Job:Zu viel Identifikation mit der Firma kann schädlich sein

Schweißer

Ein Arbeiter schweißt in Hamburg in einem Trockendock.

(Foto: picture alliance / dpa)

Arbeitgeber locken Bewerber damit, sie könnten Teil der "Familie" werden. Aber wie gut ist eine emotionale Bindung an den Arbeitsplatz wirklich?

Von Viola Schenz

Eigentlich ist die Sache mit dem Fachkräftemangel ganz einfach zu lösen, man muss nur an den Familiensinn potenzieller Kandidaten appellieren. Firmen mit Personalmangel setzen nämlich auf das menschliche Bedürfnis, einer eingeschworenen Gemeinschaft anzugehören. Diesen Eindruck hinterlassen jedenfalls viele Stellenausschreibungen.

"Bewerben Sie sich jetzt für einen Job auf einem Kreuzfahrtschiff und werden Sie Mitglied der Aida-Familie!", heißt es da. Oder: "Starten Sie mit uns in Ihre berufliche Zukunft, werden Sie Mitglied der Avanti-Familie." Auch die Umweltorganisation WWF wirbt mit dem Familien-Faktor ("Werde als Promoter Teil unserer Panda-Familie"), ebenso die Flugbegleiter-Gewerkschaft UFO ("Wir sind auf der Suche nach flexiblen Talenten, Experten und Quereinsteigern, die Teil unserer Familien-Chronik werden wollen") oder die IT-Firma Blu ("Dann finden wir gemeinsam mit Ihnen eine passende Einstiegsmöglichkeit innerhalb der Blu-Familie").

Die Familie als Kitt zwischen Unternehmen und Belegschaft - das ist die Idee. Gemeinsinn, Verantwortung, Vertrauen sollen Mitarbeiter locken, sie sollen sich identifizieren mit ihrer Firma. Denn: Wer sich nicht an den Arbeitgeber emotional gebunden fühlt, ist weniger eigeninitiativ, leistungsbereit, verantwortungsbewusst, so die landläufige Meinung. Klingt logisch, doch die Berufswelt funktioniert nicht nach einem solch simplen Schema.

Was die emotionale Bindung an den Arbeitsplatz stärkt

Das zeigt zum Beispiel der Gallup Engagement Index. Demnach empfinden gerade einmal 15 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland eine hohe emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber. 70 Prozent haben eine geringe, 15 Prozent gar keine Bindung. Das Meinungsforschungsinstitut befragt seit 2001 zufällig ausgewählte Arbeitnehmer, seither stagnieren die Kategorien auf ihrem jeweiligen Niveau, die "hohe Bindung" schwankt zwischen elf und 16, "keine Bindung" zwischen 15 und 24 Prozent.

Spielt Identifikation also keine Rolle? Wollen sich Mitarbeiter überhaupt mit der Firma gleichsetzen? Braucht es irgendeine emotionale Bindung, oder reicht der nüchterne Deal "Arbeitskraft gegen Geld"? Und was ist eigentlich identitätsstiftend?

Extra-Leistungen und Vergünstigungen zum Beispiel: Handy, Firmenwagen, Dienstwohnung, Freikarten für Theater und Konzert, betriebseigene Tennisplätze. Oder auch schiere Äußerlichkeiten, einheitliche Kleidung etwa. In manchen Berufen sind Uniformen gesetzlich vorgeschrieben, etwa für Polizisten, Zollbeamte, Post- oder Bahnbedienstete. In manchen sind sie sinnvoll, etwa um im überfüllten Baumarkt einen Verkäufer zu finden.

Die Einheitskluft sehen die Deutschen kritisch

Jens Gibolde (Name geändert) ist Pilot bei der Lufthansa. Zu Piloten gehört eine Uniform wie der Schaum zum Bier, außerdem schreibt sie das Bundesluftfahrtamt vor. Jeder Passagier muss nämlich ein Crew-Mitglied sofort erkennen können. Trägt Gibolde sie gerne? Ja, sagt der 30-Jährige. "Auch weil einem die Menschen anders begegnen, respektvoller. Blicke verfolgen einen, man geht automatisch aufrechter. Und man geht nicht über eine rote Ampel, denn man repräsentiert nun mal ein Unternehmen."

Eine Uniform diszipliniert also. Würde er sie tragen, wenn es ihm freigestellt wäre? Ja, aber er wäre auch ohne Uniform stolz auf seinen Beruf. Der Nachteil: Am Ende eines anstrengenden Flugtages mal eben auf der Heimfahrt im Zug fläzen und schlummern - das geht nicht.

Kleidung symbolisiert seit jeher den Berufsstand. Schon im Mittelalter demonstrierten Handwerker mit entsprechenden Jacken, Hosen, Knöpfen oder Abzeichen ihre Zunft und ihren Rang. Im Laufe der Jahrhunderte ist das auf andere Berufe übergegangen, einschließlich Militär und Beamtentum. In Deutschland missbrauchten die Nazis die Uniformierung für ihre Zwecke - von den Pimpfen bis zur SS.

