Kantinenessen:Wie Firmen ihre Kantinen attraktiver machen wollen

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Gesunde Verpflegung wird in Kantinen zunehmend nachgefragt, wie hier bei Google, wo die Mitarbeiter kostenlos speisen. (Foto: AP)

Frontcooking und gesunde Mahlzeiten: Immer mehr Unternehmen verwandeln ihre eintönigen Kantinen in schicke Betriebsrestaurants. Das zahlt sich aus.

Von Martin Scheele

Gesund. Vielseitig. Nährwertreich. Alle Welt schwört auf diese Vokabeln, wenn es ums Essen geht. Das ist in Kantinen nicht anders. Allerdings kann es mit dem Betriebsfrieden ganz schnell vorbei sein. "Wenn wir die Currywurst nicht mehr im Angebot hätten, würden viele Mitarbeiter woanders essen gehen", sagt Bernd Schanné. Beim Stahl- und Aufzugskonzern Thyssen-Krupp ist Schanné oberster Restaurantchef. Sein 350-köpfiges Team verköstigt jeden Tag fast 60 000 Mitarbeiter - vom Stahlarbeiter bis zum Vorstandsvorsitzenden. Eben jene Currywurst ist weiterhin ein Dauerbrenner, rund 300 000 Exemplare werden jährlich in den 36 Betriebsrestaurants verkauft. Im Angebot aber auch: 16 Sorten Salat.

Wie steht es um das leibliche Wohl von Deutschlands Angestellten und Arbeitern? Haben sich die Kantinen mit Neonlicht an der Decke und der Wahl zwischen Kaffee, Tee und Wasser zu Wohlfühltempeln gemausert? Sind Vegetarier wirklich im Kommen? Und spielt der Speisezettel der Betriebe eine Rolle beim Modewort "Employer Branding"? Eine Nahaufnahme.

Wesel am Rhein. Hier, 30 Kilometer nördlich von Duisburg, hat der Spezialchemiekonzern Altana seinen Hauptsitz. Altana spielt nicht in der Liga von ThyssenKrupp, Siemens & Co., muss sich deshalb nach Talenten kräftig strecken und seine Mitarbeiter halten. Ein Mosaikstein: Dieses Jahr schlüpften Vorstandschef Martin Babilas und sein Finanzchef Stefan Genten für einen Tag in die Rolle des Chefkochs. Sie kochten Gerichte wie Lammrücken mit Ofengemüse und reichten die Teller an der Essensausgabe. Babilas sagt: "Die Mittagspause in der Kantine ist für mich eine gute Gelegenheit, mit vielen Mitarbeitern direkt ins Gespräch zu kommen."

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Betriebsrestaurants sind ein Spiegel der Gesellschaft. Das weiß kaum jemand besser als Burkart Schmid, Chef des Deutschen Instituts für Gemeinschaftsgastronomie in Frankfurt. "An den Speisen und am Ambiente kann man erkennen, wie sehr das Unternehmen die Mitarbeiter wertschätzt", sagt der Gastro-Experte.

Die Crux der Unternehmen: Betriebsrestaurants können nie rentabel sein. Die Kosten sind schlicht höher als die Einnahmen. Dennoch investieren viele Firmen in breitere Speiseangebote und in Wohlfühlatmosphäre. Weniger aus Altruismus als vielmehr einem knallharten wirtschaftlichen Kalkül folgend: Sind die Angestellten gesünder und zufriedener, sind sie auch leistungsfähiger und fallen seltener aus.

Zugleich macht die Belegschaft Druck. Beispiel Siemens. "Unsere 114 000 Mitarbeiter hierzulande möchten genau wissen, woher die Zutaten der Speisen kommen. Regionale Küche ist ihnen wichtig", sagt Thomas Donhauser, Chef der Siemens-Gastronomie in Deutschland. "Sie ernähren sich immer bewusster. Der Anteil der Mitarbeiter, die sich rein vegetarisch ernähren, beträgt etwa fünf Prozent an Werkstandorten und bis zu 18 Prozent an Verwaltungsstandorten, Tendenz steigend."

