Debatte um Netzneutralität:EU-Kommission wehrt sich gegen Drosselkom-Vorwürfe

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Herrscht im Internet künftig eine Zwei-Klassen-Gesellschaft? Ein Entwurf der EU-Kommission zur Netzneutralität nährt solche Befürchtungen. Doch die zuständige EU-Kommissarin Nellie Kroes wehrt sich gegen Vorwürfe, der Telekom bei ihren Drosselplänen helfen zu wollen.

Es streiten: die für Digitalthemen zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes, die beiden deutschen Minister Philipp Rösler (FDP) und Ilse Aigner (CSU) sowie Markus Beckedahl, Netzaktivist und Gründer des Fachblogs Netzpolitik.org. Gegenstand der Auseinandersetzung ist das, was mit dem etwas sperrigen Begriff Netzneutralität umschrieben wird.

Konkret geht es um einen Entwurf der EU-Kommission, den Netzpolitik.org zuerst veröffentlicht hatte. Das Papier sieht vor, Internetprovider die Möglichkeit zu geben, Netzneutralität einzuschränken. "Inhalteanbieter und Telekommunikationsprovider sind frei, miteinander Vereinbarungen zum Umgang mit Volumentarifen der Kunden und der Übertragung von Daten unterschiedlicher Qualitätsklassen zu schließen", heißt es in dem Entwurf.

Mit Netzneutralität ist das bisher gültige Prinzip gemeint, nach dem im Internet alle Inhalte gleich behandelt werden. Alle Datenpakete werden mit der gleichen Geschwindigkeit transportiert, unabhängig von Inhalt, Herkunft, Ziel oder Anwendung. Das Thema war in Deutschland auf die politische Agenda gekommen, nachdem die Deutsche Telekom angekündigt hatte, bei Überschreiten bestimmter Datenmengen künftig das Tempo für die Übertragung zu drosseln. Allerdings sollte ein eigener Video-Dienst davon ausgenommen werden. Kritiker sprechen deswegen von "Drosselkom".

Dass nun auch die EU-Kommission Vergleichbares erlauben will, hat in den vergangenen Tagen massiven Widerspruch hervorgerufen. Netzpolitik.org-Gründer Beckedahl sieht die Netzneutralität in Gefahr. "Unserer Meinung nach bringt das überhaupt nichts und ist eher kontraproduktiv", sagte er. Die Drosselkom-Pläne der Telekom würden eindeutig von der EU-Kommission legalisiert und akzeptiert.

"Es darf nicht sein, dass einige Anbieter sich die Vorfahrt im Netz sichern können", sagte auch Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner. Wirtschaftsminister Philipp Rösler äußerte sich ähnlich kritisch: "Das, was wir gesehen haben, reicht uns in Bezug auf die Gewährleistung der Netzneutralität nicht aus", sagt er dem Handelsblatt. Europa-Abgeordnete der Grünen und der SPD kritisierten den Entwurf ebenfalls.

Jetzt wehrt sich via Twitter die EU-Kommissarin gegen die Vorwürfe. Sie wolle das offene Internet schützen. Die Interpretationen der Netzpolitik.org-Betreiber seien irreführend.

Ein Sprecher von Kroes ergänzte, der jetzt bekanntgewordene Text sei ohnehin zwei Wochen alt. Es handele es sich nicht um den endgültigen Entwurf, der solle erst im September vorliegen. "Einiges an Spekulation ist voreilig", so der Sprecher.

Der Entwurf, so die EU-Kommission, solle das Blockieren oder Verlangsamen von Inhalten beenden und Konsumenten neue Rechte geben, indem Informationen transparenter gemacht werden. In der Debatte werde es so dargestellt, als sei die Netzneutralität schon garantiert - dabei sei das Gegenteil der Fall. Kritiker argumentieren dagegen, wenn die EU-Pläne Wirklichkeit würden, dann könnte Inhalteanbieter wie beispielsweise Google mit Betreibern wie der Deutschen Telekom vereinbaren, dass Google-Daten im Netz extra schnell befördert werden.

In Deutschland hat Wirtschaftsminister Rösler derweil eigene Regelungen zur Netzneutralität ausarbeiten lassen, die er noch im August im Kabinett zur Abstimmung vorlegen will. Am Mittwoch diskutieren Interessenvertreter und Fachleute über seine Pläne. Der Entwurf aus dem Wirtschaftsministerium sieht vor, dass "eine diskriminierungsfreie Datenübermittlung" gewährleistet werden müsse. Es sei das "gute Recht" von Netzbetreibern, neue Geschäftsmodelle ausschöpfen zu wollen. Ihm gehe es aber darum, die Interessen der Internetznutzer, Netzbetreiber und Inhalteanbieter "sauber auszutarieren", so Rösler.

"Das ist eine sehr viel klarere Regelung der Netzneutralität, als sie bisher besteht", sagte Hans Hege, der für die Landesmedienanstalten bei der Runde dabei war. Es sei sinnvoll, die Diskussion auch in Deutschland zu führen - allein schon, um nicht von einer EU-Regelung überrascht zu werden.

© Süddeutsche.de/dpa/olkl - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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