Die großen Erbfälle:Der Held und sein Geld

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Alles für das Volk, nichts für die Frau: Der US-Präsident Abraham Lincoln vermachte seiner Nation Werte, die das Land bis heute prägen. Seine Frau aber endete hoch verschuldet.

Moritz Koch

Keiner kann ihnen den Vorwurf machen, sie seien anspruchslos gewesen. Die Amerikaner hatten das Anforderungsprofil für ihren 44. Präsidenten ziemlich genau umrissen. Einen Versöhner nach Jahren der Spaltung wünschten sie sich, einen Sinnstifter in Zeiten der Krise.

Heute sind Scheine mit seinem Antlitz in vielen Geldbeuteln. Der Geldbeutel seiner Witwe war jedoch leer. (Foto: AP)

Und als habe Barack Obama die immensen Erwartungen noch steigern wollen, ließ er nach seinem Wahlsieg dieses Foto von sich machen. Es war schon eine Weile dunkel an jenem Abend im November 2008, Obama trug eine braune Jacke und unterm Arm ein Buch. Titel und Autor waren gut zu erkennen. "Lincoln: Die Biographie eines Schreibers" von Fred Kaplan.

Zufall? Wohl kaum.

Schon zwei Wochen zuvor hatte Obama auf die Frage, was er lese, geantwortet: "Ich habe einige von Lincolns Texten erneut gelesen, sie sind immer eine außergewöhnliche Inspiration." Noch vor seinem Amtsantritt also war klar, welches politische Erbe Barack Obama antreten würde. Und auf einmal erkannten die Kommentatoren die Gemeinsamkeiten, die Obama mit seinem historischen Vorbild verbanden.

Nicht nur die politische Heimat in Illinois, die hagere Gestalt, die Herkunft aus einfachen Verhältnissen, auch die begnadete Redekunst, die unbändige Wissbegier und die Kandidatur als Außenseiter. Was Obama wollte, war klar: der Abraham Lincoln seiner Generation werden. Er hätte keinen höheren Anspruch an sich selbst stellen können.

Das Vermächtnis des "ehrlichen Abe", wie Lincoln genannt wurde, ist ein kultureller Schatz. Die moralische Größe, die Lincoln mit seinem Eintritt gegen die Sklaverei bewies, und die Entschlossenheit, mit der er die Einheit der Nation verteidigte, bewundern die Amerikaner noch heute.

Auch eineinhalb Jahrhunderte nach seinem Tod zehrt die Nation von seinen Schriften und erhofft sich Einsichten, die helfen, die gewaltigen Herausforderungen der Gegenwart zu meistern, den schleichenden Verfall der globalen amerikanischen Dominanz, die Krise des "American Way of Life".

Im Schatten des Gedenkens weitgehend in Vergessenheit geraten ist dagegen Lincolns materielles Erbe. Wohl auch deshalb, weil dieser Aspekt seines Nachlasses alles andere als vorbildlich geregelt war.

Lincoln hatte bis zu seinem Tod kein Testament verfasst. Als er am 14. April 1865, jenem Schicksalstag der amerikanischen Geschichte, dem Kopfschuss des Attentäters John Wilkes Booth zu Opfer fiel und am Tag darauf starb, versank das Land in Trauer - und seine Witwe in finanzielle Not.

Ohne einen schriftlich fixierten letzten Willen musste Mary Todd zweieinhalb Jahre auf die Auszahlung ihres Erbanteils warten. In der Zwischenzeit musste sie mit 130 Dollar monatlich auskommen; das war alles, was ihr der gerichtlich bestellte Testamentsvollstrecker zugestand und natürlich viel zu wenig für die Dame aus gutem Hause. Anders als ihr Ehemann, der in einer winzigen Blockhütte an der Grenze zur Wildnis aufwuchs, stammte Mary Todd aus gediegenen Verhältnissen.

Bald war Lincolns Witwe so sehr verschuldet, dass sie Schmuckstücke und ihre Garderobe verscherbeln musste, um die Kredite zu bedienen. Das Aufsehen, das der Verkauf erregte, war ebenso groß wie die Schmach, die die Präsidentengattin dabei erlitt.

