten Frauen verzichten können."

"Die Mädchennummer zieht nicht"

Frauen als Lückenbüßer? Das würde Inger Klein Thorhauge weit von sich weisen. Sie steht ihren Mann auf der Brücke. "Bis sich die Passagiere wundern, dass eine Frau das Kommando an Bord hat, habe ich meist schon abgelegt", sagt sie lakonisch. Das Ablegemanöver sei denn doch ein wenig komplizierter als das Ein- oder Ausparken eines Autos. Macho-Allüren oder mal ein rauer Spruch - das stört auch Beate Stelzer nicht. "Man darf nicht zimperlich sein", sagt die 53-Jährige. "Frauen werden nur akzeptiert, wenn sie mindestens doppelt so gut sind wie die Männer. Die Mädchennummer zieht nicht." Der Lohn der Mühen: Stelzer schwärmt vom Sonnenaufgang über der Sahara, von Walen mitten auf dem Ozean oder von den Plejaden, die sich wie ein Blumenstrauß am Himmel darstellen, wenn sie nachts auf der Brücke steht. Was will Frau mehr?

Doch mit Romantik hat der Alltag an Bord nichts zu tun. Kapitäne tragen Verantwortung - für das Schiff, die Crew, die Ladung. Oder für die Passagiere, wie auf der Seven Seas Mariner, wo 700 Passagiere Platz finden und 450 Crew-Mitglieder arbeiten. Dort hat seit Februar die 42 Jahre alte Italienerin Serena Melani das Kommando. Sie begann ihre Karriere auf Frachtschiffen - eine wertvolle Erfahrung, wie sie sagt. Wenn Melani dienstfrei hat, wohnt sie mit ihrem Mann auf der kroatischen Insel Korčula. Sie sei gerne unterwegs, aber ab und zu brauche auch sie festen Boden unter den Füßen.

Reedereien wollen fortschrittlich und frauenfreundlich sein - trotzdem dauert die Ernennung oft lange

Vielleicht nicht zufällig wurden jüngst auf Kreuzfahrtschiffen vermehrt Kapitäninnen ernannt. Die Pressestellen bemühen sich, daraus eine gute Story zu stricken: die von der fortschrittlichen, frauenfreundlichen Reederei. Belinda Bennett wäre da noch zu nennen. Die 39 Jahre alte Engländerin, die auf der Insel St. Helena im Südatlantik geboren wurde, ist seit März Kapitänin auf der Segelyacht Wind Star.

Windstar Cruises beeilt sich mitzuteilen, dass Bennett nicht nur die erste Kapitänin der Reederei sei, sondern womöglich, genau wollte man sich nicht festlegen, die erste dunkelhäutige Kapitänin überhaupt. Bennett hat schon auf Öltankern und auf Frachtschiffen gearbeitet. Doch ihre größte Herausforderung sei es gewesen, den Schritt von der Ersten Offizierin zur Kapitänin zu schaffen. Elf Jahre war sie bei Wind Star, bis es so weit war.

In den Niederlanden und in Skandinavien - da hat Inger Klein Thorhauge recht - ist man tatsächlich schon weiter. Da ist eine zweifache Mutter, die drei Monate Dienst auf einer Bohrinsel tut, kein großer Aufreger mehr. Doch auch in Deutschland tut sich hier und da etwas: Sogar eine Kapitänin, die mit Baby und Nanny an Bord ging, wurde schon gesichtet. Ansonsten aber gilt Beate Stelzers Rat: "Man braucht einen langen Atem."

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