Internet-Inhalte:"Urheberrecht ist ein Massenphänomen geworden"

Das Internet ist ein gigantischer Ideen-Pool - doch was davon lässt sich legal weiterverwenden? Ein Gespräch mit dem Richter und Rechtsprofessor Thomas Hoeren.

Hans von der Hagen

Das Internet bietet eine Fülle an Musik, Filmen und Texten. Nicht nur zum konsumieren - vieles wird explizit für die Weiternutzung in fast beliebiger Form freigegen und entsprechend als "gemeinfrei" deklariert. Auf US-Seiten heißt das "Public Domain".

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Thomas Hoeren:  "Das Urheberrecht ist die Magna Charta des Informationsrechts und der Informationsgesellschaft."

(Foto: Fotos: OBS/dpa, iStockphoto / Grafik: sueddeutsche.de, Helldobler)

Doch wie frei ist gemeinfrei? In vielen Foren wird das heiß diskutiert. Aber selbst Juristen sind oft ratlos - allzu schnell verheddert man sich im nationalen Urheberrecht. Darum haben Rechtsanwälte am Ende meist nur einen Rat: Am besten gar nichts aus dem Netz verwenden - selbst wenn die Inhalte ausdrücklich freigegeben wurden.

Viele geben sich mit solchen Antworten indes nicht zufrieden und wollen etwa mit den zunehmend verbreiteten Creative-Commons-Lizenzen selbst bestimmen, was mit ihren Inhalten passiert, und zwar ohne alle Rechte zu verlieren. Das Interesse am Urheberrecht ist enorm gewachsen. Thomas Hoeren, Rechtsprofessor in Münster und Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf sagt sogar: Es ist ein Massenphänomen geworden.

sueddeutsche.de: Musik und Filme werden schon lange geschreddert und neu zusammengesetzt, spätestens seit Axolotl Roadkill von Helene Hegemann ist klar, dass das auch bei Büchern geschieht. Gibt es Regeln, wann Inhalte aus dem Netz legal genutzt werden dürfen?

Thomas Hoeren: Zunächst gibt es das Recht auf die sogenannte freie Benutzung. Inhalte können benutzt werden, wenn sie so stark umfrisiert werden, dass die Wesenszüge des ursprünglichen Werkes nicht mehr erkennbar sind.

sueddeutsche.de: Wie weit muss die Nicht-Erkennbarkeit gehen?

Hoeren: Die Faustregel ist: Fragen Sie einen Freund, ob er noch erkennt, was dahintersteckt. Wenn nicht, dann ist man im freien Bereich. Daneben gibt es die Satirefreiheit. Da sind die Wesenszüge des alten Werkes zwangsläufig erkennbar, weil sich Satire mit den Wesenszügen eines anderen kritisch auseinandersetzt. Und es gibt die Zitatfreiheit.

sueddeutsche.de: Wann ist ein Zitat nur ein Zitat - und wann Diebstahl?

Hoeren: Da gibt es viel Irrglauben. Manche verstehen das Zitatrecht enger als es tatsächlich ist, andere hingegen interpretieren es zu freimütig. Als Zitat kann ich alles verwenden, es gibt keine Minimallänge von beispielsweise sieben Tönen. Es können auch - sofern notwendig - ganze Filme verwendet werden, sofern damit eine eigene Aussage untermauert wird. Da liegt dann aber auch das Problem: Es muss tatsächlich eine eigene Aussage dahinterstehen. Es ist nicht zulässig, bloß eine Collage von Inhalten aus dem Netz mit dem Hinweis auf das Zitatrecht anzufertigen. Allerdings gibt es da ein Trostpflaster in Deutschland: den Schutz der Verfassung für Künstler. Der Spielraum für eine eigene Aussage ist zumindest in dem Bereich sehr groß.

sueddeutsche.de: Auf US-Seiten wie archive.org, die eine Art Internet-Gedächtnis sein wollen, gibt es mittlerweile viele Inhalte, die als "Public Domain", also öffentlich verfügbar, eingestuft werden. Die Nutzer könnten scheinbar fast alles mit diesen Inhalten machen. Aber dürfen sie die das auch?

