Europäischer Polizeikongress:Polizei rüstet sich im Cyberkrieg

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Verliert der Staat im Internet sein Gewaltmonopol? In Berlin beraten Polizei, Politik und Industrie zwei Tage lang über den Kampf gegen die Kriminalität im Internet. Die breite Öffentlichkeit aber wird wenig erfahren von den Gesprächen. Linke Gruppen und Internetaktivisten laufen Sturm gegen den Kongress und beklagen die fehlende Transparenz.

Von Pascal Paukner und Kai Thomas

Es ist eine Situation, die ohne Krawall und Unruhe kaum mehr vorstellbar ist: Einmal im Jahr treffen sich in Berlin Vertreter von Polizei und Politik, um über die Zukunft der Polizeiarbeit zu diskutieren. Prominent dabei sind Unternehmen, die auf einer Messe neue Produkte der Sicherheits- und Überwachungstechnik präsentieren. Veranstaltet wird das, was sich Europäischer Polizeikongress nennt, aber nicht von offizieller staatlicher Stelle. Es ist eine private Veranstaltung des Behörden Spiegels, einer Fachzeitung für den öffentlichen Dienst in Deutschland.

Dementsprechend heftig ist auch die Ablehnung derjenigen, die Staat und Polizei traditionell distanziert gegenüberstehen. Auch in diesem Jahr brannten vor der am Dienstag beginnenden zweitägigen Veranstaltung wieder Autos und Barrikaden in Berlin-Kreuzberg. Wer mit Vertretern der Polizei in Berlin spricht, erfährt über die gewaltsamen Proteste dennoch wenig Verwunderung, ganz zu schweigen von Empörung. An die Proteste hat man sich in der Bundeshauptstadt gewöhnt, wie es scheint.

Doch die Kritik an der Veranstaltung nimmt zu, der öffentlichkeitswirksame Protest begann in diesem Jahr besonders früh: Vor Wochen schon haben anonyme Aktivisten einen Videoappell zum Zerstören von Überwachungskameras ins Netz gestellt. Nach eigenen Angaben montierten Unbekannte nach dem Aufruf bundesweit - aber auch vereinzelt im Ausland - mehr als 60 Kameras ab oder zerstörten sie. Zwar steht die Videoüberwachung in diesem Jahr nicht im Mittelpunkt der Zusammenkunft der Sicherheitskräfte, aber um Überwachung geht es doch. Nur eben um die im Internet.

Heftige Kritik wegen mangelnder Transparenz

"Schutz und Sicherheit im digitalen Raum" ist die offizielle Überschrift des Europäischen Polizeikongresses in diesem Jahr. Vorträge zu Polizeiarbeit in sozialen Netzwerken stehen ebenso an wie die Auseinandersetzung mit Kinderpornografie im Internet. Was genau aber auf den zahlreichen Veranstaltungen besprochen wird, das ist zumindest für die breite Öffentlichkeit wenig transparent. Zwar sind Pressevertreter zu der Veranstaltung zugelassen, einen Livestream gibt es aber ebensowenig wie eine Beteiligung von Internetaktivisten oder Nichtregierungsorganisationen. Weil das mit der Vorstellung von Transparenz im Internetzeitalter nur noch wenig zu tun hat, fällt die Kritik am Polizeikongress heftig aus.

Aus dem Bundesvorstand der Piratenpartei wurden wegen der Einladungspolitik Boykottaufrufe gegen den Kongress laut. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Piratenpartei, Markus Barenhoff, rief "Abgeordnete, Minister und Amtsträger" dazu auf, "diese Eliteveranstaltung von Sicherheitsideologen zu boykottieren". Ähnliche Töne kamen auch von der Linkspartei. In einer Pressemitteilung war im Zusammenhang mit der Veranstaltung von einem "behördlich-industriellen Komplex" die Rede, dessen Aufrüstung zu "einer umfassenden Überwachungsarchitektur" führen könne.

