Dramatischer EZB-Monatsbericht für Mai:Kurz vor der Apokalypse

Der neue Monatsbericht der Europäischen Zentralbank lehrt seine Leser das Fürchten: Das Finanzsystem war Anfang Mai noch mehr bedroht als nach der Lehman-Pleite.

Helga Einecke und Martin Hesse

Anfang Mai drohte das Finanzsystem zu kippen. Die Lage war sogar ernster als nach dem Zusammenbruch der US-Bank Lehman im Herbst 2008, geht aus Schilderungen der Europäischen Zentralbank hervor. Zwei oder mehr große Euro-Banken seien akut vom Zahlungsausfall bedroht gewesen.

Alan Solomon, Greg Maloney

Ernste Gesichter von Händlern an der Wall Street: Die Ursachen für den Einbruch am 6. Mai werden immer noch untersucht. An diesem Tag griffen die Bedenken, die bereits gegen griechische Staatsanleihen bestanden, plötzlich auf alle Finanzmärkte über.

(Foto: ap)

Die EZB beschreibt die dramatischen Ereignisse vor dem zweiten Mai-Wochenende in ihrem neuen Monatsbericht. Mit großer Geschwindigkeit habe ein Vertrauensverlust um sich gegriffen. Die Finanzinvestoren seien plötzlich massiv in sichere Anlagen geflüchtet. Die EZB misst einen möglichen Systemausfall an Absicherungen gegen Kreditrisiken von 25 europäischen Bankinstituten. Der entsprechende Indikator schnellte am 7. Mai in die Höhe und überschritt den Wert, der nach dem Zusammenbruch der US-Bank Lehman Brothers im Herbst 2008 beobachtet wurde.

Laut EZB "stieg die Wahrscheinlichkeit eines gleichzeitigen Zahlungsausfalls von zwei oder mehr großen und komplexen Bankengruppen des Eurogebiets sprunghaft an." Namen nannte die Notenbank nicht, sie gab auch keine Hinweise, ob es sich um Geldinstitute handelte, die besonders hohe Kredite an Länder aus dem Mittelmeer-Raum ausgelegt hatten.

Spekulationen über Umschuldung in Griechenland

Analysten halten es für wahrscheinlich, dass vor allem solche Banken in den Mai-Wochen Probleme hatten, sich bei anderen Kreditinstituten Geld zu leihen. "Damals wurde darüber spekuliert, ob es in Griechenland zu einer Umschuldung kommt. Das hätte für Eurobanken Zahlungsausfälle im zweistelligen Millionenbereich bedeuten können", sagt Wolfgang Klopfer, Kreditexperte bei der Analysefirma Assenagon.

Zu den Banken mit besonders hohen Beständen an Staatsanleihen Griechenlands und anderer hoch verschuldeter Euro-Länder zählen unter anderem die deutsche Hypo Real Estate, aber auch französische Banken.

Bedenken griffen plötzlich über

Den ersten Schlag erhielt das weltweite Finanzsystem bereits am 6. Mai, als die Kurse der amerikanischen Börse plötzlich einbrachen. Die Ursache für diesen Einbruch würden noch immer untersucht. An diesem Tag griffen die Bedenken, die bereits gegen griechische Staatsanleihen bestanden, plötzlich auf alle Finanzmärkte über.

Dramatischer EZB-Monatsbericht für Mai: Ängstliche Bankkunden stehen an, um ihre Konten zu plündern. Für die Fieberkurve des Systemrisikos bitte auf das Foto klicken.

Ängstliche Bankkunden stehen an, um ihre Konten zu plündern. Für die Fieberkurve des Systemrisikos bitte auf das Foto klicken.

(Foto: online.sdeauto)

Staatsfinanzierung durch die Hintertür

Im Eurogebiet weiteten sich die Abstände der Renditen griechischer Staatsanleihen zur deutschen Bundesanleihe beträchtlich aus. Am Markt wurde die Ansteckungsgefahr für Portugal und Irland sowie Spanien und Italien diskutiert. Angebot und Nachfrage bei den Anleihen mehrerer Euroländer gerieten ins Stocken, für Griechenland versiegte die Liquidität vollständig. Zugleich registrierte die EZB eine Störung des Marktes, an dem sich Banken untereinander versorgen.

Die Folgen des Beinahe-Kollapses sind bekannt. Am Wochenende des 8. und 9. Mai schnürten die europäischen Staats- und Regierungschefs ein riesiges Rettungspaket für den Euro-Raum im Umfang von 750 Milliarden Euro. Zuvor hatte ihnen EZB-Präsident Jean-Claude Trichet die dramatische Lage geschildert, wie sie nun im Monatsbericht veröffentlicht wird.

Die EZB selbst begegnete dem dramatischen Stillstand mit einem Tabubruch. Sie kauft seit diesem Wochenende Staatsanleihen, was selbst in ihren eigenen Reihen umstritten ist. 47 Milliarden Euro hat sie seither in ihre Bücher genommen, vor allem Schuldtitel aus Griechenland, Irland und Portugal. Die Käufe sind umstritten, weil es sich um eine Staatsfinanzierung durch die Hintertür handelt. Die EZB hat noch kein Limit für diese Käufe genannt.

Böse Überraschungen griffen plötzlich über

Die Märkte haben all diese Maßnahmen jedoch nur teilweise beruhigt. Das Misstrauen der Banken hat sich sechs Wochen nach dem Beinahe-Kollaps sogar noch gesteigert. In zunehmendem Maß legen die Geldinstitute ihre Euros bei der EZB an, weil sich am sichersten ist, aber kaum Zinsen bringt. EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark sagte im Gespräch mit der Wochenzeitung Die Zeit: "Wir haben erneut eine Situation, in der sich die Banken untereinander nicht vertrauen. Sie deponieren überschüssige Liquidität eher bei uns, statt sie an andere Banken weiterzugeben."

Der Bericht der EBZ über die Ereignisse kommt in einem Moment, da die EU-Staaten über die Offenlegung der Ergebnisse von Stresstests diskutieren. Diese Tests, die von dem Verbund der europäischen Aufsichtsbehörden CEBS durchgeführt werden, sollen Hinweise geben, inwieweit Banken gegen neue Finanzmarktturbulenzen gewappnet sind. Bundesregierung und Bundesbank haben sich für eine Offenlegung der Tests ausgesprochen. Es gibt jedoch auch Stimmen in Bankenkreisen, die für deutsche Banken böse Überraschungen im Falle einer Veröffentlichung befürchten.

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