Maskulisten:Pöbeln für die Männlichkeit

Maskulisten: Besonders radikale Maskulisten werden schnell ausfällig gegenüber Frauen.

Besonders radikale Maskulisten werden schnell ausfällig gegenüber Frauen.

Maskulisten halten sich für benachteiligt. Besonders der radikale Flügel schreckt bei der Hetze gegen Frauen vor nichts zurück.

Von Simon Hurtz

Im Internet ist Werner Stahl ein Ei. Genauer gesagt: viele bunte Eier. Wer sich bei Twitter anmeldet, ohne ein eigenes Bild hochzuladen, bekommt einen Eierkopf mit farbigem Hintergrund als Nutzerbild verpasst. Werner Stahl hat sich oft bei Twitter angemeldet, immer als Ei. Er will dort nichts Persönliches teilen, der Austausch mit anderen Nutzern ist ihm egal. Er will auf Twitter beschimpfen und beleidigen. Jedes Mal, wenn Twitter deshalb seinen Account löscht, meldet er sich neu an. Werner Stahl ist eine twitternde Eierkopf-Hydra.

"Ich sehe das als Notwehr", sagt der Mann, der in Wirklichkeit anders heißt und in diesem Text Werner Stahl genannt werden will. "Das ist ein starker, ein männlicher Name. Und sonst darf man heute ja nirgendwo mehr richtig Mann sein." Genau dagegen wehrt er sich. Die Gesellschaft sei verweichlicht und verweiblicht, "Schwule, Tunten und Feminazis überall", sagt Stahl.

Männerrechtler halten sich für unterdrückt und unterprivilegiert

Stahl ist ein besonders radikaler Vertreter der selbsternannten Männerrechtler. Sie sind überzeugt, dass die "Diktatur des Genderismus" Männer systematisch unterdrücke. Die Bewegung ist vor knapp 50 Jahren in den USA entstanden, initiiert von Vätern, die sich beim Sorge- und Scheidungsrecht benachteiligt fühlten. In den Siebzigerjahren formierten sich auch in Deutschland Maskulisten. Sie halten Männer für systematisch benachteiligt, bekommen im Gegensatz zu Feministinnen aber kaum öffentliche und mediale Aufmerksamkeit. Deshalb organisieren sie sich vor allem im Internet und tauschen sich in Blogs, Foren und sozialen Netzwerken aus. Insbesondere radikale Männerrechtler verbinden ihre Forderungen häufig mit antifeministischen oder frauenfeindlichen Thesen.

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"Diese Kampflesben hassen alles, was maskulin ist", sagt Stahl. "Echte Kerle mit harten Muskeln und harten Schwänzen. Dabei gehören die doch einfach nur mal richtig durchgefickt." Zumindest oberflächlich sucht man die harten Muskeln an Stahl vergeblich. Der massive Mann erinnert optisch an einen gemütlichen Bären. Doch die scheinbar behäbigen Bären sind gefährliche Jäger - und auch Stahl hat etwas von einem Raubtier. "Manchmal muss man schon etwas deutlicher werden", sagt er. "Sonst kapieren die Geschlitzten das ja nicht."

Nach seiner Scheidung wurde Werner Stahl zum Maskulisten

Wenn sich Stahl in Rage redet, werden Frauen zu "Geschlitzten". Mit "deutlich werden" meint er Fragen wie: "Wann wurdest du eigentlich das letzte Mal hart rangenommen?" Seine Tweets wimmeln vor sexuellen Zoten, seine Sätze ebenso. In jeder "Fotze" schwingt die Wut mit, die Stahl seit zwölf Jahren mit sich herumträgt. Damals ließ sich seine Frau von ihm scheiden, er verlor das Sorgerecht für seine Kinder. Oft sind es solche Erfahrungen, die aus Männern Männerrechtler machen - wobei nicht alle so radikal auftreten wie Stahl.

Er selbst hält seine sexuellen Anspielungen für harmlos: "Das darf man nicht so ernst nehmen. Wer will denn schon mit so einer Männerhasserin ins Bett?" Viele derjenigen, die er so beschimpft, sehen das anders. Etliche Frauen ziehen sich aus dem Internet zurück, weil sie in sozialen Netzwerken, in Kommentaren und per Mail angepöbelt und bedroht werden. Stahl fühlt sich nicht dafür verantwortlich. "Die haben doch ganz andere Probleme", sagt er. "Für die ist das doch nur ein Vorwand, um sich als Opfer aufzuspielen und ein paar Mitleidstränen abzubekommen."

Es gibt auch deutlich gemäßigtere Männerrechtler

Menschen wie Werner Stahl sind ein Grund dafür, dass Maskulismus für viele ein Schimpfwort ist. Das wiederum ärgert Menschen wie Arne Hoffmann. Am Telefon klingt er wie der Gegenentwurf zu Stahl; er wählt seine Worte mit Bedacht, zitiert Wissenschaftler, wirkt besonnen und freundlich. Hoffmann bezeichnet sich selbst als "linksliberalen Männerrechtler" und ist einer der bekanntesten Protagonisten der Bewegung. Von den "Feld-, Wald- und Wiesen-Maskulisten", wie er sie nennt, grenzt sich Hoffmann ab. "Zyniker würden vielleicht sagen: Auch Donald Trump und die AfD sind durch Zuspitzung erfolgreich. Aber diese Pöbeleien, das ist nicht meine Sprache."