Donhausers Team reicht in 72 Speisesälen etwa 1,4 Millionen Gerichte pro Jahr. "Die Individualität der jeweiligen Betriebsrestaurants ist uns dabei wichtig, wir wollen nicht zum McDonald's von Siemens mutieren, wir haben keinen zentralen Speiseplan", sagt Donhauser. Der neuste Clou: An den großen Bürostandorten München, Berlin und Karlsruhe gibt es Siemens-Restaurants, an denen der Mitarbeiter am Tisch bedient wird - wie in alten Zeiten.

Die Demokratisierung der Betriebsgastronomie hat im Konzern schon lange Einzug gehalten. Restaurants, die nur für hohe Hierarchieebenen bestimmt sind - Fehlanzeige. Auch ein anderer Münchner Großkonzern gibt sich weniger elitär. Früher gruppierte BMW die Belegschaft in drei Klassen ein, heute gibt es in den 21 Münchner Kantinen nur zwei, die für Gäste und obere Führungskräfte vorgesehen sind.

Ein weiterer Hebel, Mitarbeitern das Essen schmackhaft zu machen, ist der Preis. Völlig umsonst ist das Speiseangebot nur in den wenigsten Firmen. Bei Google gehört die Gratisverköstigung zum Firmenprinzip, aber auch der IT-Konzern SAP verlangt seit jeher nichts. Für Tim Lüdke von der Personalberatung Heidrick & Struggles, der tagein, tagaus durch deutsche Firmen reist, ein wichtiger Wettbewerbsvorteil: "Bereits in den Neunzigerjahren war SAP einer der Trendsetter der Betriebsgastronomie. Auswärtige Gäste legten extra ihre Termine auf die Tage, an denen frisch Sushi zubereitet wurde oder an denen im Frontcooking-Bereich gegrillt wurde."

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Wie aber sieht es im Mittelstand aus? Ein eher unbekanntes Unternehmen ist Schunk. Am Stammsitz im hessischen Heuchelheim arbeiten 2000 Menschen für die Firma der Kohlenstofftechnik. Weil Schunk international gewachsen ist, kreiert Restaurantchef Jörg Wiegand jetzt auch Gerichte aus der ganzen Welt, vom Gado-Gado-Salat bis zu Rabas Empanadas, spanischen Oktopus-Tapas: "Besonders beliebt bei den Mitarbeitern: der Frontcooking-Bereich, wo das Gericht vor ihren Augen zubereitet und auf den Punkt gegart wird."

Manchmal sind es aber auch die kleinen Dinge, die später große Freude machen. Beim Automobilzulieferer Gedia aus dem sauerländischen Attendorn boten die Snackautomaten den 800 Mitarbeitern lange nur zuckerreiche Limonaden und Schokoriegel. Mittlerweile fallen isotonische Getränke und zuckerarme Müsli-Riegel in die Ausgabe. "Wir hatten mit mehr Widerstand gerechnet", sagt Gedia-Angestellte Catarina Dreher. Ähnlich wie bei Altana kochen auch hier die Chefs vor den Augen der Belegschaft.

Bei der Brauerei Warsteiner, ebenfalls im Sauerland beheimatet, gibt es eine Art Bibliothek, in der sich die Mitarbeiter ihre Lektüre holen können. Vertriebsmanagerin Sandra Ketter: "Gemeinsam essen und sich dann noch über seine Lieblingsbücher auszutauschen, bereichert die Pause."

Mehr Mitarbeiter, mehr Öffentlichkeit: Da müssen sich Großkonzerne auch in ihren Betriebsrestaurants mehr ins Zeug legen. Bei Thyssen-Krupp sind Aktionen zum Oktoberfest und zur Spargelzeit Standard. In der letzten Vorweihnachtszeit gab das Unternehmen das Motto "Orient-Express" aus und bot Gerichte an, die in den Ländern gekocht werden, durch die der Express fuhr. Noch eine Portion kreativer: Die "Kitchen-Punk"-Aktion des Konzerns. Es gab Lachs mit Lakritzsauce und gebratenem Speck auf einer süßen Waffel.

© SZ vom 21.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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