Job:Karate mit Kollegen

Lesezeit: 4 min

Immer mehr Unternehmen bieten Freizeitangebote an, die ihre Firmenkultur fördern sollen. Bei Siemens in Berlin können Mitarbeiter Yoga machen. (Foto: picture alliance / Sophia Kembow)

Singen, kochen, Yoga lernen: Viele Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern Freizeitaktivitäten im Betrieb an. Wozu soll das gut sein?

Von Martin Scheele

Stefan Hüppe singt für sein Leben gern. Nicht nur im Auto auf der Fahrt ins Büro, sondern auch gemeinsam mit seinen Kollegen. Jeden Dienstagabend marschiert der 61-Jährige in die Musikschule in Ingelheim am Rhein und nimmt an einer Probe des firmeneigenen Pop- und Jazzchors teil - zusammen mit 54 anderen Mitarbeitern des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim. Das Honorar der Chorleiterin zahlt der Arbeitgeber.

"Ich habe einfach Spaß am Singen, es befreit vom Stress, und die Kollegen kommen so angenehm ins Gespräch", sagt Hüppe, der bei Boehringer die Aus-und Weiterbildung leitet. Der Wirtschaftspädagoge hat sich mitreißen lassen von einem Kollegen, der bereits seit 2009 dabei ist. Damals gründete Boehringer den Chor, damit zwei Jahre später, pünktlich zur Feier zum 125. Geburtstag des Unternehmens, die musikalische Untermalung nicht von Externen eingekauft werden musste.

Job
:Ein Anspruch auf Homeoffice käme zu früh

Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert, dass Beschäftigte von Zuhause aus arbeiten dürfen. Der Trend zur Heimarbeit birgt jedoch Gefahren.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Großes Unternehmen, großes Freizeitangebot für die Mitarbeiter - das trifft auf Boehringer Ingelheim zu. Allein 8500 der weltweit 45 000 Mitarbeiter arbeiten in der Zentrale in Ingelheim am Rhein. Auf dem Werksgelände gibt es seit zehn Jahren ein Gesundheitszentrum, dessen Schwerpunkt die Prävention ist: Mit Kardiogeräten, Krafttraining und einem Kursprogramm von Bogenschießen bis Zirkeltraining können die Angestellten ihre Fitness verbessern. In den Betriebssportgruppen betreiben sie Gymnastik, kraxeln an Kletterwänden oder spielen Volleyball. Auf dem jährlichen Sportfest können sie das Sportabzeichen erwerben.

Neben dem Chor von Stefan Hüppe probt in Ingelheim noch eine hauseigene Bigband und am Standort Biberach ein Werksorchester. Wer seine Kochkünste verbessern will, der kann aus einer Vielzahl von Kochkursen auswählen, die im Betriebsrestaurant stattfinden.

Mitarbeiter machen Karate, der Wäscheservice bügelt

Wenn Unternehmen ihren Mitarbeiter den Feierabend versüßen oder schon während der Arbeitszeit deren psychische und physische Gesundheit stärken wollen, geschieht das nicht ganz uneigennützig. Die Firmen wissen genau, dass immer mehr Menschen nur eine geringe emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber haben. Der Anteil der Mitarbeiter, die Dienst nach Vorschrift machen, liegt nach einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Gallup vom vergangenen Jahr bei 70 Prozent.

Zum anderen finden Unternehmen immer schwerer geeignete Fachkräfte. In Rheinland-Pfalz, wo Boehringer Ingelheim angesiedelt ist, liegt die Arbeitslosenquote bei 4,9 Prozent - und nähert sich damit der Vollbeschäftigung. Ein breites Angebot an Freizeitaktivitäten ist deshalb Teil der Strategie, Mitarbeiter zu binden und neue Kräfte zu finden.

Dass Mittelständler beim Freizeitangebot den Konzernen nicht hinterherhinken müssen, beweist der Autozulieferer Hella. Das Unternehmen aus Lippstadt in Südwestfalen bietet allein 20 Sportarten von Karate über Mountainbiking bis Volleyball kostenlos an. Einigen Mitarbeitern hilft auch schon der Wäscheservice: Damit sie am Feierabend mehr Zeit haben, können sie ihre Wäsche einmal in der Woche am Arbeitsplatz abholen lassen und zwei Tage später gereinigt und gebügelt wieder im Empfang nehmen.

Der Pumpenhersteller Sera aus dem hessischen Immenhausen bietet zwei Mal in der Woche Fitnesskurse am Arbeitsplatz an. "Wenn man sich mit anderen zu einem festen Termin trifft, fällt es viel leichter, den inneren Schweinehund zu überlisten", sagt Prokurist Stefan Merwar, einer von 200 Mitarbeitern des Familienunternehmens. Wer häufiger trainieren möchte, bekommt einen Zuschuss zum Fitnessstudio-Abo. Ebenfalls subventioniert wird das Massageangebot. "Die Termine sind bei den Kollegen heiß begehrt und meist überbucht", sagt Merwar.