Hoeren: Das Internetarchiv ist spannend, aber urheberrechtlich teils ein Sündenpfuhl. Das Problem ist: Leute erklären Inhalte manchmal gemeinfrei, obwohl sie es gar nicht sind. Entweder, weil sie übersehen, dass sie selbst Mitglied einer Verwertungsgesellschaft sind, also in Deutschland beispielsweise bei der Gema oder der VG Bild-Kunst registriert sind und damit ihre Rechte längst abgegeben haben. Oder, weil sie verkennen, dass sie die Inhalte zwar nach amerikanischem Recht für gemeinfrei erklären lassen können, aber das deutsche Recht dagegensteht. Wer alles richtig machen wollte, müsste eigentlich mehr als 140 Rechtsordnungen prüfen, um festzustellen, ob etwas wirklich als gemeinfrei angesehen werden kann.

sueddeutsche.de: Was können Nutzer ganz praktisch tun, um herauszufinden, ob Inhalte tatsächlich gemeinfrei sind?

Hoeren: Das Minimum, was man prüfen kann: Wer hat da überhaupt etwas ins Netz gestellt und für gemeinfrei erklärt? Aber im Grundsatz gilt: Netzinhalte sind nicht verwendbar. Wer im Glauben auf die Angabe "gemeinfrei" etwas verwendet hat, was tatsächlich nicht gemeinfrei war, könnte theoretisch denjenigen verklagen, der etwas für gemeinfrei erklärt hat. Doch in der Praxis scheitert das meist schon daran, dass der dann irgendwo im Ausland sitzt.

sueddeutsche.de: Die Entscheidung des Bundesgerichtshof 2008 im Fall Kraftwerk gegen Moses Pelham, bei der es um die Verwendung von Teilen eines Kraftwerks-Songs in einem Lied von Sabrina Setlur ging, zeigt, dass es Richtern nicht leichtfällt, klare Regeln im Urheberrecht zu schaffen. Warum?

Hoeren: Das Urheberrecht ist ein schwammiges Gebiet - auch, weil es keine Registrierung wie etwa bei Marken und Patenten gibt. Niemand weiß also, was letztendlich geschützt ist. Klare Regeln zum Beispiel für all jene, die nicht nur Dateien herunterladen, sondern auch für Remixe oder eigene Produktionen weiterverwenden wollen, wird es nie geben. Das Urheberrecht ist im Gegensatz zum Patentrecht ein formloses Recht. Ihm fehlt die Kontur. Das ist aber nicht unbedingt ein Nachteil: Wenn Richter nun etwa sagen würden, bis zu sieben Noten einer Melodie dürften ohne Verletzung des Urheberrechts verwendet werden, würden neue Probleme auftreten. Es ist sinnvoll, dass das Urheberrecht ein offenes Recht ist.

sueddeutsche.de: Wo besteht vorangig Handlungsbedarf, um das Urheberrecht an das Internetzeitalter anzupassen?

Hoeren: Vor allem international müssten die Regeln vereinheitlicht werden. Da ist der Harmonisierungsdruck hoch und es gibt auch zaghafte Anzeichen, dass sich etwas tut: Der Europäische Gerichtshof hat vor einem Dreivierteljahr in einem Urteil festgestellt, dass beim Schutzstandard europäisch-gemeinschaftlich gedacht werden müsste. Es soll also etwa nicht in dem einen Land geschützt werden, was in dem anderen frei ist.

sueddeutsche.de: Warum gibt es in den USA so viel mehr Material im Netz als in Europa, das als gemeinfrei deklariert wird?

Hoeren: Die Amerikaner und auch die Briten sehen das Urheberrecht nicht als Schutz für die Kreativen, sondern als Schutz von Investition. Das nannte man früher den Sweat-on-the-eyebrow-Test. Immer wenn jemand schwitzt, weil er Zeit, Geld oder Arbeit in ein Stück gesteckt hat, ist er geschützt. Es ist dazu aber nicht erforderlich, dass er es erschaffen hat. Das widerstrebt unserem französisch inspirierten Modell, das wir droit d'auteur nennen. In Kontinentaleuropa geht es also um den Schutz von Kreativen und nicht, wie in Amerika, um das Copyright. Darum gibt es hier ein Schutzrecht bis 70 Jahre nach dem Tod eines Autoren oder Komponisten. Es prallen also zwei völlig unterschiedliche Systeme aufeinander, und das sorgt ständig für Ärger.

sueddeutsche.de: Wer kümmert sich um die Interessen der Nutzer?