Zuerst ist Hoffmann überrascht, dass die SZ ihm zuhören will. Das sei ja "wie Glasnost", nachdem die Leitmedien jahrzehntelang nur mit Feministinnen gesprochen hätten. Dann erklärt er, worum es ihm geht: "Es gibt zwei Themen, die mir persönlich besonders am Herzen liegen: die Benachteiligung von Jungen in der Schule und Männer als Opfer häuslicher Gewalt." Mit seinem Blog Genderama und zahlreichen Büchern mit Titeln wie "Rettet unsere Söhne. Wie den Jungs die Zukunft verbaut wird und was wir dagegen tun können" will Hoffmann zur Stimme der Männer werden, die für ihre Rechte kämpfen.

Für ihn seien Feministinnen nicht der Feind, er komme sogar selbst aus der Szene: "Ich habe eine Geisteswissenschaft studiert, da ist man fast zwangsläufig Feminist", sagt er. "Konfliktgeladen" sei das Verhältnis aber schon. Als Frauen im Zuge der "Aufschrei"-Debatte ihre Erfahrungen mit Sexismus öffentlich machten, sei es ihm und anderen Männerrechtlern "extrem auf die Eier gegangen", dass es "automatisch zur Seite gewischt wurde", wenn sie über weiblichen Sexismus gesprochen hätten.

"Hausmann" - da kommt Werner Stahl das "kalte Kotzen"

"Unsere Bewegung fühlt sich ganz stark ausgegrenzt", sagt Hoffmann. "Bei Geschlechterdebatten sitzen immer nur Feministinnen auf den Podien." Damit hat er recht: Die Männerrechtsbewegung dringt mit ihren politischen Forderungen kaum durch, Gleichstellungsbeauftragte sind fast ausschließlich Frauen, die sich um die Förderung von Frauen kümmern - was auch damit zusammenhängen könnte, dass Wirtschaft, Politik und Gesellschaft in den entscheidenden Funktionen immer noch von Männern dominiert werden.

Es sei eine Tatsache, dass Jungen mittlerweile deutlich schlechtere Bildungschancen hätten, sagt Hoffmann. Mädchen erhielten die besseren Noten und machten häufiger Abitur, auch der Anteil der Studentinnen sei höher. Die anderen Tatsachen - etwa, dass vier von fünf Professuren mit Männern besetzt sind, dass der Männeranteil in den Aufsichtsräten der 200 größten deutschen Unternehmen ebenfalls bei 80 Prozent liegt - lässt Hoffmann nicht gelten. Er sieht darin kein strukturelles Problem, sondern eine logische Konsequenz der Evolution: "Der Partnermarkt begünstigt gut verdienende Männer."

Seinen Maskulismus will Hoffmann nicht als Antifeminismus verstanden wissen. Im Gegenteil, er wünsche sich sogar eine starke Frauenbewegung - solange ihr eine ebenso einflussreiche Männerbewegung gegenüberstehe. "Mein Ziel ist es, dass alle Geschlechterrollen möglich sind. Männer müssen Machos sein dürfen, aber auch Hausmänner. Das ist mein Verständnis von Liberalität."

Echte Kerle, lila Pudel und Fotzenknechte

"Hausmann", bei so einem Wort kommt Werner Stahl "das kalte Kotzen", wie er sagt. Für ihn gibt es drei Arten von Männern: echte Kerle, so wie er selbst einer sei, "lila Pudel", wie die radikalen Männerrechtler Geschlechtsgenossen nennen, die Verständnis für Feminismus erkennen lassen, und "Fotzenknechte", die sich von Frauen auf der Nase herumtanzen ließen.

"Fotzenknecht ist eine pejorative Bezeichnung für einen Mann, der sich radikal dem Willen derjenigen Frau unterordnet, mit der er gerade ein sexuelles Verhältnis pflegt", definiert die Wikimannia den Begriff. Männerrechtler haben die Wikimannia gegründet, um "der feministischen Verzerrung entgegenzuwirken, welche die Gesellschaft mit einem Weltbild durchsäuert, in dem es nur weibliche Opfer und männliche Täter gibt". Die Wikipedia dulde linksextreme Nutzer und diffamiere alle Nichtlinken, außerdem sei sie von Feministinnen unterwandert. Demgegenüber bilde die Wikimannia "die Antithese zur feministischen Opfer- und Hassideologie".

Tatsächlich beklagen sich viele Frauen über den aggressiven und frauenfeindlichen Tonfall in der Wikipedia-Gemeinschaft. Auf sechs Männer, die in Deutschland Wikipedia-Einträge verfassen, kommt Studien zufolge nur eine Frau, andere Erhebungen gehen von einem einstelligen Frauenanteil aus (PDF).

