Psychologie zur Frage der Steuermoral:"Niemand hat jemals genug"

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Uli Hoeneß ist reich und hat trotzdem Steuern hinterzogen. Warum? Mit dieser Frage beschäftigt sich Steuerpsychologe Stephan Mühlbacher von der Sigmund-Freud-Privatuniversität in Wien. Im Gespräch mit SZ.de spricht er über den sportlichen Reiz, möglichst wenig Steuern zu zahlen und was zumindest ansatzweise hilft, Steuerhinterziehung zu unterbinden.

Von Hannes Vollmuth und Philipp Woldin

Jahr für Jahr tricksen, schummeln und betrügen die Deutschen bei der Steuererklärung - und dem Fiskus entsteht ein Milliarden-Schaden. Jetzt will auch die EU härter gegen Steuerbetrug vorgehen und Schlupflöcher schließen. Der grenzüberschreitende Datenaustausch über Einkünfte von ausländischen EU-Bürgern soll noch in diesem Jahr beschlossen werden. Doch Stephan Mühlbacher, 36, Steuerpsychologe an der Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien, sagt: "Steuerhinterziehung wird es immer geben." Besser als zu kontrollieren und zu strafen wäre es, wenn der Staat den Bürgern erklären würde, wofür das Geld ausgegeben wird.

Süddeutsche.de: Warum hinterziehen Menschen Steuern?

Mühlbacher: Um Geld zu sparen. Wir unterscheiden in der Psychologie verschiedene Typen: Eine Gruppe zahlt nur, weil sie sich gezwungen fühlt. Eine deutlich größere Gruppe versteht zwar den Sinn von Steuern. Aber diese Gruppe reagiert empfindlich bei Gerechtigkeits- und Fairnessfragen. Wenn, wie im Fall Hoeneß, bekannte Persönlichkeiten als Steuerhinterzieher geoutet werden, fühlen sie sich betrogen. Die Steuermoral sinkt. Dann gibt es Menschen, die sehen das Ganze als Spiel. Denen macht es fast Spaß, mit ihrem Steuerberater die Lücken im Steuergesetz auszureizen. Es gibt also insgesamt drei Typen: Die Geldsparer, die Zweiten, die ein Ungerechtigkeitsbewusstsein empfinden und die Dritten, die es als Sport sehen.

Wohlhabende Steuerhinterzieher wie Uli Hoeneß riskieren hohe Haftstrafen und soziale Ächtung. Dabei sind sie doch schon reich.

In dem Fall ging es ja darum, dass Hoeneß Wasser predigte und Wein getrunken hat. Die moralischen Ansprüche an ihn konnte er nicht erfüllen. Allgemein wird Geld horten oft zum Selbstzweck. Niemand hat jemals genug.

Ist Steuerhinterziehung also eher ein Reichensport?

Nicht nur. Die Steuerhinterziehung geschieht am armen und reichen Ende der Gesellschaft. Entweder man ist so arm, dass man den Druck hat, Steuern zu hinterziehen. Der Geringverdiener hinterzieht zum Beispiel durch Schwarzarbeit. Oder man kann sich die Strafe locker leisten. Deswegen sind die aktuellen Geldstrafen für Superreiche auch kein großes Problem. Das zahlt man eben. Offizielle Ächtungen wie bei Uli Hoeneß sind da oft die wirksameren Strafen.

Bisher galt Steuerhinterziehung als Kavaliersdelikt. Jetzt will auch die EU Steuerschlupflöcher stopfen. Ändert sich gerade der gesellschaftliche Blick auf Steuerhinterziehung?

Durch die Krise sind die Staaten unter Druck, die Budgetlöcher zu stopfen. Deshalb kommt man auf die Idee, das Delikt Steuerhinterziehung mehr stärker zu ächten. Bisher wurde sie als Kavaliersdelikt angesehen. In der Wahrnehmung ist das irgendwo zwischen Ladendiebstahl und Fahrradklau angesiedelt. Der volkswirtschaftliche Schaden ist aber bedeutend höher. Die derzeitige Veränderung ist finanziell motiviert und nicht moralisch.

Wie schlägt sich Deutschland bei der Steuermoral im internationalen Vergleich?

Deutschland rangiert nur im Mittelfeld, besonders gerne zahlen Österreicher und Schweizer ihre Steuern. Das liegt auch an der Größe der Länder. Die Forschung weiß: Je kleiner ein Land, desto eher versteht der Bürger, wofür die Steuern verwendet werden. Ganz im Gegensatz zu Italien. Dort wird man fast ausgelacht, wenn man Steuern zahlt. Da gehört es zum guten Ton, den Staat zu betrügen.

8000 reiche Franzosen mussten im vergangenen Jahr eine Vermögensteuer zahlen, die bei mehr als 100 Prozent ihres Einkommens liegt. Wo liegt die Schmerzgrenze?

Es gibt keine. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und gewöhnt sich an alles. In Schweden zahlen die Menschen weit über 50 Prozent Einkommensteuer. Wenn aber die Steuern erhöht werden, steigt der Betrug.

Kann man Steuerhinterziehung dauerhaft unterbinden?

Nein, man muss mit diesem Problem leben. In jeder U-Bahn sitzen Schwarzfahrer, das ist einfach so. Strafen und Kontrollen können da nichts ändern. Es gibt auch Menschen, die aus Versehen Steuern hinterziehen: Sie wissen nicht, dass sie zahlen müssen.

Wie könnte sich die Steuermoral verbessern?

Der klassische Ansatz heißt: Abschreckung, Kontrolle und Strafen. Das ist notwendig und das Einfachste, was der Staat machen kann. Aber auch diese Maßnahmen werden das Problem nicht lösen. Manche Staaten versuchen jetzt, Vertrauen zu schaffen: Man könnte den Menschen besser erklären, wofür ihre Steuergelder verwendet werden. Das würde schon helfen.

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