Hoeren: Niemand. Darum kommen sie zu kurz, wenn es um Informationsfreiheit geht oder Schranken im Urheberrecht zu Gunsten der Verbraucher. Die Verwertungsgesellschaften stehen auf Seiten des Urhebers. Besser: Sie sollten es tun, aber das Missbrauchspotential ist bei den Verwertungsgesellschaften enorm. Die betreiben viel Schindluder - obwohl ihnen vieles vom Europäischen Gerichtshof verboten wurde. Zum Beispiel legen diese Gesellschaften immer noch in ihren Verträgen fest, dass die Kreativen mit ihrer Mitgliedschaft alle Rechte abgeben. Neuen Mitgliedern wird ein Rechtekatalog vorgelegt, den sie unterschreiben sollen. Nur: Die Gesellschaft verschweigen einfach, dass die Urheber bestimmte Rechte aus dem Katalog herausstreichen können. Sie knebeln den Urheber, obwohl es verboten ist.

sueddeutsche.de: Die Verwertungsgesellschaften nennen das den solidarischen Gedanken, dem sich die Kreativen unterordnen sollen ...

Hoeren: Die Abtretung der Rechte basiert aber auf Verträgen und die Vertragsfreiheit ist zentral. Der Europäische Gerichtshof hat ihnen das Vorgehen kartellrechtlich verboten: Die Verwertungsgesellschaften seien so mächtig, dass sie ihren Mitgliedern die Wahlfreiheit geben müssten. Warum auch sollen Musiker beispielsweise ihre Konzertrechte an die Gema abtreten? Das ist doch Quatsch. Seit Jahren handeln diese Organisationen so, als gebe es die Rechtsordnung nicht.

sueddeutsche.de: Viele Urheber entscheiden sich mittlerweile für einen ganz anderen Weg und stellen ihre Werke im Rahmen der Creative-Commons-Lizenzen zur Verfügung. Was bedeutet das?

Hoeren: Creative Commons wurde von dem Jura-Professor Lawrence Lessig von der Harvard Law School begründet. Dahinter steckt die Idee, Texte, Ton und Bild offen an die Internet-Gemeinde zu geben, ohne alle Rechte zu verlieren - so, wie es in der Softwareindustrie mit den Open-Source-Modellen schon länger möglich ist. Im Rahmen von Creative Commons gibt es eine ganze Reihe von Lizenzmodellen, die durch kleine Icons gekennzeichnet sind. Die Urheber legen damit fest, unter welchen Bedingungen kommerzielle oder private Nutzer Werke verwenden können. Der Vorteil für den Nutzer ist, dass dabei kein Geld fließt und er sofort weiß, was er mit den Werken machen darf.

sueddeutsche.de: Wie sollen Nutzer damit umgehen? Schlägt im Zweifelsfall das nationale Urheberrecht die Creative-Commons-Lizenzen?

Hoeren: Es ist noch nicht klar, wie juristisch wirksam die neuen Regeln sind - es gibt hierzulande noch keine Präzedenzfälle, bei denen Richter entschieden haben, wie mit Creative Commons umzugehen ist. In der Softwarebranche deuten Urteile an, dass zumindest die Open-Source-Modelle wirksam sein könnten. Und in den Niederlanden gibt es Entscheidungen, die sagen, dass die Creative-Commons-Lizenzen juristisch akzeptabel sind - aber das gilt eben nur für die Niederlande. Wenn es hierzulande die ersten Urteile gibt, könnte Creative Commons eine interessante Geschichte werden, nicht nur für die Nutzer, sondern auch für die Urheber, die dann selbst die Grenzen für die Nutzung ziehen können.

sueddeutsche.de: Aber spätestens, wenn der Urheber Mitglied einer Verwertungsgesellschaft ist, hat er ein Problem ...

Hoeren: Das stimmt, er muss dann höllisch aufpassen, welche Rechte er längst abgetreten hat. Er kann nicht nach Belieben Creative-Commons-Lizenzen verteilen. Es ist ein Urfehler der Kreativen: Sie unterschreiben da irgendetwas bei der Gema oder VG Bild-Kunst und denken immer noch, sie könnten mit den Rechten an ihren Werken beliebig verfahren. Das ist ein gewaltiger Irrtum. Allerdings ist beispielsweise die VG Bild-Kunst nicht so mächtig wie die Gema. Während die VG Bild-Kunst sich lediglich die Nebenverwertungsrechte einräumen lässt, nimmt sich die Gema ja oft gleich die gesamten Hauptverwertungsrechte. Da ist es dann viel schwieriger, das eigene Material im Internet zur Verfügung zu stellen.

sueddeutsche.de: Hat Creative Commons eine Chance sich durchzusetzen?

Hoeren: Das ist unsicher. Es ist vom Marktsegment her noch nicht groß. Diejenigen, die sich mit dem Internet beschäftigen, schätzen dieses kleine Pflänzchen und hegen und pflegen es auf ihre Art und Weise. Aber ich glaube nicht, dass es zu einem Massenphänomen wird.

sueddeutsche.de: Weil es nichts abwirft?

