Annette Schavan im Gespräch:Ein Land, viele Abschlüsse, kaum Vergleichbarkeit

"Niemand versteht, warum Bund und Länder in zentralen Fragen der Bildungspolitik nicht zusammenarbeiten dürfen": Bildungsministerin Annette Schavan fordert einheitliche Bildungsstandards für deutsche Schulen. Lehrer und Schüler sollen endlich problemlos in ein anderes Bundesland umziehen können. Damit das gelingt, will sie das Grundgesetz ändern.

Stefan Braun und Tanjev Schultz

Die Schulpolitik ist seit vielen Jahren eine Baustelle, auch in der CDU. Bildungsministerin Annette Schavan will das ändern und kämpft für ein Ende des Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern. Dieses Verbot habe sich nicht bewährt, sagt sie im Gespräch mit der SZ.

Annette Schavan im Gespräch: Kooperation ist untersagt, eine gemeinsame Strategie gibt es nicht: CDU-Ministerin Annette Schavan will, dass Bund und Länder in der Bildungspolitik wieder stärker zusammenarbeiten dürfen.

Kooperation ist untersagt, eine gemeinsame Strategie gibt es nicht: CDU-Ministerin Annette Schavan will, dass Bund und Länder in der Bildungspolitik wieder stärker zusammenarbeiten dürfen.

(Foto: AP)

SZ: Die große Mehrheit der Bürger ärgert sich über den schulpolitischen Flickenteppich in Deutschland. Wann hört die CDU auf diese Menschen?

Annette Schavan: Die Gespräche zeigen, dass diese Debatte in der CDU heftig geführt wird. Wir wollen die föderale Ordnung weiter entwickeln, und die Bürger haben recht, wenn sie das von uns erwarten. Der Wunsch nach Mobilität ist doch plausibel. Wir brauchen mehr Vergleichbarkeit. Das gilt für die Bildungspläne, die Bildungsstandards, die Abschlüsse - um Beispiele zu nennen.

SZ: Wie wollen Sie das schaffen? Bislang haben Sie als Bundesministerin in der Schulpolitik nichts zu sagen. Sie dürfen sich nicht mal finanziell engagieren.

Schavan: Das Kooperationsverbot hat sich nicht bewährt. Niemand versteht, warum Bund und Länder in zentralen Fragen der Bildungspolitik nicht zusammenarbeiten dürfen. Das sagen auch viele, die die Föderalismusreform unterstützt haben. Wir haben die Ziele nicht erreicht, die wir anstrebten. Wir haben keine bessere Koordination der 16 Länder, es gibt keine gemeinsame Strategie, um das Bildungssystem zu verbessern.

SZ: Und was kommt stattdessen?

Schavan: Bei Projekten, die alle wichtig finden, zum Beispiel eine bessere Lehrerausbildung, müssen wir kooperieren. Wenn wir als CDU so etwas für richtig halten, müssen wir es als Bund und Länder gemeinsam machen. Fesseln, die das verhindern, müssen wir abstreifen.

SZ: Per Grundgesetzänderung?

Schavan: Ja genau, die streben wir an.

Frust bei Schülern, Eltern und Lehrern

SZ: Zum Frust der Menschen gehört auch, dass Lehrer und Schüler nach wie vor nur unter Überwindung größter Hürden von einem Bundesland ins andere umziehen können. Dagegen hilft eine Grundgesetzänderung wenig.

Schavan: Es kann nicht sein, dass der Wechsel eines Lehrers von Ulm nach Neu-Ulm kaum möglich ist. Dieses Problem muss gelöst werden. Dazu halte ich die Idee einer Exzellenzinitiative zur Lehrerausbildung für ausgezeichnet und trage den Vorschlag aus Sachsen entschieden mit. Und ich bin dafür, dass wir die Ausbildung von Pädagogen für frühkindliche Bildung professionalisieren. Beides sind Beispiele für eine sinnvolle Zusammenarbeit, weil sie offensichtlich von bundespolitischer Bedeutung sind. Gerade bei der Lehrerausbildung brauchen wir Konzepte, die überall anerkannt sind und so die Mobilität der Lehrer erhöhen. Ein Exzellenzwettbewerb würde helfen, die besten Konzepte zu finden, um Lehrer optimal auf ihren Beruf vorzubereiten. Ihre Ausbildung fristet an vielen Universitäten ein Schattendasein. Das darf so nicht bleiben.

SZ: Das wollen Sie mit einer CDU hinbekommen, die seit Jahrzehnten die Trennung zwischen Bund und Ländern wie eine Monstranz vor sich her getragen hat.

Schavan: Alle Vergleichsstudien zeigen, dass unionsregierte Bundesländer die deutlich besseren Ergebnisse erzielen. Die CDU ist die prägende bildungspolitische Kraft in Deutschland. Darauf können wir stolz sein. Und deshalb können wir selbstbewusst die notwendigen Veränderungen angehen.

SZ: Das ist nur die halbe Wahrheit. Richtig ist, dass die CDU Landtagswahlen verloren hat, weil die Menschen mit der Bildungspolitik unglücklich waren.

