Ernährung:Öko-Fundis halten Milch für schädlich

Mit erstaunlicher Geschwindigkeit breitet sich derzeit eine Art Verschwörungstheorie gegen die Milch aus: Angeblich verschleimt sie den Körper. Dabei ist sie gerade für Kinder ein wichtiger Lieferant von Eiweiß und Kalzium.

Christina Berndt

In Zeiten, in denen jeder alles wissen kann, sind Verschwörungstheorien besonders attraktiv. Wer böse Kartelle, hinterlistige Allianzen und unmoralische Interessen durchschaut, fühlt sich besser als der Rest der Menschheit, der tumb glaubt, was er liest.

Steigende Preise bei Milch

Gerüchte über Milch machen die Runde. Aber sie sind falsch.

(Foto: dpa)

Aber auch unter den Verschwörungstheorien sind nicht alle gleich viel wert. Besonderen Reiz haben jene, die das in Frage stellen, was bislang jeder für eine Binsenweisheit hielt. Und von dieser Art anti-fundamentalistischer Überzeugungen greift eine derzeit mit erstaunlicher Geschwindigkeit um sich. Die von der gefährlichen Milch.

"Gib deinem Kind bloß keine Milch zu trinken!", "Milch verschleimt den Körper!", "Sie ist nur was für Kälber", rufen nicht nur Veganer, sondern auch ganz gewöhnliche Mütter und engagierte Öko-Aktivisten einander zu. Und man muss nicht lange suchen, um welche zu finden, die erzählen, dass es ihnen viel besser gehe, seit sie das Teufelszeug aus dem Kuheuter nicht mehr konsumieren.

"Sechs bis sieben Erkältungen pro Jahr gelten bei Kindern als völlig normal", schreibt eine von ihnen in einem Internetforum. "Keiner fragt sich, warum." Dabei müssten diese ständigen Infekte gar nicht sein, wenn Eltern ihre lieben Kleinen nur nicht mit Milch verseuchen würden.

Die Angst der Eltern vor der Milch weiß die Lebensmittelindustrie bereits zu nutzen. Ihre "Kindermilch", "Kleinkindmilch" oder "Juniormilch" sei verträglicher als Kuhmilch, wirbt sie. Diese Produkte sind, ähnlich wie das Milchpulver für ältere Babys, Mischungen aus Eiweiß, Stärke und Zuckern, häufig werden Vitamine und Spurenelemente zugesetzt.

Spezielle Milchgetränke für die Ernährung von Kleinkindern seien aber "grundsätzlich nicht notwendig", meldete soeben die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Vielmehr sei "Kuhmilch ein wertvolles Lebensmittel für Kleinkinder", die täglich etwa einen Drittel Liter davon trinken sollten.

Zweifelsohne ist Milch für manche Menschen tatsächlich ungesund. Etwa 15 Prozent der Deutschen sind Lactose-intolerant; ihnen fehlt ein Enzym, das den Milchzucker spaltet, deshalb können sie Milch in größeren Mengen nicht verdauen. Jeder zweite Betroffene kommt damit gut klar, die übrigen bekommen Bauchkrämpfe oder Blähungen, wenn sie zu viel Milch zu sich nehmen.

Alle anderen Menschen aber müssen Milch nicht fürchten. Die Attacken auf den Eutersaft seien haltlos, sagt Mathilde Kersting vom Forschungsinstitut für Kinderernährung. Milch sei vor allem für Kinder unersetzlich - als Eiweißlieferant, als Kalziumquelle und auch für die Jodversorgung. "Fleisch kann man weglassen, sofern man für Ersatz sorgt", sagt die Ernährungswissenschaftlerin. "Aber wenn die Milch wegfällt, wird es kritisch."

Knochen und Zähne der Kinder würden beeinträchtigt. "Pflanzliches Eiweiß ist nun einmal nicht so wertvoll", erläutert Kersting. "Um die Milch zu ersetzen, müsste man völlig unrealistische Kombinationen essen, zum Beispiel Getreide mit Hülsenfrüchten."

Die Milch-Verleumder verweisen gerne auf schmackhaft klingende Alternativen wie Getreide-, Soja- oder Mandelmilch. "Die haben aber mit Milch gar nichts zu tun", sagt Kersting. Sie seien kein Ersatz, sondern eine Mischung der jeweiligen Feldfrucht mit Wasser. "Deren Gehalt an Eiweiß und Kalzium ist vernachlässigbar."

Die gesamte Fachwelt singt ihr Loblied auf die Milch in Harmonie. Es sei allein zu bedenken, dass Milch wegen ihres hohen Kaloriengehaltes nicht einfach ein Getränk, sondern ein Nahrungsmittel sei, betont das Bundesforschungsinstitut für Ernährung. Übergewichtige Kinder sollten deshalb besser fettarme Milch trinken.

Nach den neuesten Empfehlungen zur Säuglingsernährung ist Kuhmilch nicht einmal mehr für Babys perdu: Schon mit fünf Monaten dürfen sie sie zu sich nehmen. "Die Sorge, Milch wirke allergiefördernd, hat sich gelegt", sagt Berthold Koletzko vom Hauner'schen Kinderspital in München. "Das Gegenteil scheint der Fall zu sein."

Notfalls sollten Eltern auch mit Tricks nachhelfen, wenn Kinder Milch nicht pur mögen, empfiehlt die Ernährungswissenschaftlerin Brigitta Tummel für den Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte. "Milchprodukte lassen sich auch verstecken, in Cremesuppen zum Beispiel, Kartoffelpüree oder Pudding", so Tummel. Auch sei gesüßter Kakao in jedem Fall besser als keine Milch.

Halten lässt sich nicht einmal das Anti-Milch-Dogma bei Schnupfen. "Die Vorstellung, dass Milch bei Atemwegsinfekten nicht getrunken werden sollte, weil sie zu Schleimbildung führt, ist irrtümlicherweise weit verbreitet", sagt Tummel. Sie hat eine Erklärung für das hartnäckige Gerücht: Die im Milchzucker enthaltene Galaktose heißt im Volksmund Schleimzucker. Der Name besage aber nur, dass Galaktose leicht abgewandelt auch im Nasenschleim enthalten ist.

Eine andere Erklärung führt die Vorstellung von der schleimenden Milch auf die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) zurück. Nach deren Lehre soll keine Milch trinken, wer "zu viel Feuchtigkeit im Körper" habe, weil Milch noch zusätzlich befeuchtend wirke.

Gleichwohl haben die Chinesen Milch auch als Heilmittel eingesetzt - etwa bei Verdauungsstörungen, trockener Haut oder Diabetes, sagt Felix Iten, der am Universitätsspital Zürich über TCM geforscht hat. "Studien konnten keinen Einfluss der Milch auf die Schleimproduktion nachweisen", sagt er. So haben australische Forscher Gesunde und Verschnupfte Milch oder Sojamilch trinken lassen. Einen erhöhten Verschleimungsgrad nach Kuhmilch stellten sie nicht fest.

Ob es nur der Schwenk hin zu Cola und Limo ist oder doch schon die Auswirkungen der Verschwörungstheorien: Kinder und Jugendliche in Deutschland nehmen im Mittel nicht einmal die Hälfte der empfohlenen Menge an Milch zu sich. Wenn ihre Knochen im Alter zu früh nachgeben, ist das jedenfalls keines der allseits befürchteten "Verbrechen der Milchindustrie".

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