Die Folge ist ein zwiespältiges Verhältnis der Deutschen zu Einheitskleidung. Während sich andere Nationen ganz pragmatisch bei Bedarf, etwa als Reisegruppe, einheitliche T-Shirts oder Jacken überziehen und schon Dreijährige selbstverständlich uniformiert in den Kindergarten schicken, wird in Deutschland darüber gestritten, ob Schuluniformen zu sehr an die Hitler-Jugend erinnern.

Auf jahrzehntelange Treue können Arbeitgeber nicht mehr bauen

Im Berufsleben aber überzeugt halt doch das Praktische der Einheitskluft. Anna Stadlmeier (Name geändert) ist Studentin mit wechselnden uniformierten Nebenjobs - auf Messen, in Bars, in Oktoberfestküchen. Bequem sei das, sagt die 26-Jährige, man müsse sich keine Gedanken machen, was man anzieht, man könne die Sachen zum Waschen geben, und es vermittle ein Zusammengehörigkeitsgefühl. "Wenn der Job obendrein Spaß macht, dann macht einen so ein Poloshirt mit Firmenlogo auch ein bisschen stolz", sagt sie.

Identifikation mit dem Job wird auch deswegen so beschworen, weil Firmenwechsel inzwischen normal sind. "Ich habe 45 Jahre bei Daimler geschafft" - diese Zeiten sind vorbei und mit ihnen die emotionale Dauerbindung an den Arbeitgeber. Wenn man schon nicht auf jahrzehntelange Loyalität zählen kann, wenn die Fachkraft jederzeit von der Konkurrenz weggelockt sein kann, soll sie sich wenigstens auf andere Weise einbringen, auf effektivere Weise gar - etwa über soziale Medien.

Von Marketing bis Diät - das machen Angestellte für ihren Arbeitgeber

Immer häufiger wird an Mitarbeiter appelliert, auf Twitter oder Facebook für ihr Unternehmen zu trommeln, auf ihren privaten Accounts, wohlgemerkt. Gerade im PR-Wesen ist das üblich. Petra Braun (Name geändert) ist Marketing-Managerin bei einer Orthopädieklinik, ihr Facebook-Auftritt ist voller positiver Mitteilungen über ihren Arbeitgeber. "Das gehört zum Marketing dazu", sagt die 50-Jährige, "anfangs fand ich es nervig, inzwischen mache ich es sogar gerne, finde es interessant." Kein Eingriff in die Privatsphäre? "Nein, ich befürworte, was die Firma medizinisch propagiert, nämlich Operationen zu vermeiden. Insofern stehe ich dazu."

Tatsächlich erscheinen solche Erwartungen vergleichsweise harmlos. Es gibt Modeketten, die ihre Verkäufer anhalten, nur Kleidung des hauseigenen Labels zu tragen. Die Hausmarke privat zu fahren, hilft bei der Karriere in der Autoindustrie. Eine österreichische Fastenklinik verlangt von seinem Personal, einmal im Jahr die angepriesene Diät zu machen, damit es mit den Patienten mitempfinden kann. Kann man sich dem verweigern? Macht man so etwas mit, weil der Job heutzutage eh das Leben in weiten Teilen bestimmt?

Gerade höher Qualifizierte neigen dazu, sich über ihren Job zu definieren. Es wird viel Einsatz verlangt, die Arbeitstage sind oft lang, der Trend zum Homeoffice hält an, Arbeit und Freizeit verschwimmen - solche Umstände lassen einen mit dem Job eins werden.

Zu viel Bindung verhindert kritisches Denken

Samantha Conroy, Arbeitsökonomin an der Colorado State University, stellt Sinn und Effizienz hoher Identifikation infrage. Ihre Studien ergeben, dass sie sogar schädlich bis gefährlich sein kann. Sehen Mitarbeiter das eigene Unternehmen zu positiv, seien sie auch oft in dessen eingefahrenen Strukturen gefangen. In der Folge litten innovatives und kritisches Denken, sie seien nicht aufgeschlossen für Veränderungen oder neue Kollegen. Eine solche Haltung könne eine Firma lähmen.

Gerade große, globale und angesagte IT-Unternehmen versuchen auf ihre Weise, Mitarbeiter zu vereinnahmen, positiv zu stimmen, quasi einzulullen. Sie verwandeln Büros in Lounge-Bereiche mit Wohlfühloasen und Verwöhnprogramm, mit freier Verpflegung und Nackenmassage. Da ist man gerne im Einsatz, macht auch freiwillig Überstunden.

Was aber, wenn das großartige Unternehmen, für das man zu schuften so stolz ist, eines Tages Mist baut, Skandale produziert, pleitegeht oder unmoralisch agiert? Was, wenn man sich mit dem Projektteam verkracht? Spätestens dann werden die Brüder und Schwestern wieder zu Arbeitskollegen, und der lässige Lounge-Bereich mit dem Designersofa und dem Kickertisch kann doch nicht das heimische Wohnzimmer ersetzen. Spätestens dann ist es aus mit dem Familienidyll Firma.

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