Fachkräftemangel:Wenn der Fahrgast ewig wartet

Fachkräftemangel: Matthias Lorenz steuerte vor einigen Jahren einen ICE ins oberbayerische Tutzing. Der Zug wurde dort auf den Namen des Ortes getauft.

Matthias Lorenz steuerte vor einigen Jahren einen ICE ins oberbayerische Tutzing. Der Zug wurde dort auf den Namen des Ortes getauft.

(Foto: Franz-Xaver Fuchs)

Lokführer dringend gesucht - weil mehr als 1000 von ihnen fehlen. Die Bahn buhlt um Nachwuchs und will vor allem das schlechte Image des Berufs korrigieren.

Von Marco Völklein

Kerstin Wagner versucht ihr Bestes, um den Nachwuchs zu begeistern. Nach wie vor sei der Beruf attraktiv, sagt die Chefin der Personalgewinnung bei der Deutschen Bahn. Als Lokführer sei man unabhängig, draußen im Führerstand, weit weg von der Zentrale und den Schreibtischen der Chefs. Lokführer würden hautnah faszinierende Technik erleben. Und sie hätten eine Menge Verantwortung, wahlweise für Passagiere oder für die wertvolle Fracht. Und wer zum Beispiel als Lokführer eine S-Bahn steuert, der habe auch noch Kontakt mit vielen Kunden.

An sich, sagt Wagner, sei der Beruf des Lokführers also "sehr attraktiv". Und nach wie vor gebe es viele, die von klein auf davon geträumt hätten, einmal als Triebfahrzeugführer auf einer Güterzuglokomotive mit 8000 PS durch die Lande zu rauschen. Jedoch: Die eingeschworenen Bahn-Fans allein reichen nicht aus.

Seit Jahren klagt die Branche über Lokführermangel. Immer wieder kam es vor, dass Firmen wie die Deutsche Bahn (DB) oder deren Konkurrenten Züge ausfallen - und damit Fahrgäste am Bahnsteig stehen - lassen mussten, weil Leute nicht greifbar waren. Laut der Lokführergewerkschaft GDL fehlen bundesweit etwa 1000 Lokführer.

Die Bahnbranche habe bei der Nachwuchsgewinnung ein "Imageproblem", räumt Dirk Flege vom Branchenverband Allianz pro Schiene ein. Und das, obwohl sich die Bezahlung der Lokführer, auch aufgrund der harten Streiks in den vergangenen Jahren, verbessert habe. Dennoch würden sich viele oft für andere Branchen entscheiden, sagt Flege weiter. Mit Eisenbahn verbänden sie den Eindruck eines "trägen Staatskonzerns"und dächten deshalb gar nicht an eine Bahnfirma als möglichen Arbeitgeber.

Das reiße auch in anderen Berufsfeldern, nicht nur bei Lokführern, Löcher, warnen die Bahngewerkschaften EVG und GDL. Weil die DB über lange Zeit kaum eingestellt habe, laufe sie nun auf einen demografischen Wandel zu. Um die vielen frei werdenden Stellen zu besetzen, müssten dringend mehr Lokführer, Fahrdienstleiter, Werkstattmitarbeiter und Servicekräfte rekrutiert werden.

Nachtschichten, wenig Geld, träger Konzern - das Image ist mies

DB-Personalgewinnerin Wagner versucht daher, jungen Leuten die Bahnberufe unter anderem über Facebook-Kampagnen zu vermitteln. In diesen Tagen läuft dort ein speziell auf den Lokführernachwuchs abgestimmter Film, um den Lehrberuf des "Eisenbahner im Betriebsdienst", kurz: EiB, mit Fachrichtung Lokführer anzupreisen. Per Livestream stehen Ausbilder jungen Interessenten zur Verfügung.

Die bis zu dreieinhalb Jahre lange Ausbildung zum EiB reicht aber nicht aus, um den kurzfristigen Bedarf zu decken. Viele Bahnanbieter setzen daher auf Quereinsteiger aus anderen Berufen. In Kursen von neun bis zwölf Monaten Dauer werden sie zum Triebfahrzeugführer ausgebildet - und sind so wesentlich früher im Führerstand einsetzbar.

Der DB-Konkurrent Abellio befährt unter anderem rund um Halle und Leipzig die Nahverkehrsstrecken im Saale-Thüringen-Südharz-Netz. Im Dezember 2018 kommt das Dieselnetz Sachsen-Anhalt hinzu. Dafür benötigt Abellio neben den aktuell 145 Lokführern gut 130 Kräfte zusätzlich. Einen Teil davon will Abellio nun selbst ausbilden. Es sei wichtig, die Leute rechtzeitig zu qualifizieren, sagt Ausbildungsleiter Andy Ahrens, damit sie Betriebserfahrung sammeln.

Tatsächlich hatten sich noch vor einigen Jahren die vielen Wettbewerber, die gegen die DB im Nah- und im Güterverkehr antreten, weitgehend aus der Ausbildung herausgehalten und dem einstigen Staatskonzern die Lokführer abgeworben. Mittlerweile aber, sagt Branchenkenner Flege, habe sich das geändert: Viele Unternehmen qualifizierten nun selbst ihren Nachwuchs. So startet zum Beispiel das Münchner Güterverkehrsunternehmen Lokomotion in diesem Jahr erstmals zwei Ausbildungslehrgänge für Triebfahrzeugführer in Eigenregie mit je sechs Quereinsteigern. Zusätzlich werden pro Jahr zwei bis drei EiBs ausgebildet.

Vision vollautomatisch fahrende Züge - braucht man da noch Lokführer?

Lokomotion-Personalchefin Barbara Hansen glaubt zudem: Ohne den Lokführermangel "würden wir deutlich mehr Güter auf die Schiene kriegen". Deshalb drängeln auch Gewerkschafter die Firmen, mehr auszubilden. Doch vor allem in Ballungsräumen sei es für Lokführer schwierig, bezahlbaren Wohnraum zu finden.

Die Gewerkschaften kritisieren, dass sich die DB vor Längerem von ihren Werkswohnungen getrennt hat. Mittlerweile müsse sie teuren Wohnraum anmieten, um überhaupt Anwärter zu gewinnen. Flege räumt ein, dass der Schichtdienst und die vor allem im Güterverkehr teils langen Anreisewege zu den Orten, an denen die Züge übernommen werden, Interessenten abschrecke. Ähnlich sei es mit Selbstmördern. "Das ist ein belastendes Moment", sagt Flege. "Da darf man nicht herumreden."

Belegschaftsvertreter diverser Unternehmen wiederum ärgern sich noch immer über den kürzlich abgetretenen DB-Chef Rüdiger Grube, der vor einiger Zeit autonom fahrende Züge als nicht allzu ferne Vision ausgegeben hatte. Viele Bewerber zweifelten nun, ob sie als Lokführer in einigen Jahren überhaupt noch benötigt werden. Lokomotion-Personalchefin Hansen indes kann sich nicht vorstellen, dass irgendwann mal tonnenschwere Güterzüge ganz ohne menschliche Begleitung durch die Lande fahren.

Wer soll dann eine Bremsenstörung beheben? Wer Probleme mit dem Stromabnehmer klären? "Auch die Fahrgäste wollen, dass Menschen an Bord sind", ergänzt Flege. Und DB-Personalwerberin Wagner weist auf Tarifverträge zu Beschäftigungssicherung und Weiterqualifizierung hin, die der Konzern mit den Gewerkschaften geschlossen hat. Selbst wenn Lokführer irgendwann nicht mehr auf den Fahrzeugen benötigt würden, "so braucht die Bahn doch weiter Experten für den Zugbetrieb".

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