Als die bescheidene Erbmasse schließlich ausgezahlt wurde, ging sie zu je einem Drittel an Mary Todd, ihren ältesten Sohn Robert und ihren jüngsten Sohn Tad. Mary ließ ihre politischen Kontakte spielen, und erreichte, dass ihr der Kongress zusätzlich eine Witwenrente bewilligte, wie sie bis dahin eigentlich nur für die Hinterbliebenen von gefallenen Soldaten üblich war.

Abraham Lincoln versäumte die Aufsetzung eines Testaments wider besseres Wissen. Bevor er Politiker wurde, hatte er in Illinois als Anwalt gearbeitet. Das Erbrecht kannte er genau. Hunderte Erbschaftsfälle hatte er selbst behandelt. Auch wusste Lincoln, dass er gefährdet war. Der Sieg über die Südstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg hatte tiefe Wunden und hasserfüllte Männer hinterlassen. Der Präsident war also ein logisches Ziel.

Ohnehin war der Tod für Lincoln kein fremder Gedanke. Er litt unter schweren Depressionen, schon als junger Mann hegte er Selbstmordgedanken. Schicksalsschläge verstärkten seine Schwermut. Der Tod seiner ersten großen Liebe Ann Rutledge, der frühe Tod seines Sohns Willie. In Schüben überkam und lähmte ihn der Kummer.

Der überlebensgroße Nationalheld, zu dem Amerika Lincoln gemacht hat, war Zeit seines Lebens ein tief trauriger Mensch. "Er triefte vor Melancholie", sagte einmal sein Anwaltspartner William Herndon.

Aber Lincolns Willenskraft war genug, um der düsteren Gedanken immer wieder Herr zu werden. Hoch intelligent und humorvoll, liebte er es, Geschichten zu erzählen. Er brauchte das Lachen, sagte er selbst, um seine Sorgen zu vertreiben.

Damit machte er seine politische Karriere überhaupt erst möglich und wandelte sich zu jenem Politiker, den Barack Obama in seinem Bestseller "The Audacity of Hope" voller Bewunderung beschreibt: "Ein Mann tiefer und unverrückbarer Überzeugungen" sei Lincoln gewesen. Ausgestattet mit einem feinen Gespür für das Mögliche und die Funktionsmechanismen der amerikanischen Demokratie.

Zwei Jahre ist Barack Obama nun im Amt. Die Erwartungen, die er vor seiner Wahl weckte und unmittelbar danach noch verstärkte, konnte er in dieser Zeit noch nicht erfüllen. Das Land ist gespalten und verunsichert, fast genauso wie zum Beginn seiner Präsidentschaft.

Dennoch kann Obama noch als großer Präsident in die Geschichte eingehen, vielleicht sogar als würdiger Erbe Lincolns. Bekanntermaßen war auch der "ehrliche Abe" in weiten Teilen des Landes verhasst, so sehr, dass allein seine Wahl die Austrittswelle der Südstaaten auslöste, die Amerika spaltete und in den Bürgerkrieg trieb.

Es ist gut möglich, dass Obama in den kommenden Wochen eine freie Minute nutzen wird, um einen Blick auf das wohl wertvollste Erbstück aus Lincolns Nachlass zu werfen. In einer Vitrine im Lincoln Room des Weißen Hauses wird ein Manuskript der Gettysburg Address aufbewahrt, jene Rede, mit der sich Lincoln nach der blutigsten Schlacht des Krieges an die Amerikaner wandte - und zwar alle Amerikaner, nicht nur die Bürger des Nordens - und in der er die berühmte Formulierung der "Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk" prägte.

2011 ist ein Jahr des Gedenkens. Im April nähert sich der Beginn des amerikanischen Bürgerkriegs zum 150. Mal. Eine Chance für Barack Obama sich zum Bürgerkrieg, der Einheit der Nation und dem Erbe Lincolns zu äußern - und seinem Vorbild noch näher zu kommen.

© SZ vom 12.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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