Eine größere Beteiligung der Zivilgesellschaft im Bereich der Cybersicherheit wäre begrüßenswert", sagt auch Markus Beckedahl von der Lobbygruppe "Digitale Gesellschaft". Sicherheitsfragen im digitalen Raum würden mehr denn je die unmittelbare Lebenswelt der meisten Menschen betreffen. Es sei daher fragwürdig, warum öffentliche Stellen einen derartigen, nur an die Wirtschaft gerichteten Kongress unterstützten. Die Veranstaltung sei ein "Talkshop für diejenigen, die ein Interesse an mehr Überwachung und Eingriffe in Grund- und Freiheitsrechte haben und jenen, die die dafür notwendige Technologie verkaufen wollen". Die auf der Messe beworbene digitalen Überwachungs- und Analysetechnik ermögliche eine noch gezieltere Diskriminierung von Minderheiten jedweder Art, sagte Beckedahl zu Süddeutsche.de.

1600 Teilnehmer aus mehr als 50 Nationen kommen nach Veranstalterangaben jährlich zum Kongress nach Berlin. Vertreter der Kriminal- und Schutzpolizeien, der Grenzpolizeien, der Sicherheits- und Nachrichtendienste seien dort ebenso vertreten wie Vertreter der Regierungen und Parlamente. Die Kritik der fehlenden Beteiligung der Zivilgesellschaft kann der Veranstalter nur schwer nachvollziehen. "Es ist eine Fachveranstaltung zu polizeilichen Themen", sagte der Chefredakteur des Behörden Spiegels, R. Uwe Proll , in einem Gespräch mit Süddeutsche.de. Den Dialog mit zivilgesellschaftlichen Gruppen könne man "sicher führen", aber dafür gebe andere Gelegenheiten als einen solchen Kongress. "Für alle, die ein verfolgungsfreies Internet wollen, ist das Thema des Kongresses natürlich ein Aufreger. Im Internet sollten aber die gleichen Rechte gelten wie im normalen Leben auch", sagte Proll. Im Übrigen seien sämtliche Landesdatenschützer und der Bundesdatenschutzbeauftragte zum Kongress eingeladen worden. Nur eben nicht als Referenten.

Unterstützung erhält Proll von den Polizeigewerkschaften und der Politik. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) betonte die Bedeutung der Veranstaltung, indem sie vor einem Kontrollverlust der Behörden in einer Gesellschaft warnte, die zunehmend vom Internet geprägt ist: Es gebe in der deutschen Wirtschaft eine Tendenz, Angriffe gegen EDV-Anlagen lediglich durch private Sicherheitsunternehmen verfolgen zu lassen. "Der Staat darf seinen Strafverfolgungsanspruch in keinem Deliktsbereich aufgeben und sein Gewaltmonopol nicht gefährden", sagte der GdP-Vorsitzende Bernhard Witthaut.

Polizeigewerkschaft fürchtet Anschläge per E-Mail

Unternehmen rief er deshalb dazu auf, Cyberattacken stets anzuzeigen. Es ist eine Forderung, die auch in der Politik auf der Tagesordnung steht. Die EU-Kommissarinnen Neelie Kroes und Cecilia Malmström wollen eine EU-Richtlinie verabschieden, die großen Unternehmen eine Meldepflicht von Hackerangriffen auferlegen würde. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann sagte Süddeutsche.de, Staat, Wirtschaft und Gesellschaft bräuchten eine gemeinsame Sichherheitsstrategie gegen Angriffe, die "problemlos kriegs- oder terroranschlagsähnliche Folgewirkungen" entfalten könnten.

Der Vorsitzende der Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, forderte hingegen zusätzliche Polizisten zur Überwachung des Internets. Der Neue Osnabrücker Zeitung sagte Wendt: "Der nächste 11.-September-Anschlag kommt per E-Mail. Deshalb brauchen wir schnellstens mindestens 2000 Cyber-Cops."

Die Aktivisten dürften sich von solchen Ansagen eher noch in ihrer Meinung bestätigt sehen. Auf ihrer Internetseite kündigen sie für Dienstag an, bei einer Kundgebung direkt vor dem Kongresszentrum mit demontierten Kameras werfen zu wollen. Ein Sprecher der Berliner Polizei sieht die Bedrohung aber gelassen. Bereits in den vergangenen Jahren hätten die stärksten Proteste vor der Veranstaltung stattgefunden. Für die weiteren Protestveranstaltungen während des Kongresses rechnet die Berliner Polizei mit einer Teilnehmerzahl zwischen 50 und 150.

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