Hoeren: Das ist das Problem. Für den, der in der Kunst anfängt, kann Creative Commons eine sinnvolle Strategie sein, um in die Community hineinzukommen. Aber irgendwann kommt die berühmte amerikanische Frage: Where is the beef? Wo ist das Fleisch? Mit Creative Commons lässt sich Reputation gewinnen - Geld verdient man damit nicht. Darum gehen viele am Ende doch zu den großen Verwertern und verlieren damit ihre Rechte.

sueddeutsche.de: Spiegelt Creative Commons nicht den starken Wunsch wider, überhaupt mal in der Frage Urheberrecht weiterzukommen? Die Internetnutzer und Kreativen fordert doch zu Recht neue Lösungen ...

Hoeren: Das Interesse am Urheberrecht ist tatsächlich ein Massenphänomen geworden, das Thema wird wild in den Internetforen diskutiert. Noch vor ein paar Jahren war das etwas für eine ganz kleine Clique von Menschen, ein geschlossener Wissenschaftszirkel. Die kannten sich alle untereinander. Als das Internet kam, tauchten plötzliche Leute bei den Tagungen zum Urheberrecht auf, die man nie zuvor gesehen hatte oder nur aus anderen Zusammenhängen kannte. Die klassischen Urheberrechtler fragen noch immer irritiert, warum sie sich jetzt mit so komischen Leute wie der Netzgemeinde herumschlagen müssen. Aber das Urheberrecht ist nun mal die Magna Charta des Informationsrechts und der Informationsgesellschaft.

Was bringt eine Kulturflatrate

sueddeutsche.de: Sie haben einmal eine Kulturflatrate ins Spiel gebracht, mit der, wie beim Fernsehen, pauschal für kulturelle Leistungen gezahlt werden könnte. Ist das eine Utopie?

Hoeren: Zunächst einmal ja. Es gibt kaum Anwendungsfälle, ich habe mal gelesen, dass auf der Isle of Man eine Kulturflatrate umgesetzt worden sei. Der Vorschlag entstammt einer geradezu legendären Sitzung im französischen Parlament, wo er lang diskutiert worden ist. Ich glaube, dass eine Kulturflatrate als Gesamtlösung für alle Internetnutzungen nicht kommen wird. Es lässt sich ja auch kaum berechnen, wer was wann und wo bezahlen soll. Schon bei den Rundfunkgebühren gibt es viel Geschrei. Wie soll es da erst bei der Nutzung des Internets werden. Eine solche Flatrate könnte aber für bestimmte Marktsegmente sinnvoll sein. In der Forschung wird der Bereich Wissenschaft derzeit besonders diskutiert. In eine Unibibliothek darf ja noch nicht einmal ein USB-Stick mitgenommen werden, weil die Regelungen des Urheberrechts dem entgegenstehen. Da könnte eine Wissenschaftsflatrate helfen, wie es sie bereits in den Niederlanden gibt. Einmal zahlen, und dann ist Ruhe.

sueddeutsche.de: Wie sieht das Urheberrecht in zehn Jahren aus?

Hoeren: Wir stehen derzeit an einem Wendepunkt. Derzeit sieht es so aus, als könnten die Verleger und Tonträgergesellschaften das Urheberrecht förmlich explodieren lassen, in dem sie die Leistungsschutzrechte stark aufblähen.

sueddeutsche.de: Die Rechte würden sich dann vor allem Unternehmen sichern?

Hoeren: Es gibt eine entsprechende Initiative des EU-Kommissars Charlie McCreevy, der die Leistungsschutzrechte von Tonträgerherstellern von 50 auf 95 Jahre ausdehnen will. Dann gibt es die BGH-Entscheidung zu den Musiksamples. Es entsteht also der Eindruck, dass die Leistungsschutzrechte groß an Bedeutung gewinnen. Die Kreativen aber auch die Nutzer würden ins Abseits gestellt. Und die Verleger kloppen sich dann gegenseitig darum, wer welches Wort oder welches Musikstück wo verwenden darf.

sueddeutsche.de: Was wäre die Alternative?

Hoeren: Es müsste - unter Beteiligung der Netzgemeinde - eine geordnete Diskussion über das Dreieck Urheber, Rechteinhaber, also Leistungsschutzberechtigte, und Nutzer geben. Verfassungsrechtlich müsste geklärt werden, wie die unterschiedlichen Interessen dieser drei Parteien optimal entfaltet werden können.

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