Auf Initiative von Sera-Mitarbeitern ist eine Fußballmannschaft und ein Badmintontreff entstanden, außerdem die Band Seras finest, die auf After-Work-Partys und Sommerfesten der Firma Popklassiker zum Besten gibt. Die Band ist bunt gemischt: Ein Geschäftsbereichsleiter spielt Gitarre, Bass und Keyboard besetzen ein Fabrikarbeiter und ein Ingenieur. Empfangsmitarbeiterin Christiane Ruegg, die die Band mit ihrer Stimme anführt, sagt: "Es ist spannend, die Kollegen auf einer ganz anderen Basis kennenzulernen. Und eine tolle Erfahrung, wenn musikalisch aus jungen Hüpfern, alten Hasen und echten Rock'n'Roll-Novizen eine Band wird."

Präsentation im Job
:Schafft die Powerpoint ab

Hundert Stunden im Jahr basteln Berufstätige an den Folien herum. Spätestens jetzt steht fest: Sie sind der größte Irrsinn der Arbeitswelt.

Kommentar von Larissa Holzki

Wie unterschiedlich Firmen ihr Angebot ausdifferenzieren, zeigt das Beispiel Würth in Künzelsau. Das Unternehmen aus der Montage- und Befestigungstechnik legt nicht nur Wert auf ein innerbetriebliches Gesundheitsmanagement, es organisiert auch viele Kulturveranstaltungen. Entstanden ist das durch die Kunstbegeisterung von Firmengründer Reinhold Würth. In der Kunsthalle Würth gibt es regelmäßig Mitarbeiterführungen und Kinder-Workshops. Ablenkung vom Job verschafft auch die hauseigene Akademie Würth, in der Ballettaufführungen, Kabarettabende und Lesungen stattfinden.

Für Reinhold Würth ist das Angebot eine Konsequenz aus der Führungskultur des Unternehmens. "Ich habe in meiner Berufszeit sicher hundert Betriebe gekauft", sagt der 83-Jährige. "Es war immer wieder ein Faszinosum, wie unterschiedlich diese ticken, wie sie organisiert sind und welche Firmenkultur jeweils vorherrscht." Diese Unternehmenskultur sollen die Freizeitangebote fördern.

Manchmal fallen gar Arbeit, Hobby und Ehrenamt zusammen

Was die Kunst angeht, kann der Heizungshersteller Viessmann aus Allendorf in Nordhessen nicht mit Würth mithalten. Vielfältig ist das Angebot von Viessmann trotzdem. Neben Sportkursen, Werksführungen durch andere Unternehmen, Design-Thinking-Vorträgen und Tanzkursen gibt es auch den Workshop "Gemüse selbst anbauen". Einen Chor kann das Unternehmen ebenfalls aufbieten. Bereits seit 55 Jahren besteht der Werkschor, der seit einiger Zeit den englischen Namen Sounds of Viessmann trägt - aufgrund der starken Internationalisierung des Unternehmens.

Chormitglied Natalie Namyslak, von Beruf Außenhandelskauffrau, meint: "Wir haben viele moderne Lieder im Programm, die man aus dem Radio kennt. Damit sprechen wir Jung und Alt an, die Auftritte machen richtig Spaß." Zudem engagiert sich der Chor ehrenamtlich. So gastierten die Sounds of Viessmann vor Kurzem in einem Hospiz. "Alle Türen wurden geöffnet, damit auch die Bewohner, die nicht mehr aufstehen können, am Konzert teilnehmen konnten", erzählt Namyslak. "Von den Schwestern haben wir erfahren, wie positiv und entspannend solche Auftritte auf die Hospizbewohner wirken."

Für Stefan Hüppe vom Pop- und Jazzchor bei Boehringer ist die Erfahrung von Namyslak wertvoll. Derzeit singt der Chor hauptsächlich bei Anlässen innerhalb der Firma, etwa bei der Weihnachtsfeier der Werksfeuerwehr oder beim Tag der offenen Tür der Chemie. "Ich kann mir aber vorstellen, dass unserer Chor demnächst auch einmal ehrenamtlich auftreten wird", sagt Hüppe.

© SZ vom 05.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Zukunft der Arbeit
:Die Vermessung der Mitarbeiter

Eine Analyse-Firma hat sich Zugang zu den Daten von Millionen Facebooknutzern verschafft. Am Arbeitsplatz hinterlassen Beschäftigte noch sensiblere Spuren. Was ließe sich damit anfangen?

Von Larissa Holzki

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: