Coworking-Areas für Freiberufler:Kollegen zur Miete

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Gegen die soziale Verarmung: Früher quälten sich Freiberufler im Home Office, jetzt arbeitet die digitale Bohème in Coworking-Areas. Die Grenzen zwischen Büro und Café sind fließend.

Linda Tutmann

Es gab Zeiten, da hat sich Matthias Pflügner direkt nach dem Aufstehen im Schlafanzug an den Schreibtisch gesetzt. Hat seinen Laptop mit dem GraphikProgramm gestartet und losgezeichnet. Pflügner ist freier Illustrator, und wie so viele Freiberufler versuchte er anfangs zu Hause zu arbeiten, "Das war schrecklich", sagt er heute. "Man verarmt sozial total." Ihm fehlte der Austausch mit Kollegen, der Plausch in der Teeküche, der Ratschlag vom Tischnachbarn, die gemeinsame Mittagspause.

Zusammen ist man weniger allein: Freiberufler im "Studio 70" in Berlin. (Foto: Foto: Simon Bierwald)

Heute sitzt Pflügner an einem langen braunen Holztisch vor seinem Bildschirm, neben ihm sind zwei Kollegen über ihre Laptops gebeugt, am Tisch gegenüber wird telefoniert. Was auf den ersten Blick wie eine Bürogemeinschaft aussieht, ist mehr als das: "Coworking" heißt eine neue Form des Arbeitens, die in New York ihren Ursprung hat. Freiberufler auf der ganzen Welt finden sich in sogenannten Coworking-Areas zusammen, um dort zu arbeiten, sich auszutauschen und gegenseitig zu inspirieren.

Ein solcher Ort ist das "Studio 70" in Berlin-Neukölln, wo Matthias Pflügner seinen Arbeitsplatz hat. Mit Tesafilm ist ein weißer Zettel auf den Briefkasten geklebt, "Studio 70" steht dort - und neun Namen. Auch Pflügners Namen kann man dort lesen, doch ähnlich flexibel wie der weiße Zettel ist auch die Mitgliedschaft im "Studio 70": In der Erdgeschosswohnung im Hinterhof kann man sich für Monate, Wochen oder auch nur für ein paar Tage einen Schreibtisch mieten. 125 Euro im Monat oder zehn Euro am Tag kostet der Arbeitsplatz. "Hier habe ich eine Kündigungsfrist von einem Monat", sagt Pflügner. "Wenn ich mal nichts zu tun habe, kann ich die Kosten für den Platz sparen."

Seit zwei Monaten gibt es das "Studio 70", Pflügner ist von Anfang an dabei. Es ist eine von vielen Coworking-Spaces, die zurzeit in Berlin und in anderen Städten entstehen. Wer dabei an sterile Büromöbel und puristisches Inventar denkt, liegt im "Studio 70" falsch. Fast ein wenig Wohnzimmer-Atmosphäre herrscht in dem Arbeitsraum. Die Kaffeemaschine surrt, ein Fußball-Kicker steht in der Ecke - der ganze Stolz der Bürogemeinschaft. Es gibt Plüschsessel und ein Sofa auf einer kleinen Bühne: Während tagsüber gearbeitet wird, treffen sich die Kreativen abends, um hier ihre Arbeit zu präsentieren, laden zu Diskussionsrunden ein oder gucken auch mal zusammen ein Fußballspiel oder das Kanzlerduell.

Entspanntes Netzwerken

Um zu veranschaulichen, was Coworking meint, erzählt Pflügner, wie er einen Auftrag von einer freien Theatergruppe erhielt, die sich auf der Bühne des Studios zum Proben traf. Als sie einen kreativen Menschen für die Gestaltung ihrer Bühnenbilder suchte, sprach ihn einer der Schauspieler an. Er hatte gehört, dass Pflügner Illustrator ist. "Hier kann man sehr locker und entspannt netzwerken, ohne eine wirkliche Akquise."

Neben Pflügner haben sieben weitere Freiberufler im Studio einen Schreibtisch gemietet. "Wir machen ganz unterschiedliche Dinge, das ist das Gute daran", sagt er. Gerade den Blick über den Tellerrand der eigenen Arbeit schätzen viele Coworker. "Um kreativen Input zu bekommen, ist so ein Umfeld sehr wichtig", sagt Sebastian Sooth, einer der Mitgründer des Studios. Auch er mag den Austausch mit wechselnden Kollegen. Und schätzt besonders, dass immer mal wieder neue Leute dazukommen.

Manche arbeiten nur kurz im Studio, zum Beispiel internationale Freiberufler auf der Durchreise oder Projektarbeiter aus anderen Städten. Sie nutzen den Drucker, das Faxgerät und natürlich die Kaffeemaschine. "Wer ist das? War der schon mal hier?", fragt sich Pflügner an manchen Tagen, wenn ihm mal wieder ein neues Gesicht gegenüber sitzt. Klar müsse man sich dann auch um denjenigen kümmern, aber für ihn sei dies mehr eine Bereicherung als eine Last.

WG-Zettel
:"Entweder ich ziehe aus oder DU!"

In manchen WGs sind die Mitbewohner so verkracht, dass sie nur noch mit Zetteln kommunizieren: eine Sammlung subtiler Botschaften aus dem WG-Alltag.

Eine Zeitlang teilte er mit zwei anderen Freiberuflern ein Büro, aber dort sei er nur ein "Mieter mit Kopfhörern" gewesen, sagt er und meint, dass er sich nur wenig mit seinen Kollegen ausgetauscht habe. Gearbeitet habe er dort meistens mit Musik auf den Ohren.

"Manchmal gibt es auch mal jemanden, den man partout nicht sehen möchte, dann gehe ich halt woandershin", sagt Sooth. Er mag die Freiheit, sich aussuchen zu können, wo er arbeitet und auch mit wem. Dass diese Form des selbstbestimmten Arbeitens auch seine Schattenseiten hat, weiß er aber auch: "Man muss die Unsicherheit aushalten können, nicht zu wissen, wann genau das nächste Geld kommt", sagt er und es klingt nicht so, als hätte er damit ein Problem.

Lockere Verbindung von Freiberuflern

Damit sich die verschiedenen Arbeitsräume untereinander vernetzen können, rief Projektmanager Sooth im letzten Jahr die Internetseite www.hallenprojekt.de ins Leben. Dort soll genau das stattfinden, was für ihn den Wert des Coworkings ausmacht: eine lockere und flexible Verbindung zwischen Freiberuflern aus den unterschiedlichsten Branchen. Noch ist das Projekt im Entstehen, aber er hofft, auf der Seite bald alle Coworking-Spaces aufgelistet und miteinander vernetzt zu haben. Neben kleinen Portraits des jeweiligen Arbeitsplatzes mit Angaben über Ort, Preis und Besonderheiten, sollen sich bald auch alle Benutzer einloggen können, so dass jeder weiß, wer gerade woran arbeitet. Und wo vielleicht noch ein kreativer Kopf gebraucht wird.

© SZ vom 17.10.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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