Kleine Anfrage der Grünen zur Inklusion:Förderschüler bleiben Förderschüler

Wie steht es wirklich um die Inklusion?

Inklusion: Mehr Schein als Sein?

(Foto: Jonas Güttler/dpa)

Lehrer klagen, sie seien mit der Inklusion überfordert. Dabei steigt der Anteil der Kinder, die sie eingliedern müssen, kaum. Wie kann das sein?

Von Larissa Holzki

Der Anteil der Kinder, die in Deutschland Förderschulen besuchen, geht nur sehr langsam zurück: Im Jahr 2009 waren es 4,8 Prozent, 2016 immer noch 4,2 Prozent. Etwa 318 000 Kinder gehen derzeit auf eine von 2913 Förderschulen im Land. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Die Grünen wollten wissen, wie es mit der Inklusion vorangeht, seit die Bundesregierung 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert und erklärt hat, dass behinderte und nichtbehinderte Kinder in Deutschland gemeinsam zur Schule gehen sollen.

Da heute kaum weniger Kinder auf Förderschulen gehen als am Ende des vorigen Jahrzehnts, scheint die Schlussfolgerung nahezuliegen, dass kaum mehr Kinder mit Förderbedarf in Regelschulen integriert wurden. Das allgemeinbildende Schulsystem wäre mithin kaum inklusiver geworden, trotz Behindertenrechtskonvention.

Dem widerspricht allerdings die Klage von Lehrern und Eltern, die öffentlich kritisieren, viele Schulen seien mit der Inklusion heillos überfordert und brauchten dringend eine Verschnaufpause. Allen voran der Präsident des Deutschen Lehrerverbands forderte kürzlich, die Eingliederung von Schülern mit Behinderungen in allgemeine Regelschulen vorerst auszusetzen. Deutsche Grundschüler hätten bei internationalen Vergleichen zuletzt enttäuschend abgeschnitten, warnte Heinz-Peter Meidinger. Dies sei auch eine Folge der schlecht vorbereiteten Inklusion.

Anreiz für Diagnosen, die man früher nicht gestellt hätte

Tatsächlich ist laut der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Grünen der Anteil der Kinder, die besonderer Förderung bedürfen, an Regelschulen von 2009 bis 2016 von sechs auf sieben Prozent gestiegen. Vor allem gibt es heute viel mehr Schüler, die in ihrer emotionalen und sozialen Entwicklung mehr Unterstützung brauchen. "Es ist schwer vorstellbar, dass innerhalb von sieben Jahren durch wunderliche Umstände so deutlich mehr Kinder förderbedürftig sind", sagt der Bildungsforscher Klaus Klemm.

Klemm erklärt die divergierenden Zahlen mit einem Trend zu Diagnosen, die man früher nicht gestellt hätte. Erst heute lohnten sich diese Diagnosen für Schulen, weil der Staat Anreize dafür setze: "Wenn Schulen bei schwachen Schülern, die sie immer schon hatten, heute einen Förderbedarf diagnostizieren, erhalten sie in vielen Bundesländern dafür zusätzliche Ressourcen", berichtet Klemm. Das bedeute häufig aber auch, dass Schüler als "Hilfsschüler" abgestempelt würden. Bei manchen stehe sogar ein Hinweis im Zeugnis, was die Suche nach einem Ausbildungsplatz erschwere. Integrativ sei das nicht.

Die Situation ist bundesweit uneinheitlich. Bremen etwa hat viele Förderschulen geschlossen, als die Inklusion auf die Agenda kam. In Bayern und Baden-Württemberg besuchen laut Klemm mehr Schüler Förderschulen als 2009: "Dort hat man sich von dem Ziel entfernt". Die Bundesregierung wiederum scheint über Fortschritte und Probleme der Inklusion wenig zu wissen - die in der Antwort auf die Kleine Anfrage enthaltenen Informationen sind dürftig. Sie verweist auf die Zuständigkeit der Länder. Der im Koalitionsvertrag festgestellte Bedarf an mehr Transparenz und Vergleichbarkeit im Bildungswesen, er gilt auch für die Inklusion.

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