Datendiebstahl:Ein zweiter Snowden - oder einfach ein Messie?

Datendiebstahl: Schon wieder wurde die NSA bestohlen.

Schon wieder wurde die NSA bestohlen.

(Foto: AP)

Harold Martin soll jahrzehntelang geheime Regierungsdaten entwendet haben, auch von der NSA. Das Material gilt als brisant, doch Martins Motivation ist unklar.

Von Marvin Strathmann

Wer bei Booz Allen Hamilton arbeitet, kommt überall rein, sogar beim Geheimdienst. Das Unternehmen gehört zu den größten amerikanischen Beratungsfirmen, hat mehr als 22 000 Mitarbeiter, und arbeitet unter anderem für die NSA. Wenn seine Mitarbeiter Geheimnisse preisgeben, kann das den Überwachungsapparat der USA erschüttern.

Außer Edward Snowden, der für das Unternehmen auf Hawaii gearbeitet und das Ausmaß der NSA-Überwachung öffentlich gemacht hat, hat offenbar noch ein anderer Mitarbeiter geheime Informationen aus der Firma nach außen getragen. Das FBI beschuldigt den Amerikaner Harold Martin, massenhaft Daten gestohlen zu haben. Ende August hat die Behörde ihn in seinem Haus in Maryland festgenommen. Ist Martin ein zweiter Snowden? Ein ausländischer Agent? Oder hat er einfach nur das mit dem Home Office falsch verstanden? Sechs Jahre soll Martin für das Unternehmen gearbeitet haben, berichtet die New York Times. Als die Vorwürfe öffentlich wurden, feuerte Booz Allen Hamilton ihn.

Sein mutmaßlicher Diebstahl soll über seine Zeit bei der Beraterfirma hinausgehen. 20 Jahre lang soll er geheime Dokumente gesammelt haben, sensibles Material der NSA inklusive, so der Vorwurf. Neben Dokumenten mit den Geheimhaltungsstufen "Secret" und "Top Secret" soll Martin auch persönliche Informationen über Regierungsmitarbeiter aufbewahrt haben. Die Daten und Dokumente habe er entweder ausgedruckt oder auf Festplatten, USB-Sticks und optischen Medien wie CDs gespeichert. In seinem Büro zu Hause, auf dem Rücksitz und im Kofferraum seines Autos und in einer Hütte auf seinem Grundstück soll er die Dokumente gelagert haben. Zusätzlich fanden die Ermittler zehn Waffen bei ihm, darunter ein Sturmgewehr. Nur zwei davon waren registriert.

Ist der Mann also ein Spion, der zwei Jahrzehnte lang geheime Daten der US-Behörden gesammelt und verbreitet hat? Seine Fürsprecher erklären das Datenhorten mit Martins Schrulligkeit. Reporter der New York Times haben mit seiner Exfrau gesprochen, die heute in Australien lebt. Sie beschreibt ihn als "eine Art Messie", der immer Arbeit mit nach Hause gebracht habe, immer an seinem Laptop gesessen sei, immer gearbeitet habe. "Es gibt keine Beweise, dass er sein Land hintergehen wollte", sagt Martins Verteidiger James Wyda. "Er hat mehr Informationen als er jemals lesen kann", sagte der Anwalt am Freitag. "So würde sich ein russischer Spion oder jemand ähnliches nie verhalten. Das ist das Verhalten eines Messies".

Was Martin mit nach Hause nahm

Als Beispiel für die sensiblen Daten nennen die Ermittler ein Dokument über Einsatzpläne gegen "einen bekannten Feind der Vereinigten Staaten und seine Verbündeten." Auch das sei "Top Secret", Martin hätte das Dokument nicht besitzen dürfen, so die Ankläger.

Ein anderes Beispiel beinhaltet eine ausgedruckte E-Mail-Konversation, die mit "Top Secret" markiert ist. Auf der Rückseite sollen sich handgeschriebene Notizen befinden, die die geheime Computerinfrastruktur und technische Abläufe innerhalb der NSA beschreiben. Die Ermittler deuten an, dass die geheimen Informationen, die den Nachrichtendienst betreffen, für Außenstehende zusammengefasst worden sind.

"Es gibt keine Beweise, dass er sein Land hintergehen wollte"

Eine konservative Schätzung der Ermittler geht von 50 Terabyte Daten aus, die bei Martin sichergestellt wurden. Zum Vergleich: Auf einer Festplatte mit 50 Terabyte Speicherplatz haben mehr als 10 000 DVDs Platz. Insgesamt sei eine "schockierende Menge an als vertraulich markierten Dokumenten" darunter, heißt es in dem Schriftsatz. Allerdings ist bei dem Großteil der Daten noch unklar, woher das Material stammt und was es genau beinhaltet. Nicht alle Dokumente und Festplatten müssen schließlich sensible Daten beinhalten, nur weil Ermittler sie beschlagnahmt haben.

Anscheinend war Martin, der im Bereich Informationssysteme promoviert, unzufrieden mit den Sicherheitsstandards an seinem Arbeitsplatz. Die Ermittler haben einen Brief aus dem Jahr 2007 gefunden, den er an seine Kollegen adressierte. Darin bezeichnet er sie als Clowns und kritisiert die IT-Sicherheit der Regierung. Er selbst verschlüsselte seine Kommunikation und nutzte Anonymisierungs-Software zum Surfen.

Ganz konnte er seine Surfchronik aber offenbar nicht verbergen: Den Ermittlern zufolge soll er im Juli ein Video geschaut haben, das zeigt, wie Behörden Internetnutzer aufspüren, die nicht erkannt werden wollen.

Wie kam die geheime Hacking-Software ins Netz?

Martins Verhältnis zu der Hackergruppe Shadow Brokers bleibt vorerst unklar. Sie hat im August geheime Schadsoftware der NSA zum Verkauf angeboten. Nach Angaben der New York Times habe Martin in den darauffolgenden Ermittlungen die Aufmerksamkeit des FBI erregt. Zudem soll er an einer NSA-Software gearbeitet haben, die auch die Shadow Brokers besitzen. Prompt war er im Netz als mögliche Quelle der Gruppe im Gespräch. Ob Martin die Software an die Hacker verkauft oder weiterverbreitet hat, wissen die Ermittler aber bisher nicht. Und sie können auch nicht sagen, ob er selber gehackt wurde.

Martin arbeitet schon lange für den Sicherheitsapparat und dessen Umfeld. 1987 trat er in die Marine ein und wurde Offizier. Seit 1996, während seiner Zeit bei der Reserve, hatte er Zugang zu geheimen Daten. Die Freigabe blieb auch bestehen, als er danach für private Firmen arbeitete, die Dienste für die Regierung leisteten. Diese Unternehmen erhalten öffentliche Aufträge von staatlichen Behörden, ihre Mitarbeiter Zugang zu staatlichen Informationen. So lagert der Staat auch geheime Arbeit teilweise aus.

Ob Spion oder Messie, Martin bleibt vorerst in Haft. Seine Fluchtgefahr sei zu groß, urteilte das Gericht.

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