Im "gelben Forum" versammeln sich die radikalen Männerrechtler

Werner Stahl schreibt nicht selbst in der Wikimannia mit. Auch das andere Sammelbecken der radikalen Maskulisten beobachtet er nur passiv. Im "gelben Forum" bestätigen sich Männer in ihrer Überzeugung, von linksradikalen Feminazis unterjocht zu werden. Die Domain WGvdL steht für Wieviel "Gleichberechtigung" verträgt das Land?, die Witze der Nutzer sind nicht nur frauenverachtend, sondern auch rassistisch und schwulenfeindlich. Sie warnen vor "homo-perversen Blockwarten", beschweren sich über "grün-schwule Pädophile" und "gleichgeschaltete Justizverbrecher". Werner Stahl schaut dort jeden Tag vorbei, weil er dort "viele interessante Links findet", die "woanders alle wegzensiert würden".

Wikimannia und WGvdL werden beide von Rainer Hamprecht betrieben, der sich im Impressum als Rainer Luka ausgibt. Als Postanschrift findet man dort jeweils eine Briefkastenfirma in der Türkei, die Domains wurden auf den Seychellen registriert. Auf Anfrage heißt es nur: "Mit der Presse möchten wir nichts zu tun haben."

Hoffmann will mit Typen wie Stahl nichts mehr zu tun haben

Das "gelbe Forum" gibt es seit fast 16 Jahren, einer der Initiatoren war: Arne Hoffmann. Heute hat er sich davon abgewandt. "Wir haben vielleicht punktuell die gleichen Ziele, aber WGvdL vertritt ein Weltbild der Fünfzigerjahre." Außerdem pflegten die radikalen Männerrechtler ihre Abneigung gegen Zuwanderer und Homosexuelle, während sich Hoffmann als Flüchtlingsfreund und Unterstützer von Schwulen, Lesben und Transgender sieht.

Andreas Kemper hält diese Distanzierung für unglaubwürdig. "Hoffmann ist nur dann Antirassist, wenn es sich mit Feminismuskritik verbinden lässt", sagt der Soziologe, der selbst zwei Bücher über die deutsche Männerrechtsbewegung geschrieben hat. Hoffmann habe der rechtskonservativen Jungen Freiheit ein Interview gegeben und bei Eigentümlich frei publiziert, einer Zeitschrift aus dem Umfeld der Neuen Rechten. Ihn scheine es nicht zu stören, dass die Freie Welt seine Texte veröffentlicht. Der Herausgeber der Freien Welt ist der Mann von Beatrix von Storch. "Das ist alles, aber nicht links", sagt Kemper.

Die "SZ" kommt erst zehn Jahre nach der "Jungen Freiheit"

Darauf angesprochen gibt Hoffmann zu, dass das Interview in der Jungen Freiheit ein Fehler gewesen sei. "Das würde ich heute nicht mehr machen. Und seit Eigentümlich frei so auf die Pegida-Linie eingeschwenkt ist, halte ich mich da auch fern", sagt er. Außer den Rechtspopulisten hätte ihm nun mal niemand zugehört, die SZ komme damit erst zehn Jahre später.

Hoffmann ärgert sich über Wikimannia und WGvdL. "Die stellen Extremforderungen, aber sie machen keine echte politische Arbeit." Während er Männerkongresse besuche, auf Podien diskutiere und versuche, seine Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen, lieferten die "radikalen Spinner" den Kritikern der Männerrechtsbewegung regelmäßig Zitate, mit denen diese die ganze Szene diskreditieren könnten. "Damit schaden sie allen gemäßigten Maskulisten. Ich versuche, sie in ihrer Nische vor sich hinpöbeln zu lassen und nicht auf sie zu verlinken. Dann marginalisieren sie sich hoffentlich von selbst."

"Ich bremse auch für Frauen"

Die Abneigung beruht auf Gegenseitigkeit. Das "gelbe Forum" wirft Hoffmann und anderen Gemäßigten vor, mit ihrer politischen Überzeugung die Ziele der Männerrechtler zu sabotieren: "Ein Linker ist ein geistiger Krüppel und als solcher nicht nur vollständig kampfunfähig, sondern auch bestrebt, diese Kampfunfähigkeit auf andere auszudehnen", ist dort zu lesen.

Werner Stahl sieht das ähnlich. Hoffmann ist für ihn "genauso schlimm wie die ganzen Feminazis und dieser Fotzenknecht Kemper". Kurz nachdem er das sagt, steigt er in seinen schwarzen Audi und fährt davon. Neben dem Starnberger Nummernschild steht auf einem roten Aufkleber: "Ich bremse auch für Frauen."

"Wie viel Gleichberechtigung brauchen wir noch?" Diese Frage hat unsere Leser in der achten Runde unseres Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Das folgende Dossier soll sie beantworten.

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