Schavan: Die Behauptung, dass man mit Bildungspolitik Wahlen verlieren, aber nicht auch gewinnen könne, ist aus meiner Sicht falsch. Ich habe aus meiner Zeit als Kultusministerin ganz andere Erfahrungen. Bildungspolitik muss wieder an Selbstbewusstsein gewinnen. In dieser Gesellschaft gehören die Fragen "Wie lernen unsere Kinder? Was lernen unsere Kinder?" zum Herzstück der Gesellschaftspolitik. Das müssen wir uns in der CDU wieder voll bewusst machen.

SZ: Viele Ministerpräsidenten befürchten bis heute, dass sie mit einem Ende des Kooperationsverbots nur noch für die Polizei zuständig bleiben.

Schavan: Das Argument ist ein Kurzschluss. Die föderale Ordnung ist Teil des Grundgesetzes, mit Ewigkeitsgarantie. Selbstbewusstsein in dieser Ordnung braucht kein Kooperationsverbot. Es muss klar sein, dass jede Ebene ihre Verantwortung weiter wahrnimmt. Und das bedeutet: Die Bildungspolitik wird das Herzstück der Landespolitik bleiben.

"Alle sollen mitmachen"

SZ: Was soll das heißen?

Schavan: Dass mit der Änderung nicht die Verantwortung für alle Schulen in Deutschland nach Berlin geht. Dann hätten wir nach einem halben Jahr das gleiche Chaos. Wir brauchen eine Kooperationskultur, kein Kooperationsverbot.

SZ: Wollen Sie den Schulfrieden von oben verordnen?

Schavan: Nein. Aber es kann nicht sein, dass bei immer weniger Schülern immer mehr Schultypen entstehen. Deshalb diskutieren wir in der CDU den Weg zur Zweigliedrigkeit, wie er sich in Ostdeutschland bewährt hat und wie er jetzt in Niedersachsen eingeführt wird: mit dem Gymnasium und der Oberschule.

SZ: Die CSU macht da nicht mit.

Schavan: Wir machen erst mal das Programm für die CDU. Aber am Ende sollten alle mitmachen. Die 16 Länder sollten sich auf die Grundstruktur des Schulsystems verständigen.

SZ: Das hat die Kulturministerkonferenz KMK jahrzehntelang nicht geschafft. Muss sie nicht weg?

Schavan: Die KMK wird gebraucht, um die Politik der Länder zu koordinieren. In unserer Partei diskutieren wir daneben über die Einrichtung eines Bildungsrates. Diese Idee finde ich gut. Den Bildungsrat könnte man beim Bundespräsidenten ansiedeln, analog zum Wissenschaftsrat. Dem Rat würden in einer Kammer Minister von Bund und Ländern angehören, in einer anderen Kammer Bildungsexperten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. In Kanada hat sich das bewährt. Dann reden nicht immer die Gleichen über ihre gleichen Lieblingsthemen.

SZ: An wen denken Sie stattdessen?

Schavan: Zum Beispiel an einen Hirnforscher wie Gerhard Roth, der gerade eine wichtige Studie zum Lernen vorgestellt hat. Ich denke an Experten, deren Urteil Gewicht hat. Und an internationale Wissenschaftler, die einen interessanten Blick von außen einbringen.

Viele Worte, wenig Taten

SZ: Noch ein Gremium für viele Worte und wenig Taten?

Schavan: Es geht um ein hochkarätiges Gremium, das politische Entscheidungen nicht ersetzen soll, aber große Autorität genießt. Der Wissenschaftsrat hat mit seinen Empfehlungen unser Wissenschaftssystem entscheidend vorangebracht. Der Bildungsrat könnte mit Autorität Empfehlungen zur wichtigsten Zukunftsfrage unserer Gesellschaft geben.

SZ: Die Bürger warten nicht auf einen Rat, sondern auf ein besseres Schulsystem. Es gibt ja noch nicht mal ein bundesweites Zentralabitur.

Schavan: Die Bürger erwarten zu Recht, dass die Abschlüsse vergleichbar sind. Wie das heißt, ob Zentralabitur oder Deutschlandabitur, ist mir egal. Entscheidend ist: Es muss einen gemeinsamen Aufgaben-Pool aller Länder geben, fürs Abitur und andere Abschlüsse.

SZ: Das Problem sind nicht allein die Prüfungen, sondern die vielen unterschiedlichen Lehrpläne.

Schavan: Der Bildungsrat könnte auch dabei hilfreich sein. Er sollte sich der Frage annehmen, welche Lerninhalte heute wirklich wichtig sind. Die zentrale Reform unseres Bildungssystems ist die der Lerninhalte und der Lernkultur.

SZ: Sie kritisieren die Auswüchse des Föderalismus. Vor fünf Jahren haben Sie diese mitgetragen. Haben Sie sich geirrt?

Schavan: Ich habe damals gesagt: Das Kooperationsverbot ist nicht nötig. Aber ich habe es für unschädlicher gehalten, als es ist. Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern darf nicht länger blockiert werden.

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