Nach dem Abitur:Soll ich studieren oder eine Ausbildung machen?

Das fragen sich viele angehende Abiturienten im Moment. Eine Entscheidungshilfe.

Von Matthias Kohlmaier

An Deutschlands Unis sind derzeit so viele Menschen wie noch nie immatrikuliert. Aber ist das Studium immer der beste Weg? Diese und ähnliche Fragen stellen sich derzeit wieder mehr als 400 000 angehende Abiturienten in ganz Deutschland. Sabine Gärtner berät seit Jahren für die Agentur Einstieg Interessierte in Sachen Berufs- und Studienfindung und hat eine klare Antwort: "Viele Abiturienten studieren, obwohl eine Ausbildung die viel bessere Wahl für sie wäre." Stellen jedenfalls gäbe es genug: Laut Berufsbildungsbericht blieben 2014 insgesamt 37 100 gemeldete Ausbildungsplätze unbesetzt.

Aber wie sollen sich angehende Abiturienten zwischen den Optionen Studium, Ausbildung, Praktikum und Auslandsaufenthalt zurechtfinden? Sabine Gärtner rät nicht nur zu intensiver Recherche und Rücksprache mit Freunden, Bekannten, Eltern. Selbstreflexion lautet ihre Maxime. "In Workshops stelle ich Fragen, mit denen man sich nicht so häufig beschäftigt: Wofür stehen Sie auch mal gerne früh auf? Gibt es Aktivitäten, die Ihnen eine Gänsehaut bereiten?"

Auch wenn sich daraus nicht direkt ein konkreter Studien- oder Berufswunsch ableiten lasse, solle man bei der Entscheidung unbedingt persönliche Leidenschaften berücksichtigen. Wer seit Jahren im Verein Basketball spiele und sich im Mannschaftssport wohl fühle, sei zum Beispiel gewiss teamfähig. "Das ist eine Stärke, die derjenige auf seinem weiteren Lebensweg ausspielen kann und sollte." Selbst Hobbys, bei denen es auf den ersten Blick zweifelhaft scheint, ob sie im späteren Job eine Rolle spielen können, sollen in die Entscheidung mit einbezogen werden.

Gärtner erzählt dazu die Geschichte von einem jungen Mann, den sie beraten hat: Der leidenschaftliche Musiker hatte aus Angst, von seiner Passion niemals leben zu können, nach dem Abitur ein BWL-Studium begonnen - und schnell wieder frustriert abgebrochen. In einem Coaching hat er gemeinsam mit Sabine Gärtner Optionen erarbeitet, wie sich die Liebe zur Musik und ein gesichertes Einkommen verbinden lassen könnten. Zum Beispiel durch

  • eine klassische Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann mit Schwerpunkt Musikinstrumente. Diese Variante lässt sich durch ein Praktikum auf ihre Tauglichkeit prüfen.
  • ein Studium an einer Musikhochschule, um im Anschluss mit dem Musikmachen Geld verdienen zu können.
  • ein musikwissenschaftliches Studium, dass ihn danach in Lehre, Forschung oder zum Beispiel in den Journalismus führen könnte.

Neben einem Hobby wie der Musik sollen in die Zukunftsentscheidung auch grundsätzliche Lebensmotive mit einbezogen werden, rät Gärtner. Möchte ich unbedingt international unterwegs sein und mit Menschen vieler Kulturen zu tun haben? Möchte ich einen sicheren Job mit geregelten Arbeitszeiten? Ist mir Freiheit wichtiger als ein hohes Einkommen? Wünsche ich mir Kinder und was heißt das für meine berufliche Zukunft?

All diese Fragen wollen beantwortet oder zumindest bedacht werden. Egal, ob danach das Lehramtsstudium oder die Schreinerlehre folgt.

Checkliste für Unentschlossene

Was für ein Studium spricht

  • Bei manchen Berufswünschen ist ein Hochschulabschluss verpflichtend. Wer Arzt oder Anwalt werden möchte, wird um das Medizin- oder Jurastudium kaum herumkommen.
  • Ein Studium bringt auch Zeit für die weitere berufliche Orientierung, zum Beispiel durch Praktika.
  • Ein abgeschlossenes Studium schützt eher vor Arbeitslosigkeit. Laut der OECD-Studie "Bildung auf einen Blick 2013" waren 2011 unter den deutschen Akademikern nur 2,4 Prozent arbeitslos - bei Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung waren es dagegen 5,8 Prozent.
  • Wie der aktuelle Gehaltsreport von Stepstone zeigt, verdienen Akademiker später deutlich besser als Nicht-Akademiker. Wer zum Beispiel einen Master macht, verdient demnach im Durchschnitt 56 165 Euro brutto pro Jahr. Beim Meister/Fachwirt sind es dagegen 48 601 Euro jährlich. Bei solchen Zahlen gilt natürlich aber immer: Das Gehalt hängt stark von der Branche ab.
  • Die berufliche Flexibilität sowie die Aufstiegsmöglichkeiten erhöhen sich mit Hochschulabschluss deutlich. Gerade für gehobene Positionen verlangen viele Firmen ein abgeschlossenes Studium

Was für eine Ausbildung spricht

  • Wenngleich das Durchschnittsgehalt mit Studium später höher sein mag, verdient ein Azubi sofort Geld - während viele Studenten zusehen müssen, dass sie sich ihr Studium durch Nebenjobs überhaupt finanzieren können.
  • Ein klassisches Hochschulstudium bietet meist wenig Praxisanteile. In der Ausbildung arbeitet man sofort praktisch und kann sich ins Berufsleben einfinden.
  • Wer studieren möchte, aber den NC für das absolute Wunschfach vorerst nicht erreicht, kann während der Ausbildung Praxiserfahrung erwerben, Geld verdienen, sich weiterbilden - und Wartesemester sammeln.
  • Die Entscheidung für eine Ausbildung muss keine Entscheidung gegen ein Studium sein. Wer doch noch an die Uni will, für den kann die Lehre ein Sprungbrett sein. So wird sich der ausgelernte Bankkaufmann in BWL schnell zurechtfinden, ebenso der Mechatroniker in Elektrotechnik. Für das Studium notwendige Pflichtpraktika gelten außerdem durch die abgeschlossene Ausbildung in vielen Fällen als bereits abgeleistet.
  • In vielen Handwerksberufen herrscht schon jetzt ein großer Mangel an Bewerbern und mittelfristig ein Mangel an Fachkräften. Wer zum Beispiel eine Malerlehre macht und danach den Meister, hat gute Chancen auf eine beruflich gesicherte Zukunft.

Welche Optionen noch zu bedenken sind

  • Wer sich partout nicht für eine Richtung entscheiden kann, für den können ein oder zwei Praktika in individuell interessanten Bereichen Licht ins planerische Dunkel bringen.
  • Ein Mittelweg zwischen Studium und Ausbildung ist das Duale Studium. Dort wechseln sich theoretische Phasen an der Hochschule mit praktischen Phasen im Ausbildungsbetrieb ab, so dass Gelerntes gleich in der Praxis angewandt werden kann. Das duale Studium ist jedoch fast ausschließlich an sogenannten Berufsakademien möglich, die es nicht in jedem Bundesland gibt.
  • Wenn es finanziell und privat möglich ist, können Unentschlossene die Zeit nach dem Abi auch für einen Auslandsaufenthalt nutzen, um Sprachkenntnisse zu verbessern, neue Erfahrungen zu sammeln und sich zu orientieren.
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